Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Himmel hat nicht geirrt! Das wollte ihm aber am übelsten
einleuchten, daß Stilling wieder zu heirathen entschlossen war.

Da nun der erste Versuch, eine Gattin zu finden, mißlun-
gen war, so fing Stillings Hausfreund Kühlenbach an,
vorzuschlagen: er wüßte nämlich in S ... eine vortreffliche
Jungfer, welche ein ziemliches Vermögen hätte, und diese,
hoffte er, würde für Stilling seyn. Das muß ich noch
bemerken, daß jetzt Jedermann zu einer reichen Frau rieth,
denn man urtheilte, dadurch würde ihm am ersten geholfen
werden, und er selbst glaubte, das sey das beste Mittel, frei-
lich schauderte er oft für sich und seine Kinder, wenn er an
eine reiche Gattin dachte, die vielleicht weiter keine gute Ei-
genschaften hätte; indessen verließ er sich auf Gott: Küh-
lenbach
zog also die Ostern fort, und auf Pfingsten reiste
Stilling nach S ..., um den zweiten Versuch zu machen,
aber auch dieser nebst dem dritten schlug fehl, denn beide Per-
sonen waren versprochen.

Jetzt machte Stilling ein großes Punktum hinter diese
Bemühungen; es war ganz und gar seine Sache nicht, Körbe
zu holen, er trat also mit gebeugtem Herzen vor Gott, und
mit dem innigsten kindlichen Vertrauen zu seinem himmlischen
Vater sagte er: "Ich übergebe dir, mein Vater! mein Schick-
sal ganz, ich habe nun gethan, was ich konnte, jetzt erwarte
ich deinen Wink; ist es dein Wille, daß ich wieder heira-
rathen soll, so führe du mir eine treue Gattin zu; soll ich
aber einsam bleiben, so beruhige mein Herz!"

Zu der Zeit wohnte die vortreffliche Frau geheime Staats-
räthin, Sophie von la Roche, mit ihrem Gemahl und
noch unverheiratheten Kindern in S.... Stilling hatte sie
besucht, da er aber ihre vertraute Freundschaft noch nicht ge-
noß, so hatte er ihr von seinem Vorhaben nichts gesagt.

Den ersten Posttag nach obigem Gebet und kindlicher Ue-
berlassung an die Vorsehung, bekam er ganz unerwartet einen
Brief von jener vortrefflichen Dame; er öffnete ihn begierig,
und fand unter andern mit Erstaunen folgendes:

"Ihre hiesigen Freunde sind nicht so vorsichtig gewesen, als
"Sie bei mir waren, denn hier ist es eine allgemein bekannte

Himmel hat nicht geirrt! Das wollte ihm aber am uͤbelſten
einleuchten, daß Stilling wieder zu heirathen entſchloſſen war.

Da nun der erſte Verſuch, eine Gattin zu finden, mißlun-
gen war, ſo fing Stillings Hausfreund Kuͤhlenbach an,
vorzuſchlagen: er wuͤßte naͤmlich in S … eine vortreffliche
Jungfer, welche ein ziemliches Vermoͤgen haͤtte, und dieſe,
hoffte er, wuͤrde fuͤr Stilling ſeyn. Das muß ich noch
bemerken, daß jetzt Jedermann zu einer reichen Frau rieth,
denn man urtheilte, dadurch wuͤrde ihm am erſten geholfen
werden, und er ſelbſt glaubte, das ſey das beſte Mittel, frei-
lich ſchauderte er oft fuͤr ſich und ſeine Kinder, wenn er an
eine reiche Gattin dachte, die vielleicht weiter keine gute Ei-
genſchaften haͤtte; indeſſen verließ er ſich auf Gott: Kuͤh-
lenbach
zog alſo die Oſtern fort, und auf Pfingſten reiste
Stilling nach S …, um den zweiten Verſuch zu machen,
aber auch dieſer nebſt dem dritten ſchlug fehl, denn beide Per-
ſonen waren verſprochen.

Jetzt machte Stilling ein großes Punktum hinter dieſe
Bemuͤhungen; es war ganz und gar ſeine Sache nicht, Koͤrbe
zu holen, er trat alſo mit gebeugtem Herzen vor Gott, und
mit dem innigſten kindlichen Vertrauen zu ſeinem himmliſchen
Vater ſagte er: „Ich uͤbergebe dir, mein Vater! mein Schick-
ſal ganz, ich habe nun gethan, was ich konnte, jetzt erwarte
ich deinen Wink; iſt es dein Wille, daß ich wieder heira-
rathen ſoll, ſo fuͤhre du mir eine treue Gattin zu; ſoll ich
aber einſam bleiben, ſo beruhige mein Herz!“

Zu der Zeit wohnte die vortreffliche Frau geheime Staats-
raͤthin, Sophie von la Roche, mit ihrem Gemahl und
noch unverheiratheten Kindern in S.... Stilling hatte ſie
beſucht, da er aber ihre vertraute Freundſchaft noch nicht ge-
noß, ſo hatte er ihr von ſeinem Vorhaben nichts geſagt.

Den erſten Poſttag nach obigem Gebet und kindlicher Ue-
berlaſſung an die Vorſehung, bekam er ganz unerwartet einen
Brief von jener vortrefflichen Dame; er oͤffnete ihn begierig,
und fand unter andern mit Erſtaunen folgendes:

„Ihre hieſigen Freunde ſind nicht ſo vorſichtig geweſen, als
„Sie bei mir waren, denn hier iſt es eine allgemein bekannte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0403" n="395"/>
Himmel hat nicht geirrt! Das wollte ihm aber am u&#x0364;bel&#x017F;ten<lb/>
einleuchten, daß <hi rendition="#g">Stilling</hi> wieder zu heirathen ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war.</p><lb/>
            <p>Da nun der er&#x017F;te Ver&#x017F;uch, eine Gattin zu finden, mißlun-<lb/>
gen war, &#x017F;o fing <hi rendition="#g">Stillings</hi> Hausfreund <hi rendition="#g">Ku&#x0364;hlenbach</hi> an,<lb/>
vorzu&#x017F;chlagen: er wu&#x0364;ßte na&#x0364;mlich in S &#x2026; eine vortreffliche<lb/>
Jungfer, welche ein ziemliches Vermo&#x0364;gen ha&#x0364;tte, und die&#x017F;e,<lb/>
hoffte er, wu&#x0364;rde fu&#x0364;r <hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;eyn. Das muß ich noch<lb/>
bemerken, daß jetzt Jedermann zu einer reichen Frau rieth,<lb/>
denn man urtheilte, dadurch wu&#x0364;rde ihm am er&#x017F;ten geholfen<lb/>
werden, und er &#x017F;elb&#x017F;t glaubte, das &#x017F;ey das be&#x017F;te Mittel, frei-<lb/>
lich &#x017F;chauderte er oft fu&#x0364;r &#x017F;ich und &#x017F;eine Kinder, wenn er an<lb/>
eine reiche Gattin dachte, die vielleicht weiter keine gute Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaften ha&#x0364;tte; inde&#x017F;&#x017F;en verließ er &#x017F;ich auf Gott: <hi rendition="#g">Ku&#x0364;h-<lb/>
lenbach</hi> zog al&#x017F;o die O&#x017F;tern fort, und auf Pfing&#x017F;ten reiste<lb/><hi rendition="#g">Stilling</hi> nach S &#x2026;, um den zweiten Ver&#x017F;uch zu machen,<lb/>
aber auch die&#x017F;er neb&#x017F;t dem dritten &#x017F;chlug fehl, denn beide Per-<lb/>
&#x017F;onen waren ver&#x017F;prochen.</p><lb/>
            <p>Jetzt machte <hi rendition="#g">Stilling</hi> ein großes Punktum hinter die&#x017F;e<lb/>
Bemu&#x0364;hungen; es war ganz und gar &#x017F;eine Sache nicht, Ko&#x0364;rbe<lb/>
zu holen, er trat al&#x017F;o mit gebeugtem Herzen vor Gott, und<lb/>
mit dem innig&#x017F;ten kindlichen Vertrauen zu &#x017F;einem himmli&#x017F;chen<lb/>
Vater &#x017F;agte er: &#x201E;Ich u&#x0364;bergebe dir, mein Vater! mein Schick-<lb/>
&#x017F;al ganz, ich habe nun gethan, was ich konnte, jetzt erwarte<lb/>
ich <hi rendition="#g">deinen</hi> Wink; i&#x017F;t es dein Wille, daß ich wieder heira-<lb/>
rathen &#x017F;oll, &#x017F;o fu&#x0364;hre <hi rendition="#g">du</hi> mir eine treue Gattin zu; &#x017F;oll ich<lb/>
aber ein&#x017F;am bleiben, &#x017F;o beruhige mein Herz!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Zu der Zeit wohnte die vortreffliche Frau geheime Staats-<lb/>
ra&#x0364;thin, <hi rendition="#g">Sophie von la Roche</hi>, mit ihrem Gemahl und<lb/>
noch unverheiratheten Kindern in S.... <hi rendition="#g">Stilling</hi> hatte &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;ucht, da er aber ihre vertraute Freund&#x017F;chaft noch nicht ge-<lb/>
noß, &#x017F;o hatte er ihr von &#x017F;einem Vorhaben nichts ge&#x017F;agt.</p><lb/>
            <p>Den er&#x017F;ten Po&#x017F;ttag nach obigem Gebet und kindlicher Ue-<lb/>
berla&#x017F;&#x017F;ung an die Vor&#x017F;ehung, bekam er ganz unerwartet einen<lb/>
Brief von jener vortrefflichen Dame; er o&#x0364;ffnete ihn begierig,<lb/>
und fand unter andern mit Er&#x017F;taunen folgendes:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ihre hie&#x017F;igen Freunde &#x017F;ind nicht &#x017F;o vor&#x017F;ichtig gewe&#x017F;en, als<lb/>
&#x201E;Sie bei mir waren, denn hier i&#x017F;t es eine allgemein bekannte<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0403] Himmel hat nicht geirrt! Das wollte ihm aber am uͤbelſten einleuchten, daß Stilling wieder zu heirathen entſchloſſen war. Da nun der erſte Verſuch, eine Gattin zu finden, mißlun- gen war, ſo fing Stillings Hausfreund Kuͤhlenbach an, vorzuſchlagen: er wuͤßte naͤmlich in S … eine vortreffliche Jungfer, welche ein ziemliches Vermoͤgen haͤtte, und dieſe, hoffte er, wuͤrde fuͤr Stilling ſeyn. Das muß ich noch bemerken, daß jetzt Jedermann zu einer reichen Frau rieth, denn man urtheilte, dadurch wuͤrde ihm am erſten geholfen werden, und er ſelbſt glaubte, das ſey das beſte Mittel, frei- lich ſchauderte er oft fuͤr ſich und ſeine Kinder, wenn er an eine reiche Gattin dachte, die vielleicht weiter keine gute Ei- genſchaften haͤtte; indeſſen verließ er ſich auf Gott: Kuͤh- lenbach zog alſo die Oſtern fort, und auf Pfingſten reiste Stilling nach S …, um den zweiten Verſuch zu machen, aber auch dieſer nebſt dem dritten ſchlug fehl, denn beide Per- ſonen waren verſprochen. Jetzt machte Stilling ein großes Punktum hinter dieſe Bemuͤhungen; es war ganz und gar ſeine Sache nicht, Koͤrbe zu holen, er trat alſo mit gebeugtem Herzen vor Gott, und mit dem innigſten kindlichen Vertrauen zu ſeinem himmliſchen Vater ſagte er: „Ich uͤbergebe dir, mein Vater! mein Schick- ſal ganz, ich habe nun gethan, was ich konnte, jetzt erwarte ich deinen Wink; iſt es dein Wille, daß ich wieder heira- rathen ſoll, ſo fuͤhre du mir eine treue Gattin zu; ſoll ich aber einſam bleiben, ſo beruhige mein Herz!“ Zu der Zeit wohnte die vortreffliche Frau geheime Staats- raͤthin, Sophie von la Roche, mit ihrem Gemahl und noch unverheiratheten Kindern in S.... Stilling hatte ſie beſucht, da er aber ihre vertraute Freundſchaft noch nicht ge- noß, ſo hatte er ihr von ſeinem Vorhaben nichts geſagt. Den erſten Poſttag nach obigem Gebet und kindlicher Ue- berlaſſung an die Vorſehung, bekam er ganz unerwartet einen Brief von jener vortrefflichen Dame; er oͤffnete ihn begierig, und fand unter andern mit Erſtaunen folgendes: „Ihre hieſigen Freunde ſind nicht ſo vorſichtig geweſen, als „Sie bei mir waren, denn hier iſt es eine allgemein bekannte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/403
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/403>, abgerufen am 22.11.2024.