viel ausrichten konnte, wenigstens nicht so viel auszurichten schien, als andere seiner Collegen, die Alles unternahmen, fort- wirkten, auch manchmal erbärmlich auf die Nase fielen, sich aber doch wieder aufrafften, und bei alle dem weiter kamen, wie er.
Stilling schrieb also an Müllern, daß er den und den Tag mit Herrn Doktor Dinkler kommen würde, um die Frau zu operiren; Beide machten sich demnach des Morgens auf den Weg und wanderten nach dem Dorfe hin; Dinkler sprach Stillingen allen Muth ein, aber es half wenig. Sie ka- men endlich im Dorfe an, und gingen in Müllers Haus, aber dieser sprach ihm Trost zu, und nun wurde die Frau nebst dem Wundarzt geholt, der ihr den Kopf halten mußte. Als nun alles bereit war und die Frau saß, setzte sich Stilling vor ihr; mit Zittern nahm er das Staarmesser und drückte es am gehörigen Ort ins Auge; als aber die Patientin dabei, wie na- türlich ist, etwas mit dem Odem zuckte, so zuckte Stilling auch das Messer wieder heraus, daher floß die wässerichte Feuch- tigkeit durch die Wunde die Wange herunter, und das vordere Auge fiel zusammen. Stilling nahm also die krumme Scheere und brachte sie mit dem einen Schenkel glücklich in die Wunde und nun schnitt er ordentlich unten herum, den halben Zirkel, wie gewöhnlich; als er aber recht zusah, so fand er, daß er den Stern oder die Regenbogenhaut mit zerschnitten hatte; er erschrack, aber was war zu thun? -- er schwieg still und seufzte. In dem Augenblick fiel die Staarlinse durch die Wunde über den Backen herunter und die Frau rief in höchster Ent- zückung der Freude: "O Herr Doktor, ich sehe Ihr Gesicht, ich sehe Ihnen das Schwarze in den Augen." Alles jubelte! Stilling verband nun das Auge, und heilte sie glücklich, sie sahe mit dem Auge vortrefflich; einige Wochen nachher operirte er auch das andere Auge mit der linken Hand, jetzt gings ordent- lich, denn nun hatte er mehr Muth, er heilte auch dieses, und so wurde die Frau wieder vollkommen sehend. Dieses gab nun einen Ruf, so daß mehrere Blinde kamen, die er alle der Reihe nach glücklich operirte; nur selten mißlang ihm einer. Bei allem dem war das doch sonderbar! diese wichtigen Kuren tru-
viel ausrichten konnte, wenigſtens nicht ſo viel auszurichten ſchien, als andere ſeiner Collegen, die Alles unternahmen, fort- wirkten, auch manchmal erbaͤrmlich auf die Naſe fielen, ſich aber doch wieder aufrafften, und bei alle dem weiter kamen, wie er.
Stilling ſchrieb alſo an Muͤllern, daß er den und den Tag mit Herrn Doktor Dinkler kommen wuͤrde, um die Frau zu operiren; Beide machten ſich demnach des Morgens auf den Weg und wanderten nach dem Dorfe hin; Dinkler ſprach Stillingen allen Muth ein, aber es half wenig. Sie ka- men endlich im Dorfe an, und gingen in Muͤllers Haus, aber dieſer ſprach ihm Troſt zu, und nun wurde die Frau nebſt dem Wundarzt geholt, der ihr den Kopf halten mußte. Als nun alles bereit war und die Frau ſaß, ſetzte ſich Stilling vor ihr; mit Zittern nahm er das Staarmeſſer und druͤckte es am gehoͤrigen Ort ins Auge; als aber die Patientin dabei, wie na- tuͤrlich iſt, etwas mit dem Odem zuckte, ſo zuckte Stilling auch das Meſſer wieder heraus, daher floß die waͤſſerichte Feuch- tigkeit durch die Wunde die Wange herunter, und das vordere Auge fiel zuſammen. Stilling nahm alſo die krumme Scheere und brachte ſie mit dem einen Schenkel gluͤcklich in die Wunde und nun ſchnitt er ordentlich unten herum, den halben Zirkel, wie gewoͤhnlich; als er aber recht zuſah, ſo fand er, daß er den Stern oder die Regenbogenhaut mit zerſchnitten hatte; er erſchrack, aber was war zu thun? — er ſchwieg ſtill und ſeufzte. In dem Augenblick fiel die Staarlinſe durch die Wunde uͤber den Backen herunter und die Frau rief in hoͤchſter Ent- zuͤckung der Freude: „O Herr Doktor, ich ſehe Ihr Geſicht, ich ſehe Ihnen das Schwarze in den Augen.“ Alles jubelte! Stilling verband nun das Auge, und heilte ſie gluͤcklich, ſie ſahe mit dem Auge vortrefflich; einige Wochen nachher operirte er auch das andere Auge mit der linken Hand, jetzt gings ordent- lich, denn nun hatte er mehr Muth, er heilte auch dieſes, und ſo wurde die Frau wieder vollkommen ſehend. Dieſes gab nun einen Ruf, ſo daß mehrere Blinde kamen, die er alle der Reihe nach gluͤcklich operirte; nur ſelten mißlang ihm einer. Bei allem dem war das doch ſonderbar! dieſe wichtigen Kuren tru-
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viel ausrichten konnte, wenigſtens nicht ſo viel auszurichten
ſchien, als andere ſeiner Collegen, die Alles unternahmen, fort-
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aber doch wieder aufrafften, und bei alle dem weiter kamen,
wie er.
Stilling ſchrieb alſo an Muͤllern, daß er den und den
Tag mit Herrn Doktor Dinkler kommen wuͤrde, um die Frau
zu operiren; Beide machten ſich demnach des Morgens auf den
Weg und wanderten nach dem Dorfe hin; Dinkler ſprach
Stillingen allen Muth ein, aber es half wenig. Sie ka-
men endlich im Dorfe an, und gingen in Muͤllers Haus, aber
dieſer ſprach ihm Troſt zu, und nun wurde die Frau nebſt dem
Wundarzt geholt, der ihr den Kopf halten mußte. Als nun
alles bereit war und die Frau ſaß, ſetzte ſich Stilling vor
ihr; mit Zittern nahm er das Staarmeſſer und druͤckte es am
gehoͤrigen Ort ins Auge; als aber die Patientin dabei, wie na-
tuͤrlich iſt, etwas mit dem Odem zuckte, ſo zuckte Stilling
auch das Meſſer wieder heraus, daher floß die waͤſſerichte Feuch-
tigkeit durch die Wunde die Wange herunter, und das vordere
Auge fiel zuſammen. Stilling nahm alſo die krumme
Scheere und brachte ſie mit dem einen Schenkel gluͤcklich in die
Wunde und nun ſchnitt er ordentlich unten herum, den halben
Zirkel, wie gewoͤhnlich; als er aber recht zuſah, ſo fand er, daß
er den Stern oder die Regenbogenhaut mit zerſchnitten hatte;
er erſchrack, aber was war zu thun? — er ſchwieg ſtill und
ſeufzte. In dem Augenblick fiel die Staarlinſe durch die Wunde
uͤber den Backen herunter und die Frau rief in hoͤchſter Ent-
zuͤckung der Freude: „O Herr Doktor, ich ſehe Ihr Geſicht,
ich ſehe Ihnen das Schwarze in den Augen.“ Alles jubelte!
Stilling verband nun das Auge, und heilte ſie gluͤcklich, ſie
ſahe mit dem Auge vortrefflich; einige Wochen nachher operirte
er auch das andere Auge mit der linken Hand, jetzt gings ordent-
lich, denn nun hatte er mehr Muth, er heilte auch dieſes, und
ſo wurde die Frau wieder vollkommen ſehend. Dieſes gab nun
einen Ruf, ſo daß mehrere Blinde kamen, die er alle der Reihe
nach gluͤcklich operirte; nur ſelten mißlang ihm einer. Bei
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/323>, abgerufen am 23.11.2024.
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