Stollbein auf einmal in die Stube trat; er lächelte nicht oft, doch konnte er's jetzt nicht verbeißen; Heinrich lachte aber nicht, sondern er stand wie eine Bildsäule da, blaß wie die Wand, und das Weinen war ihm näher als das Lachen; seine Zuhörer stellten sich alle an die Wand und falteten die Hände. Heinrich sah den Pastor furchtsam an, ob er viel- leicht den Rohrstab aufheben möchte, um ihn zu schlagen; denn das war so seine Gewohnheit, wenn er die Kinder spie- len sah; doch er that's jetzt nicht, er sagte nur: geh herunter und stell dich da hin, wirf den närrischen Anzug von dir! Hein- rich gehorchte gern; Stollbein fuhr fort:
"Ich glaub' du hast wohl den Pastor im Kopf?"
Ich hab' kein Geld zu studiren.
"Du sollst nicht Pastor, sondern Schulmeister werden!"
Das will ich gern, Herr Pastor! aber wenn unser Herr Gott nun haben wollte, daß ich Pastor oder ein anderer ge- lehrter Mann werden sollte, muß ich dann sagen: Nein, lie- ber Gott! ich will Schulmeister bleiben, der Herr Pastor wills nicht haben?
"Halt's Maul, du Esel! weißt du nicht, wen du vor dir hast?"
Nun catechisirte der Pastor die Kinder alle, darin hatte er eine vortreffliche Gabe.
Bei nächster Gelegenheit suchte Herr Stollbein den Wil- helm zu bereden, er möchte doch seinen Sohn studiren lassen, er versprach sogar, Vorschub zu verschaffen: allein dieser Berg war zu hoch, er ließ sich nicht ersteigen.
Heinrich kämpfte indessen in seinem beschwerlichen Zu- stand rechtschaffen; seine Neigung zum Schulhalten war un- aussprechlich; aber nur blos aus dem Grund, um des Hand- werks los zu werden und sich mit Büchern beschäftigen zu können; denn er fühlte selbst gar wohl, daß ihm die Unter- richtung anderer Kinder ewige Langeweile machen würde. Doch machte er sich das Leben so erträglich, als es ihm möglich war. Die Mathematik nebst alten Historien und Ritterge- schichten war sein Fach; denn er hatte wirklich den Tobias Beutel und Bions mathematische Werkschule ziemlich im
Stollbein auf einmal in die Stube trat; er laͤchelte nicht oft, doch konnte er’s jetzt nicht verbeißen; Heinrich lachte aber nicht, ſondern er ſtand wie eine Bildſaͤule da, blaß wie die Wand, und das Weinen war ihm naͤher als das Lachen; ſeine Zuhoͤrer ſtellten ſich alle an die Wand und falteten die Haͤnde. Heinrich ſah den Paſtor furchtſam an, ob er viel- leicht den Rohrſtab aufheben moͤchte, um ihn zu ſchlagen; denn das war ſo ſeine Gewohnheit, wenn er die Kinder ſpie- len ſah; doch er that’s jetzt nicht, er ſagte nur: geh herunter und ſtell dich da hin, wirf den naͤrriſchen Anzug von dir! Hein- rich gehorchte gern; Stollbein fuhr fort:
„Ich glaub’ du haſt wohl den Paſtor im Kopf?“
Ich hab’ kein Geld zu ſtudiren.
„Du ſollſt nicht Paſtor, ſondern Schulmeiſter werden!“
Das will ich gern, Herr Paſtor! aber wenn unſer Herr Gott nun haben wollte, daß ich Paſtor oder ein anderer ge- lehrter Mann werden ſollte, muß ich dann ſagen: Nein, lie- ber Gott! ich will Schulmeiſter bleiben, der Herr Paſtor wills nicht haben?
„Halt’s Maul, du Eſel! weißt du nicht, wen du vor dir haſt?“
Nun catechiſirte der Paſtor die Kinder alle, darin hatte er eine vortreffliche Gabe.
Bei naͤchſter Gelegenheit ſuchte Herr Stollbein den Wil- helm zu bereden, er moͤchte doch ſeinen Sohn ſtudiren laſſen, er verſprach ſogar, Vorſchub zu verſchaffen: allein dieſer Berg war zu hoch, er ließ ſich nicht erſteigen.
Heinrich kaͤmpfte indeſſen in ſeinem beſchwerlichen Zu- ſtand rechtſchaffen; ſeine Neigung zum Schulhalten war un- ausſprechlich; aber nur blos aus dem Grund, um des Hand- werks los zu werden und ſich mit Buͤchern beſchaͤftigen zu koͤnnen; denn er fuͤhlte ſelbſt gar wohl, daß ihm die Unter- richtung anderer Kinder ewige Langeweile machen wuͤrde. Doch machte er ſich das Leben ſo ertraͤglich, als es ihm moͤglich war. Die Mathematik nebſt alten Hiſtorien und Ritterge- ſchichten war ſein Fach; denn er hatte wirklich den Tobias Beutel und Bions mathematiſche Werkſchule ziemlich im
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Stollbein auf einmal in die Stube trat; er laͤchelte nicht
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aber nicht, ſondern er ſtand wie eine Bildſaͤule da, blaß wie
die Wand, und das Weinen war ihm naͤher als das Lachen;
ſeine Zuhoͤrer ſtellten ſich alle an die Wand und falteten die
Haͤnde. Heinrich ſah den Paſtor furchtſam an, ob er viel-
leicht den Rohrſtab aufheben moͤchte, um ihn zu ſchlagen;
denn das war ſo ſeine Gewohnheit, wenn er die Kinder ſpie-
len ſah; doch er that’s jetzt nicht, er ſagte nur: geh herunter
und ſtell dich da hin, wirf den naͤrriſchen Anzug von dir! Hein-
rich gehorchte gern; Stollbein fuhr fort:
„Ich glaub’ du haſt wohl den Paſtor im Kopf?“
Ich hab’ kein Geld zu ſtudiren.
„Du ſollſt nicht Paſtor, ſondern Schulmeiſter werden!“
Das will ich gern, Herr Paſtor! aber wenn unſer Herr
Gott nun haben wollte, daß ich Paſtor oder ein anderer ge-
lehrter Mann werden ſollte, muß ich dann ſagen: Nein, lie-
ber Gott! ich will Schulmeiſter bleiben, der Herr Paſtor wills
nicht haben?
„Halt’s Maul, du Eſel! weißt du nicht, wen du vor dir
haſt?“
Nun catechiſirte der Paſtor die Kinder alle, darin hatte er
eine vortreffliche Gabe.
Bei naͤchſter Gelegenheit ſuchte Herr Stollbein den Wil-
helm zu bereden, er moͤchte doch ſeinen Sohn ſtudiren laſſen,
er verſprach ſogar, Vorſchub zu verſchaffen: allein dieſer
Berg war zu hoch, er ließ ſich nicht erſteigen.
Heinrich kaͤmpfte indeſſen in ſeinem beſchwerlichen Zu-
ſtand rechtſchaffen; ſeine Neigung zum Schulhalten war un-
ausſprechlich; aber nur blos aus dem Grund, um des Hand-
werks los zu werden und ſich mit Buͤchern beſchaͤftigen zu
koͤnnen; denn er fuͤhlte ſelbſt gar wohl, daß ihm die Unter-
richtung anderer Kinder ewige Langeweile machen wuͤrde. Doch
machte er ſich das Leben ſo ertraͤglich, als es ihm moͤglich
war. Die Mathematik nebſt alten Hiſtorien und Ritterge-
ſchichten war ſein Fach; denn er hatte wirklich den Tobias
Beutel und Bions mathematiſche Werkſchule ziemlich im
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/114>, abgerufen am 27.11.2024.
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