Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Indessen kam die Einwilligung von der Frau Kammerdirek-
torin von St. Florintin, sie wurde Stillingen bekannt
gemacht, und nun war Alles richtig. Er reiste also nach
Kreuznach zu seiner Braut, um einige Tage bei ihr zuzu-
bringen und sich näher mit ihr bekannt zu machen. Jetzt
lernte er sie nun recht kennen, und fand, in welchem Ueber-
maße für alle seine bisherigen schweren und langwierigen Leiden
er von der ewigen Vaterliebe Gottes sey belohnet worden;
seine Schulden aber konnte er hier unmöglich entdecken,
er betete also unabläßig zu Gott, daß er doch die Sache so
wenden möchte, damit sie ein gutes Ende gewinnen möge.

Die Frau Tante war auch eine sehr würdige, angenehme
Frau, die ihn recht lieb gewann, und sich dieses Familienzu-
wachses freute.

Nahe bei dieser Tante wohnte ein Kaufmann Namens
Schmerz, ein Mann von vielem Geschmack und Kenntnis-
sen. Dieser hatte Stillings Geschichte gelesen, er war ihm
also merkwürdig; daher lud er ihn einstmals an einem Abend
mit seiner Braut und der Tante in seinen schönen und vie-
len Kennern wohlbekannten Garten ein. Dieser liegt an der
Nordwestseite der Stadt, ein Theil des alten Stadtgrabens
ist dazu benutzt worden. Wenn man nordwärts zum Lin-
ger Thor
hinausgeht, so trifft man alsofort eine Thüre an,
so wie man hineintritt, kommt man an ein Buschwerk; lin-
ker Hand hat man einen erhabenen Hügel, und rechts etwas
tiefer einen Rasenplatz mit einer Bauernhütte. Dann wan-
delt man einen ebenen Fußsteig zwischen den Büschen allmäh-
lig hinab ins Thal, und nun stößt man auf einen Pump-
brunnen, bei welchem sich ein Ruhesitz in einer Laube befin-
det. Auf einer Tafel, die hier aufgehangen ist, steht folgender
Reim vom seligen Herrn Superintendenten Götz zu Win-
terberg
eingegraben:

Immer rinnet diese Quelle,
Niemals plaudert ihre Welle;
Komm', Wandrer, hier zu ruhn,
Und lern' an dieser Quelle
Stillschweigend Gutes thun.

Indeſſen kam die Einwilligung von der Frau Kammerdirek-
torin von St. Florintin, ſie wurde Stillingen bekannt
gemacht, und nun war Alles richtig. Er reiste alſo nach
Kreuznach zu ſeiner Braut, um einige Tage bei ihr zuzu-
bringen und ſich naͤher mit ihr bekannt zu machen. Jetzt
lernte er ſie nun recht kennen, und fand, in welchem Ueber-
maße fuͤr alle ſeine bisherigen ſchweren und langwierigen Leiden
er von der ewigen Vaterliebe Gottes ſey belohnet worden;
ſeine Schulden aber konnte er hier unmoͤglich entdecken,
er betete alſo unablaͤßig zu Gott, daß er doch die Sache ſo
wenden moͤchte, damit ſie ein gutes Ende gewinnen moͤge.

Die Frau Tante war auch eine ſehr wuͤrdige, angenehme
Frau, die ihn recht lieb gewann, und ſich dieſes Familienzu-
wachſes freute.

Nahe bei dieſer Tante wohnte ein Kaufmann Namens
Schmerz, ein Mann von vielem Geſchmack und Kenntniſ-
ſen. Dieſer hatte Stillings Geſchichte geleſen, er war ihm
alſo merkwuͤrdig; daher lud er ihn einſtmals an einem Abend
mit ſeiner Braut und der Tante in ſeinen ſchoͤnen und vie-
len Kennern wohlbekannten Garten ein. Dieſer liegt an der
Nordweſtſeite der Stadt, ein Theil des alten Stadtgrabens
iſt dazu benutzt worden. Wenn man nordwaͤrts zum Lin-
ger Thor
hinausgeht, ſo trifft man alſofort eine Thuͤre an,
ſo wie man hineintritt, kommt man an ein Buſchwerk; lin-
ker Hand hat man einen erhabenen Huͤgel, und rechts etwas
tiefer einen Raſenplatz mit einer Bauernhuͤtte. Dann wan-
delt man einen ebenen Fußſteig zwiſchen den Buͤſchen allmaͤh-
lig hinab ins Thal, und nun ſtoͤßt man auf einen Pump-
brunnen, bei welchem ſich ein Ruheſitz in einer Laube befin-
det. Auf einer Tafel, die hier aufgehangen iſt, ſteht folgender
Reim vom ſeligen Herrn Superintendenten Goͤtz zu Win-
terberg
eingegraben:

Immer rinnet dieſe Quelle,
Niemals plaudert ihre Welle;
Komm’, Wandrer, hier zu ruhn,
Und lern’ an dieſer Quelle
Stillſchweigend Gutes thun.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0411" n="403"/>
            <p>Inde&#x017F;&#x017F;en kam die Einwilligung von der Frau Kammerdirek-<lb/>
torin von <hi rendition="#g">St. Florintin</hi>, &#x017F;ie wurde <hi rendition="#g">Stillingen</hi> bekannt<lb/>
gemacht, und nun war Alles richtig. Er reiste al&#x017F;o nach<lb/><hi rendition="#g">Kreuznach</hi> zu &#x017F;einer Braut, um einige Tage bei ihr zuzu-<lb/>
bringen und &#x017F;ich na&#x0364;her mit ihr bekannt zu machen. Jetzt<lb/>
lernte er &#x017F;ie nun recht kennen, und fand, in welchem Ueber-<lb/>
maße fu&#x0364;r alle &#x017F;eine bisherigen &#x017F;chweren und langwierigen Leiden<lb/>
er von der ewigen Vaterliebe Gottes &#x017F;ey belohnet worden;<lb/>
&#x017F;eine Schulden aber konnte er hier unmo&#x0364;glich entdecken,<lb/>
er betete al&#x017F;o unabla&#x0364;ßig zu Gott, daß er doch die Sache &#x017F;o<lb/>
wenden mo&#x0364;chte, damit &#x017F;ie ein gutes Ende gewinnen mo&#x0364;ge.</p><lb/>
            <p>Die Frau Tante war auch eine &#x017F;ehr wu&#x0364;rdige, angenehme<lb/>
Frau, die ihn recht lieb gewann, und &#x017F;ich die&#x017F;es Familienzu-<lb/>
wach&#x017F;es freute.</p><lb/>
            <p>Nahe bei die&#x017F;er Tante wohnte ein Kaufmann Namens<lb/><hi rendition="#g">Schmerz</hi>, ein Mann von vielem Ge&#x017F;chmack und Kenntni&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Die&#x017F;er hatte <hi rendition="#g">Stillings</hi> Ge&#x017F;chichte gele&#x017F;en, er war ihm<lb/>
al&#x017F;o merkwu&#x0364;rdig; daher lud er ihn ein&#x017F;tmals an einem Abend<lb/>
mit &#x017F;einer Braut und der Tante in &#x017F;einen &#x017F;cho&#x0364;nen und vie-<lb/>
len Kennern wohlbekannten Garten ein. Die&#x017F;er liegt an der<lb/>
Nordwe&#x017F;t&#x017F;eite der Stadt, ein Theil des alten Stadtgrabens<lb/>
i&#x017F;t dazu benutzt worden. Wenn man nordwa&#x0364;rts zum <hi rendition="#g">Lin-<lb/>
ger Thor</hi> hinausgeht, &#x017F;o trifft man al&#x017F;ofort eine Thu&#x0364;re an,<lb/>
&#x017F;o wie man hineintritt, kommt man an ein Bu&#x017F;chwerk; lin-<lb/>
ker Hand hat man einen erhabenen Hu&#x0364;gel, und rechts etwas<lb/>
tiefer einen Ra&#x017F;enplatz mit einer Bauernhu&#x0364;tte. Dann wan-<lb/>
delt man einen ebenen Fuß&#x017F;teig zwi&#x017F;chen den Bu&#x0364;&#x017F;chen allma&#x0364;h-<lb/>
lig hinab ins Thal, und nun &#x017F;to&#x0364;ßt man auf einen Pump-<lb/>
brunnen, bei welchem &#x017F;ich ein Ruhe&#x017F;itz in einer Laube befin-<lb/>
det. Auf einer Tafel, die hier aufgehangen i&#x017F;t, &#x017F;teht folgender<lb/>
Reim vom &#x017F;eligen Herrn Superintendenten <hi rendition="#g">Go&#x0364;tz</hi> zu <hi rendition="#g">Win-<lb/>
terberg</hi> eingegraben:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Immer rinnet die&#x017F;e Quelle,</l><lb/>
              <l>Niemals plaudert ihre Welle;</l><lb/>
              <l>Komm&#x2019;, Wandrer, hier zu ruhn,</l><lb/>
              <l>Und lern&#x2019; an die&#x017F;er Quelle</l><lb/>
              <l>Still&#x017F;chweigend Gutes thun.</l>
            </lg><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[403/0411] Indeſſen kam die Einwilligung von der Frau Kammerdirek- torin von St. Florintin, ſie wurde Stillingen bekannt gemacht, und nun war Alles richtig. Er reiste alſo nach Kreuznach zu ſeiner Braut, um einige Tage bei ihr zuzu- bringen und ſich naͤher mit ihr bekannt zu machen. Jetzt lernte er ſie nun recht kennen, und fand, in welchem Ueber- maße fuͤr alle ſeine bisherigen ſchweren und langwierigen Leiden er von der ewigen Vaterliebe Gottes ſey belohnet worden; ſeine Schulden aber konnte er hier unmoͤglich entdecken, er betete alſo unablaͤßig zu Gott, daß er doch die Sache ſo wenden moͤchte, damit ſie ein gutes Ende gewinnen moͤge. Die Frau Tante war auch eine ſehr wuͤrdige, angenehme Frau, die ihn recht lieb gewann, und ſich dieſes Familienzu- wachſes freute. Nahe bei dieſer Tante wohnte ein Kaufmann Namens Schmerz, ein Mann von vielem Geſchmack und Kenntniſ- ſen. Dieſer hatte Stillings Geſchichte geleſen, er war ihm alſo merkwuͤrdig; daher lud er ihn einſtmals an einem Abend mit ſeiner Braut und der Tante in ſeinen ſchoͤnen und vie- len Kennern wohlbekannten Garten ein. Dieſer liegt an der Nordweſtſeite der Stadt, ein Theil des alten Stadtgrabens iſt dazu benutzt worden. Wenn man nordwaͤrts zum Lin- ger Thor hinausgeht, ſo trifft man alſofort eine Thuͤre an, ſo wie man hineintritt, kommt man an ein Buſchwerk; lin- ker Hand hat man einen erhabenen Huͤgel, und rechts etwas tiefer einen Raſenplatz mit einer Bauernhuͤtte. Dann wan- delt man einen ebenen Fußſteig zwiſchen den Buͤſchen allmaͤh- lig hinab ins Thal, und nun ſtoͤßt man auf einen Pump- brunnen, bei welchem ſich ein Ruheſitz in einer Laube befin- det. Auf einer Tafel, die hier aufgehangen iſt, ſteht folgender Reim vom ſeligen Herrn Superintendenten Goͤtz zu Win- terberg eingegraben: Immer rinnet dieſe Quelle, Niemals plaudert ihre Welle; Komm’, Wandrer, hier zu ruhn, Und lern’ an dieſer Quelle Stillſchweigend Gutes thun.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/411
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/411>, abgerufen am 22.11.2024.