Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

habt, und ihm die besten Brocken in den Mund gesteckt? Es
wäre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um
Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan-
gen ist, sich durch den Schornstein eines solchen Hauses hin-
unterschlengerte und alles Essen vergiftete. Wie er eben auf
den Drachen kam, ist kein Wunder, denn er hatte selbsten vor
einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen
großen durch die Luft fliegen sehen, und er glaubte bis jetzt
noch fest, daß es einer von den obersten Teufeln selbst gewesen.

So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald
an dem, daß er die lateinische Schule nach und nach verlas-
sen und seinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die-
ses war schweres Leiden für ihn; er lebte nur in den Bü-
chern, und es däuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit
genug zum Lesen; deßwegen sehnte er sich unbeschreiblich, ein-
mal Schulmeister zu werden. Dieses war in seinen Augen
die höchste Ehrenstelle, die er jemals zu erreichen glaubte.
Der Gedanke, ein Pastor zu werden, war zu weit jenseits sei-
ner Sphäre. Wenn er sich aber zuweilen hinaufschwung, sich
auf die Kanzel dachte und sich dazu vorstellte, wie selig es sey,
ein ganzes Leben unter Büchern hinzubringen, so erweiterte
sich sein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann
fiel ihm wohl zuweilen ein: Gott hat mir diesen Trieb
nicht umsonst eingeschaffen, ich will ruhig seyn,
Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen
.

Dieser Enthusiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn seine
Leute nicht zu Haus waren, eine lustige Comödie zu spielen;
er versammelte so viel Kinder um sich her, als er zusammen-
treiben konnte, hing einen schwarzen Weiberschurz auf den
Rücken, machte sich einen Kragen von weißem Papier, trat
alsdann auf einen Lehnstuhl, sö, daß er die Lehne vor sich
hatte, und dann fing er mit einem Anstand an zu Predigen,
der alle Zuhörer in Erstaunen setzte. Dieses that er oft, denn
es war auch sein einziges Kinderspiel, das er jemalen mag
getrieben haben.

Nun trug es sich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte,
und seinen Zuhörern die Hölle heiß machte, daß Herr Pastor

habt, und ihm die beſten Brocken in den Mund geſteckt? Es
waͤre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um
Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan-
gen iſt, ſich durch den Schornſtein eines ſolchen Hauſes hin-
unterſchlengerte und alles Eſſen vergiftete. Wie er eben auf
den Drachen kam, iſt kein Wunder, denn er hatte ſelbſten vor
einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen
großen durch die Luft fliegen ſehen, und er glaubte bis jetzt
noch feſt, daß es einer von den oberſten Teufeln ſelbſt geweſen.

So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald
an dem, daß er die lateiniſche Schule nach und nach verlaſ-
ſen und ſeinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die-
ſes war ſchweres Leiden fuͤr ihn; er lebte nur in den Buͤ-
chern, und es daͤuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit
genug zum Leſen; deßwegen ſehnte er ſich unbeſchreiblich, ein-
mal Schulmeiſter zu werden. Dieſes war in ſeinen Augen
die hoͤchſte Ehrenſtelle, die er jemals zu erreichen glaubte.
Der Gedanke, ein Paſtor zu werden, war zu weit jenſeits ſei-
ner Sphaͤre. Wenn er ſich aber zuweilen hinaufſchwung, ſich
auf die Kanzel dachte und ſich dazu vorſtellte, wie ſelig es ſey,
ein ganzes Leben unter Buͤchern hinzubringen, ſo erweiterte
ſich ſein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann
fiel ihm wohl zuweilen ein: Gott hat mir dieſen Trieb
nicht umſonſt eingeſchaffen, ich will ruhig ſeyn,
Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen
.

Dieſer Enthuſiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn ſeine
Leute nicht zu Haus waren, eine luſtige Comoͤdie zu ſpielen;
er verſammelte ſo viel Kinder um ſich her, als er zuſammen-
treiben konnte, hing einen ſchwarzen Weiberſchurz auf den
Ruͤcken, machte ſich einen Kragen von weißem Papier, trat
alsdann auf einen Lehnſtuhl, ſoͤ, daß er die Lehne vor ſich
hatte, und dann fing er mit einem Anſtand an zu Predigen,
der alle Zuhoͤrer in Erſtaunen ſetzte. Dieſes that er oft, denn
es war auch ſein einziges Kinderſpiel, das er jemalen mag
getrieben haben.

Nun trug es ſich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte,
und ſeinen Zuhoͤrern die Hoͤlle heiß machte, daß Herr Paſtor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0113" n="105"/>
habt, und ihm die be&#x017F;ten Brocken in den Mund ge&#x017F;teckt? Es<lb/>
wa&#x0364;re doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um<lb/>
Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan-<lb/>
gen i&#x017F;t, &#x017F;ich durch den Schorn&#x017F;tein eines &#x017F;olchen Hau&#x017F;es hin-<lb/>
unter&#x017F;chlengerte und alles E&#x017F;&#x017F;en vergiftete. Wie er eben auf<lb/>
den Drachen kam, i&#x017F;t kein Wunder, denn er hatte &#x017F;elb&#x017F;ten vor<lb/>
einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen<lb/>
großen durch die Luft fliegen &#x017F;ehen, und er glaubte bis jetzt<lb/>
noch fe&#x017F;t, daß es einer von den ober&#x017F;ten Teufeln &#x017F;elb&#x017F;t gewe&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald<lb/>
an dem, daß er die lateini&#x017F;che Schule nach und nach verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en und &#x017F;einem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die-<lb/>
&#x017F;es war &#x017F;chweres Leiden fu&#x0364;r ihn; er lebte nur in den Bu&#x0364;-<lb/>
chern, und es da&#x0364;uchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit<lb/>
genug zum Le&#x017F;en; deßwegen &#x017F;ehnte er &#x017F;ich unbe&#x017F;chreiblich, ein-<lb/>
mal Schulmei&#x017F;ter zu werden. Die&#x017F;es war in &#x017F;einen Augen<lb/>
die ho&#x0364;ch&#x017F;te Ehren&#x017F;telle, die er jemals zu erreichen glaubte.<lb/>
Der Gedanke, ein Pa&#x017F;tor zu werden, war zu weit jen&#x017F;eits &#x017F;ei-<lb/>
ner Spha&#x0364;re. Wenn er &#x017F;ich aber zuweilen hinauf&#x017F;chwung, &#x017F;ich<lb/>
auf die Kanzel dachte und &#x017F;ich dazu vor&#x017F;tellte, wie &#x017F;elig es &#x017F;ey,<lb/>
ein ganzes Leben unter Bu&#x0364;chern hinzubringen, &#x017F;o erweiterte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann<lb/>
fiel ihm wohl zuweilen ein: <hi rendition="#g">Gott hat mir die&#x017F;en Trieb<lb/>
nicht um&#x017F;on&#x017F;t einge&#x017F;chaffen, ich will ruhig &#x017F;eyn,<lb/>
Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen</hi>.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Enthu&#x017F;iasmus verleitete ihn zuweilen, wenn &#x017F;eine<lb/>
Leute nicht zu Haus waren, eine lu&#x017F;tige Como&#x0364;die zu &#x017F;pielen;<lb/>
er ver&#x017F;ammelte &#x017F;o viel Kinder um &#x017F;ich her, als er zu&#x017F;ammen-<lb/>
treiben konnte, hing einen &#x017F;chwarzen Weiber&#x017F;churz auf den<lb/>
Ru&#x0364;cken, machte &#x017F;ich einen Kragen von weißem Papier, trat<lb/>
alsdann auf einen Lehn&#x017F;tuhl, &#x017F;o&#x0364;, daß er die Lehne vor &#x017F;ich<lb/>
hatte, und dann fing er mit einem An&#x017F;tand an zu Predigen,<lb/>
der alle Zuho&#x0364;rer in Er&#x017F;taunen &#x017F;etzte. Die&#x017F;es that er oft, denn<lb/>
es war auch &#x017F;ein einziges Kinder&#x017F;piel, das er jemalen mag<lb/>
getrieben haben.</p><lb/>
            <p>Nun trug es &#x017F;ich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte,<lb/>
und &#x017F;einen Zuho&#x0364;rern die Ho&#x0364;lle heiß machte, daß Herr Pa&#x017F;tor<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0113] habt, und ihm die beſten Brocken in den Mund geſteckt? Es waͤre doch kein Wunder, wenn einmal ein feuriger Drache um Mitternacht, wenn das Viertel des Mondes eben untergegan- gen iſt, ſich durch den Schornſtein eines ſolchen Hauſes hin- unterſchlengerte und alles Eſſen vergiftete. Wie er eben auf den Drachen kam, iſt kein Wunder, denn er hatte ſelbſten vor einigen Tagen des Abends, als er nach Haus ging, einen großen durch die Luft fliegen ſehen, und er glaubte bis jetzt noch feſt, daß es einer von den oberſten Teufeln ſelbſt geweſen. So verfloß die Zeit unter der Hand, und es war nun bald an dem, daß er die lateiniſche Schule nach und nach verlaſ- ſen und ſeinem Vater am Handwerk helfen mußte; doch die- ſes war ſchweres Leiden fuͤr ihn; er lebte nur in den Buͤ- chern, und es daͤuchte ihm immer, man ließe ihm nicht Zeit genug zum Leſen; deßwegen ſehnte er ſich unbeſchreiblich, ein- mal Schulmeiſter zu werden. Dieſes war in ſeinen Augen die hoͤchſte Ehrenſtelle, die er jemals zu erreichen glaubte. Der Gedanke, ein Paſtor zu werden, war zu weit jenſeits ſei- ner Sphaͤre. Wenn er ſich aber zuweilen hinaufſchwung, ſich auf die Kanzel dachte und ſich dazu vorſtellte, wie ſelig es ſey, ein ganzes Leben unter Buͤchern hinzubringen, ſo erweiterte ſich ſein Herz, er wurde von Wonne durchdrungen, und dann fiel ihm wohl zuweilen ein: Gott hat mir dieſen Trieb nicht umſonſt eingeſchaffen, ich will ruhig ſeyn, Er wird mich leiten, und ich will Ihm folgen. Dieſer Enthuſiasmus verleitete ihn zuweilen, wenn ſeine Leute nicht zu Haus waren, eine luſtige Comoͤdie zu ſpielen; er verſammelte ſo viel Kinder um ſich her, als er zuſammen- treiben konnte, hing einen ſchwarzen Weiberſchurz auf den Ruͤcken, machte ſich einen Kragen von weißem Papier, trat alsdann auf einen Lehnſtuhl, ſoͤ, daß er die Lehne vor ſich hatte, und dann fing er mit einem Anſtand an zu Predigen, der alle Zuhoͤrer in Erſtaunen ſetzte. Dieſes that er oft, denn es war auch ſein einziges Kinderſpiel, das er jemalen mag getrieben haben. Nun trug es ſich einsmalen zu, als er recht heftig deklamirte, und ſeinen Zuhoͤrern die Hoͤlle heiß machte, daß Herr Paſtor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/113
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/113>, abgerufen am 18.12.2024.