"er denn so da am Tisch saß und zitterte, so verschüttete er "immer Vieles, auch floß ihm zuweilen Etwas wieder aus "dem Mund. Das eckelte dann seinem Sohn und seiner Schnur, "und deßwegen mußte der alte Großvater endlich hinter dem "Ofen im Eck essen; sie gaben ihm etwas in einem irdenen "Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt. Ich hab' "ihn wohl sehen essen, er sah so betrübt nach dem Tisch, und "die Augen waren ihm dann naß. Nun hat er ehegestern sein "irdenes Schüsselchen zerbrochen. Die junge Frau keiffte sehr "mit ihm, er sagte aber nichts, sondern seufzte nur. Da kauf- "ten sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, "da mußte er gestern Mittag zum Erstenmal daraus essen; "wie sie so da sitzen, so schleppt der kleine Knabe von vier- "thalb Jahr auf der Erde kleine Brettchen zusammen. Der "junge Frühling fragte: was machst du da, Peter? Ho! "sagte das Kind, ich mach' ein Tröglein, daraus sol- "len Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin. "Der junge Frühling und seine Frau sahen sich eine Weile "an, fingen endlich an zu weinen und holten alsofort den alten "Großvater an den Tisch und ließen ihn mit essen."
Die Kinder sprangen in die Höhe, klaschten in die Hände, lachten und riefen: das ist recht artig; sagte das der kleine Peter? Ja, versetzte der Knabe, ich bin dabei gestanden, wie's geschah. Heinrich Stilling aber lachte nicht, er stand da und sah vor sich nieder; die Geschichte drang ihm durch Mark und Bein bis ins Innerste seiner Seele; end- lich fing er an: das sollte meinem Großvater widerfahren seyn! Ich glaube, er wäre von seinem hölzernen Schüsselchen auf- gestanden, in die Ecke der Stube gegangen und dann hätte er sich hingestellt und gerufen: Herr, stärke mich in dieser Stube, daß ich mich einst räche an diesen Philistern! Dann hätte er sich gegen den Eckpfosten gesträubt und das Haus eingeworfen. Sachte! sachte! Stilling! redete ihm der größten Knaben einer ein, das wäre doch von deinem Groß- vater ein wenig zu arg gewesen. Du hast recht! sagte hein- rich; aber denk! es ist doch recht satanisch: wie oft hat wohl der alte Frühling seinen Jungen auf dem Schoos ge-
„er denn ſo da am Tiſch ſaß und zitterte, ſo verſchuͤttete er „immer Vieles, auch floß ihm zuweilen Etwas wieder aus „dem Mund. Das eckelte dann ſeinem Sohn und ſeiner Schnur, „und deßwegen mußte der alte Großvater endlich hinter dem „Ofen im Eck eſſen; ſie gaben ihm etwas in einem irdenen „Schuͤſſelchen und noch dazu nicht einmal ſatt. Ich hab’ „ihn wohl ſehen eſſen, er ſah ſo betruͤbt nach dem Tiſch, und „die Augen waren ihm dann naß. Nun hat er ehegeſtern ſein „irdenes Schuͤſſelchen zerbrochen. Die junge Frau keiffte ſehr „mit ihm, er ſagte aber nichts, ſondern ſeufzte nur. Da kauf- „ten ſie ihm ein hoͤlzernes Schuͤſſelchen fuͤr ein paar Heller, „da mußte er geſtern Mittag zum Erſtenmal daraus eſſen; „wie ſie ſo da ſitzen, ſo ſchleppt der kleine Knabe von vier- „thalb Jahr auf der Erde kleine Brettchen zuſammen. Der „junge Fruͤhling fragte: was machſt du da, Peter? Ho! „ſagte das Kind, ich mach’ ein Troͤglein, daraus ſol- „len Vater und Mutter eſſen, wenn ich groß bin. „Der junge Fruͤhling und ſeine Frau ſahen ſich eine Weile „an, fingen endlich an zu weinen und holten alſofort den alten „Großvater an den Tiſch und ließen ihn mit eſſen.“
Die Kinder ſprangen in die Hoͤhe, klaſchten in die Haͤnde, lachten und riefen: das iſt recht artig; ſagte das der kleine Peter? Ja, verſetzte der Knabe, ich bin dabei geſtanden, wie’s geſchah. Heinrich Stilling aber lachte nicht, er ſtand da und ſah vor ſich nieder; die Geſchichte drang ihm durch Mark und Bein bis ins Innerſte ſeiner Seele; end- lich fing er an: das ſollte meinem Großvater widerfahren ſeyn! Ich glaube, er waͤre von ſeinem hoͤlzernen Schuͤſſelchen auf- geſtanden, in die Ecke der Stube gegangen und dann haͤtte er ſich hingeſtellt und gerufen: Herr, ſtaͤrke mich in dieſer Stube, daß ich mich einſt raͤche an dieſen Philiſtern! Dann haͤtte er ſich gegen den Eckpfoſten geſtraͤubt und das Haus eingeworfen. Sachte! ſachte! Stilling! redete ihm der groͤßten Knaben einer ein, das waͤre doch von deinem Groß- vater ein wenig zu arg geweſen. Du haſt recht! ſagte hein- rich; aber denk! es iſt doch recht ſataniſch: wie oft hat wohl der alte Fruͤhling ſeinen Jungen auf dem Schoos ge-
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„er denn ſo da am Tiſch ſaß und zitterte, ſo verſchuͤttete er
„immer Vieles, auch floß ihm zuweilen Etwas wieder aus
„dem Mund. Das eckelte dann ſeinem Sohn und ſeiner Schnur,
„und deßwegen mußte der alte Großvater endlich hinter dem
„Ofen im Eck eſſen; ſie gaben ihm etwas in einem irdenen
„Schuͤſſelchen und noch dazu nicht einmal ſatt. Ich hab’
„ihn wohl ſehen eſſen, er ſah ſo betruͤbt nach dem Tiſch, und
„die Augen waren ihm dann naß. Nun hat er ehegeſtern ſein
„irdenes Schuͤſſelchen zerbrochen. Die junge Frau keiffte ſehr
„mit ihm, er ſagte aber nichts, ſondern ſeufzte nur. Da kauf-
„ten ſie ihm ein hoͤlzernes Schuͤſſelchen fuͤr ein paar Heller,
„da mußte er geſtern Mittag zum Erſtenmal daraus eſſen;
„wie ſie ſo da ſitzen, ſo ſchleppt der kleine Knabe von vier-
„thalb Jahr auf der Erde kleine Brettchen zuſammen. Der
„junge Fruͤhling fragte: was machſt du da, Peter? Ho!
„ſagte das Kind, ich mach’ ein Troͤglein, daraus ſol-
„len Vater und Mutter eſſen, wenn ich groß bin.
„Der junge Fruͤhling und ſeine Frau ſahen ſich eine Weile
„an, fingen endlich an zu weinen und holten alſofort den alten
„Großvater an den Tiſch und ließen ihn mit eſſen.“
Die Kinder ſprangen in die Hoͤhe, klaſchten in die Haͤnde,
lachten und riefen: das iſt recht artig; ſagte das der kleine
Peter? Ja, verſetzte der Knabe, ich bin dabei geſtanden,
wie’s geſchah. Heinrich Stilling aber lachte nicht, er
ſtand da und ſah vor ſich nieder; die Geſchichte drang ihm
durch Mark und Bein bis ins Innerſte ſeiner Seele; end-
lich fing er an: das ſollte meinem Großvater widerfahren ſeyn!
Ich glaube, er waͤre von ſeinem hoͤlzernen Schuͤſſelchen auf-
geſtanden, in die Ecke der Stube gegangen und dann haͤtte
er ſich hingeſtellt und gerufen: Herr, ſtaͤrke mich in dieſer
Stube, daß ich mich einſt raͤche an dieſen Philiſtern! Dann
haͤtte er ſich gegen den Eckpfoſten geſtraͤubt und das Haus
eingeworfen. Sachte! ſachte! Stilling! redete ihm der
groͤßten Knaben einer ein, das waͤre doch von deinem Groß-
vater ein wenig zu arg geweſen. Du haſt recht! ſagte hein-
rich; aber denk! es iſt doch recht ſataniſch: wie oft hat
wohl der alte Fruͤhling ſeinen Jungen auf dem Schoos ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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