und er flehte in feurigen Seufzern zu Gott; nur ein paar Conventionsthaler waren nöthig, aber dem, der sie nicht hat, fällt die Zahlung so schwer, als einem, der Tausende bezahlen soll, und keine Hundert hat. Indessen lud der Fuhrmann seine Kohlen ab, und als das geschehen war, wusch er seine Hände, um sein Geld zu empfangen; Stilling klopfte das Herz und seine Seele rang mit Gott. Auf Einmal trat ein Mann mit seiner Frau zur Thüre herein, die guten Leute waren von Dornfeld; Stilling hatte den Mann vor einigen Wochen von einer schweren Krankheit kurirt, und sein Verdienst bis folgendes Neujahr auf Rechnung geschrieben. Nach den ge- wöhnlichen Grüßen fing der Mann an: "Ich hab' das Geld empfangen und wie ich da vor der Thür hergehe, so fällt mir ein, ich brauchte auch meine Rechnung just nicht bis Neujahr stehen zu lassen, sondern ich wolle sie als vor der Hand be- zahlen. Sie könnten's brauchen." -- "Auch gut!" versetzte Stilling; er ging, holte das Buch, machte die Rechnung und empfing zehn Reichsthaler.
Dieser Beispiele erfuhr Stilling sehr viele, er wurde auch dadurch im Glauben sehr gestärkt und zum Ausharren er- muntert.
Den 5. Januar 1773 gebar ihm Christine eine Tochter, und obgleich Alles den gewöhnlichen Weg der Natur ging, so gab es doch wieder sechs erschreckliche Stunden, in welchen die Furie Hysterik ihre Krallen recht gebrauchte: denn bei dem Eintritt der Milch in die Brüste wurde die arme Frau wie ein Wurm hin und her geschleudert; solche Zeiten waren auch immer durchdringende Läuterungsfeuer für Stilling.
Im folgenden Frühjahr, als er an einem Sonnabend auf ein benachbartes Dorf ritt, welches anderthalb Stunden von Schönenthal liegt, um Kranke zu besuchen, und den gan- zen Tag Häuser und Hütten durchkrochen hatte, so kam am Abend eine arme, junge, wohlgestaltete Frau über die Straße hergestiegen, die war blind, und ließ sich führen; nun hatte Stilling noch immer einen vorzüglichen Ruf in der Heilung der Augenkrankheit; er stand vor der Thür des Wirthshauses
und er flehte in feurigen Seufzern zu Gott; nur ein paar Conventionsthaler waren noͤthig, aber dem, der ſie nicht hat, faͤllt die Zahlung ſo ſchwer, als einem, der Tauſende bezahlen ſoll, und keine Hundert hat. Indeſſen lud der Fuhrmann ſeine Kohlen ab, und als das geſchehen war, wuſch er ſeine Haͤnde, um ſein Geld zu empfangen; Stilling klopfte das Herz und ſeine Seele rang mit Gott. Auf Einmal trat ein Mann mit ſeiner Frau zur Thuͤre herein, die guten Leute waren von Dornfeld; Stilling hatte den Mann vor einigen Wochen von einer ſchweren Krankheit kurirt, und ſein Verdienſt bis folgendes Neujahr auf Rechnung geſchrieben. Nach den ge- woͤhnlichen Gruͤßen fing der Mann an: „Ich hab’ das Geld empfangen und wie ich da vor der Thuͤr hergehe, ſo faͤllt mir ein, ich brauchte auch meine Rechnung juſt nicht bis Neujahr ſtehen zu laſſen, ſondern ich wolle ſie als vor der Hand be- zahlen. Sie koͤnnten’s brauchen.“ — „Auch gut!“ verſetzte Stilling; er ging, holte das Buch, machte die Rechnung und empfing zehn Reichsthaler.
Dieſer Beiſpiele erfuhr Stilling ſehr viele, er wurde auch dadurch im Glauben ſehr geſtaͤrkt und zum Ausharren er- muntert.
Den 5. Januar 1773 gebar ihm Chriſtine eine Tochter, und obgleich Alles den gewoͤhnlichen Weg der Natur ging, ſo gab es doch wieder ſechs erſchreckliche Stunden, in welchen die Furie Hyſterik ihre Krallen recht gebrauchte: denn bei dem Eintritt der Milch in die Bruͤſte wurde die arme Frau wie ein Wurm hin und her geſchleudert; ſolche Zeiten waren auch immer durchdringende Laͤuterungsfeuer fuͤr Stilling.
Im folgenden Fruͤhjahr, als er an einem Sonnabend auf ein benachbartes Dorf ritt, welches anderthalb Stunden von Schoͤnenthal liegt, um Kranke zu beſuchen, und den gan- zen Tag Haͤuſer und Huͤtten durchkrochen hatte, ſo kam am Abend eine arme, junge, wohlgeſtaltete Frau uͤber die Straße hergeſtiegen, die war blind, und ließ ſich fuͤhren; nun hatte Stilling noch immer einen vorzuͤglichen Ruf in der Heilung der Augenkrankheit; er ſtand vor der Thuͤr des Wirthshauſes
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und er flehte in feurigen Seufzern zu Gott; nur ein paar
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ſoll, und keine Hundert hat. Indeſſen lud der Fuhrmann ſeine
Kohlen ab, und als das geſchehen war, wuſch er ſeine Haͤnde,
um ſein Geld zu empfangen; Stilling klopfte das Herz und
ſeine Seele rang mit Gott. Auf Einmal trat ein Mann mit
ſeiner Frau zur Thuͤre herein, die guten Leute waren von
Dornfeld; Stilling hatte den Mann vor einigen Wochen
von einer ſchweren Krankheit kurirt, und ſein Verdienſt bis
folgendes Neujahr auf Rechnung geſchrieben. Nach den ge-
woͤhnlichen Gruͤßen fing der Mann an: „Ich hab’ das Geld
empfangen und wie ich da vor der Thuͤr hergehe, ſo faͤllt mir
ein, ich brauchte auch meine Rechnung juſt nicht bis Neujahr
ſtehen zu laſſen, ſondern ich wolle ſie als vor der Hand be-
zahlen. Sie koͤnnten’s brauchen.“ — „Auch gut!“ verſetzte
Stilling; er ging, holte das Buch, machte die Rechnung
und empfing zehn Reichsthaler.
Dieſer Beiſpiele erfuhr Stilling ſehr viele, er wurde auch
dadurch im Glauben ſehr geſtaͤrkt und zum Ausharren er-
muntert.
Den 5. Januar 1773 gebar ihm Chriſtine eine Tochter,
und obgleich Alles den gewoͤhnlichen Weg der Natur ging, ſo
gab es doch wieder ſechs erſchreckliche Stunden, in welchen
die Furie Hyſterik ihre Krallen recht gebrauchte: denn bei
dem Eintritt der Milch in die Bruͤſte wurde die arme Frau
wie ein Wurm hin und her geſchleudert; ſolche Zeiten waren
auch immer durchdringende Laͤuterungsfeuer fuͤr Stilling.
Im folgenden Fruͤhjahr, als er an einem Sonnabend auf
ein benachbartes Dorf ritt, welches anderthalb Stunden von
Schoͤnenthal liegt, um Kranke zu beſuchen, und den gan-
zen Tag Haͤuſer und Huͤtten durchkrochen hatte, ſo kam am
Abend eine arme, junge, wohlgeſtaltete Frau uͤber die Straße
hergeſtiegen, die war blind, und ließ ſich fuͤhren; nun hatte
Stilling noch immer einen vorzuͤglichen Ruf in der Heilung
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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