tes Kollegium gelesen hatte, und nun eben in seine Stube getreten war, kam die Hausmagd und sagte ihm, es sey so eben ein junger Mann da gewesen, der nach ihm gefragt habe. Gleich darauf trat dieser herein; mit einer freundlichen, einneh- menden Miene sagte er: "Herr Professor, ich bin von R... und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der Churfürstlichen Verordnung zufolge, muß ich also wenigstens ein halb Jahr hier studiren, so schwer mir das auch fällt, denn ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, so freue ich mich doch, mit Stilling in Bekanntschaft zu kommen. Nun habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehört, daß Ihre Frau Gemahlin gestorben ist, und daß Sie nun so ein- sam und traurig sind, wie wärs, wenn Sie mir und meiner Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen Tisch zu gehen? Wir hätten dann den Vortheil Ihres Umgangs, und Sie hätten Gesellschaft und Unterhaltung. Ich darf mir schmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn sie ist edel und gutherzig."
Bei diesen Worten thaute Stillings Seele auf, und es war ihm, als wenn ihm Jemand die Last seines Kummers auf Einmal von den Schultern gehoben hätte, er konnte kaum seine hohe Freude verbergen. Er ging also mit Herrn Kühlenbach ins Wirthshans, um seiner Gattin aufzuwarten, die nun mit Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog dieses edle brave Paar in Stillings Wohnung ein.
Nun ging Alles wieder seinen ungehinderten muntern Gang fort; Stilling war zwar noch immer wehmüthig, allein es war Wonne-Wehmuth, in welcher er sich wohl befand. Jetzt kam er nun auch so weit, daß er im Stande war, seine Lehr- bücher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche er dafür empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung seiner Schulden, denn er sahe ein unabsehbares Feld vor sich, in welchem er lebenslang als Schriftsteller arbeiten, und also jährlich sein Einkommen auf wenigstens 1500 Gulden bringen konnte. Jetzt verauctionirte er auch seinen unnöthigen Hausrath, und behielt nichts mehr, als was er selbst nöthig brauchte, und mit dem daraus gelösten Gelde bezahlte er die dringendsten Schulden.
tes Kollegium geleſen hatte, und nun eben in ſeine Stube getreten war, kam die Hausmagd und ſagte ihm, es ſey ſo eben ein junger Mann da geweſen, der nach ihm gefragt habe. Gleich darauf trat dieſer herein; mit einer freundlichen, einneh- menden Miene ſagte er: „Herr Profeſſor, ich bin von R… und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der Churfuͤrſtlichen Verordnung zufolge, muß ich alſo wenigſtens ein halb Jahr hier ſtudiren, ſo ſchwer mir das auch faͤllt, denn ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, ſo freue ich mich doch, mit Stilling in Bekanntſchaft zu kommen. Nun habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehoͤrt, daß Ihre Frau Gemahlin geſtorben iſt, und daß Sie nun ſo ein- ſam und traurig ſind, wie waͤrs, wenn Sie mir und meiner Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen Tiſch zu gehen? Wir haͤtten dann den Vortheil Ihres Umgangs, und Sie haͤtten Geſellſchaft und Unterhaltung. Ich darf mir ſchmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn ſie iſt edel und gutherzig.“
Bei dieſen Worten thaute Stillings Seele auf, und es war ihm, als wenn ihm Jemand die Laſt ſeines Kummers auf Einmal von den Schultern gehoben haͤtte, er konnte kaum ſeine hohe Freude verbergen. Er ging alſo mit Herrn Kuͤhlenbach ins Wirthshans, um ſeiner Gattin aufzuwarten, die nun mit Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog dieſes edle brave Paar in Stillings Wohnung ein.
Nun ging Alles wieder ſeinen ungehinderten muntern Gang fort; Stilling war zwar noch immer wehmuͤthig, allein es war Wonne-Wehmuth, in welcher er ſich wohl befand. Jetzt kam er nun auch ſo weit, daß er im Stande war, ſeine Lehr- buͤcher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche er dafuͤr empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung ſeiner Schulden, denn er ſahe ein unabſehbares Feld vor ſich, in welchem er lebenslang als Schriftſteller arbeiten, und alſo jaͤhrlich ſein Einkommen auf wenigſtens 1500 Gulden bringen konnte. Jetzt verauctionirte er auch ſeinen unnoͤthigen Hausrath, und behielt nichts mehr, als was er ſelbſt noͤthig brauchte, und mit dem daraus geloͤsten Gelde bezahlte er die dringendſten Schulden.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0400"n="392"/>
tes Kollegium geleſen hatte, und nun eben in ſeine Stube<lb/>
getreten war, kam die Hausmagd und ſagte ihm, es ſey ſo<lb/>
eben ein junger Mann da geweſen, der nach ihm gefragt habe.<lb/>
Gleich darauf trat dieſer herein; mit einer freundlichen, einneh-<lb/>
menden Miene ſagte er: „Herr Profeſſor, ich bin von R…<lb/>
und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der<lb/>
Churfuͤrſtlichen Verordnung zufolge, muß ich alſo wenigſtens<lb/>
ein halb Jahr hier ſtudiren, ſo ſchwer mir das auch faͤllt, denn<lb/>
ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, ſo freue ich<lb/>
mich doch, mit <hirendition="#g">Stilling</hi> in Bekanntſchaft zu kommen. Nun<lb/>
habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehoͤrt, daß<lb/>
Ihre Frau Gemahlin geſtorben iſt, und daß Sie nun ſo ein-<lb/>ſam und traurig ſind, wie waͤrs, wenn Sie mir und meiner<lb/>
Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen<lb/>
Tiſch zu gehen? Wir haͤtten dann den Vortheil Ihres Umgangs,<lb/>
und Sie haͤtten Geſellſchaft und Unterhaltung. Ich darf mir<lb/>ſchmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn<lb/>ſie iſt edel und gutherzig.“</p><lb/><p>Bei dieſen Worten thaute <hirendition="#g">Stillings</hi> Seele auf, und es<lb/>
war ihm, als wenn ihm Jemand die Laſt ſeines Kummers auf<lb/>
Einmal von den Schultern gehoben haͤtte, er konnte kaum ſeine<lb/>
hohe Freude verbergen. Er ging alſo mit Herrn <hirendition="#g">Kuͤhlenbach</hi><lb/>
ins Wirthshans, um ſeiner Gattin aufzuwarten, die nun mit<lb/>
Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog<lb/>
dieſes edle brave Paar in <hirendition="#g">Stillings</hi> Wohnung ein.</p><lb/><p>Nun ging Alles wieder ſeinen ungehinderten muntern Gang<lb/>
fort; <hirendition="#g">Stilling</hi> war zwar noch immer wehmuͤthig, allein es<lb/>
war Wonne-Wehmuth, in welcher er ſich wohl befand. Jetzt<lb/>
kam er nun auch ſo weit, daß er im Stande war, ſeine Lehr-<lb/>
buͤcher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche<lb/>
er dafuͤr empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung<lb/>ſeiner Schulden, denn er ſahe ein unabſehbares Feld vor ſich,<lb/>
in welchem er lebenslang als Schriftſteller arbeiten, und alſo<lb/>
jaͤhrlich ſein Einkommen auf wenigſtens 1500 Gulden bringen<lb/>
konnte. Jetzt verauctionirte er auch ſeinen unnoͤthigen Hausrath,<lb/>
und behielt nichts mehr, als was er ſelbſt noͤthig brauchte, und mit<lb/>
dem daraus geloͤsten Gelde bezahlte er die dringendſten Schulden.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[392/0400]
tes Kollegium geleſen hatte, und nun eben in ſeine Stube
getreten war, kam die Hausmagd und ſagte ihm, es ſey ſo
eben ein junger Mann da geweſen, der nach ihm gefragt habe.
Gleich darauf trat dieſer herein; mit einer freundlichen, einneh-
menden Miene ſagte er: „Herr Profeſſor, ich bin von R…
und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der
Churfuͤrſtlichen Verordnung zufolge, muß ich alſo wenigſtens
ein halb Jahr hier ſtudiren, ſo ſchwer mir das auch faͤllt, denn
ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, ſo freue ich
mich doch, mit Stilling in Bekanntſchaft zu kommen. Nun
habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehoͤrt, daß
Ihre Frau Gemahlin geſtorben iſt, und daß Sie nun ſo ein-
ſam und traurig ſind, wie waͤrs, wenn Sie mir und meiner
Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen
Tiſch zu gehen? Wir haͤtten dann den Vortheil Ihres Umgangs,
und Sie haͤtten Geſellſchaft und Unterhaltung. Ich darf mir
ſchmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn
ſie iſt edel und gutherzig.“
Bei dieſen Worten thaute Stillings Seele auf, und es
war ihm, als wenn ihm Jemand die Laſt ſeines Kummers auf
Einmal von den Schultern gehoben haͤtte, er konnte kaum ſeine
hohe Freude verbergen. Er ging alſo mit Herrn Kuͤhlenbach
ins Wirthshans, um ſeiner Gattin aufzuwarten, die nun mit
Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog
dieſes edle brave Paar in Stillings Wohnung ein.
Nun ging Alles wieder ſeinen ungehinderten muntern Gang
fort; Stilling war zwar noch immer wehmuͤthig, allein es
war Wonne-Wehmuth, in welcher er ſich wohl befand. Jetzt
kam er nun auch ſo weit, daß er im Stande war, ſeine Lehr-
buͤcher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche
er dafuͤr empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung
ſeiner Schulden, denn er ſahe ein unabſehbares Feld vor ſich,
in welchem er lebenslang als Schriftſteller arbeiten, und alſo
jaͤhrlich ſein Einkommen auf wenigſtens 1500 Gulden bringen
konnte. Jetzt verauctionirte er auch ſeinen unnoͤthigen Hausrath,
und behielt nichts mehr, als was er ſelbſt noͤthig brauchte, und mit
dem daraus geloͤsten Gelde bezahlte er die dringendſten Schulden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/400>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.