Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52.
werden. Die Aufstellung der obigen Regel enthält die Lösung:
der Beklagte richtet seinen Widerspruch formell gegen die Existenz
der Obligation und begründet denselben vor dem Richter mit
dem Beweise seines Eigenthums. Processualisch wird letzteres
also weder in der Klage, noch im Urtheil sichtbar. Aber wie
kann der Richter über das Dasein des Eigenthums erkennen, da
er zu dem Zweck des Vindicationsverfahrens bedarf? Wäre die
letztere Annahme wahr, so hätte die Sache erst an den Prätor
zurückgewiesen werden müssen (B. 2 S. 600), und in den an-
hängigen Proceß wäre ein anderer eingeschoben worden -- eine
processualische Monstrosität, zu der kein Jurist die Hand geboten
hätte. Wie half man sich in dem Fall? Durch das (B. 2 S. 85)
bereits gelegentlich erwähnte Mittel der sponsio praejudicialis.
Die Eigenthumsfrage trat hier als Präjudicialfrage für das
Urtheil auf, der Richter war mithin nicht bloß berechtigt, son-
dern verpflichtet, den Partheien die Eingehung einer sponsio
praejudicialis
über jene Frage aufzuerlegen. 53) Der Proceß
büßte damit den Charakter einer in personam actio in keiner
Weise ein, denn jene sponsio hatte trotz ihres Zweckes doch der
Form nach ebenfalls eine Obligation zum Gegenstande.
Möglicherweise erfolgte die Erledigung des Präjudicialpunktes
bereits vor der Constituirung des Judiciums über die persönliche
Klage, so daß je nach Ausfall des Vorverfahrens das Haupt-
verfahren entweder unterblieb oder zu Stande kam.

Ein Gegenstück zu diesem Conflict des Eigenthums mit
der Obligation liefert der des Eigenthums mit dem Be-
sitz
. Obschon der Einwand des Eigenthums den Besitzesklagen
gegenüber regelmäßig unzulässig ist, so macht doch vermöge der
obigen Regel das interdictum de precario eine Ausnahme da-

53) Gaj. IV. §. 93: Si homo, quo de agitur, ex jure Quiritium meus
est, sestertios XXV nummos dare spondes?
-- Hier stellte also der Be-
sitzer
der Sache eine in rem actio an (so wird sie bezeichnet von Gaj. IV,
91), abermals einer von den vielen Fällen des "unus casus" der Institutio-
nen (§. 2 I. de act. 4. 6).
5*

A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52.
werden. Die Aufſtellung der obigen Regel enthält die Löſung:
der Beklagte richtet ſeinen Widerſpruch formell gegen die Exiſtenz
der Obligation und begründet denſelben vor dem Richter mit
dem Beweiſe ſeines Eigenthums. Proceſſualiſch wird letzteres
alſo weder in der Klage, noch im Urtheil ſichtbar. Aber wie
kann der Richter über das Daſein des Eigenthums erkennen, da
er zu dem Zweck des Vindicationsverfahrens bedarf? Wäre die
letztere Annahme wahr, ſo hätte die Sache erſt an den Prätor
zurückgewieſen werden müſſen (B. 2 S. 600), und in den an-
hängigen Proceß wäre ein anderer eingeſchoben worden — eine
proceſſualiſche Monſtroſität, zu der kein Juriſt die Hand geboten
hätte. Wie half man ſich in dem Fall? Durch das (B. 2 S. 85)
bereits gelegentlich erwähnte Mittel der sponsio praejudicialis.
Die Eigenthumsfrage trat hier als Präjudicialfrage für das
Urtheil auf, der Richter war mithin nicht bloß berechtigt, ſon-
dern verpflichtet, den Partheien die Eingehung einer sponsio
praejudicialis
über jene Frage aufzuerlegen. 53) Der Proceß
büßte damit den Charakter einer in personam actio in keiner
Weiſe ein, denn jene sponsio hatte trotz ihres Zweckes doch der
Form nach ebenfalls eine Obligation zum Gegenſtande.
Möglicherweiſe erfolgte die Erledigung des Präjudicialpunktes
bereits vor der Conſtituirung des Judiciums über die perſönliche
Klage, ſo daß je nach Ausfall des Vorverfahrens das Haupt-
verfahren entweder unterblieb oder zu Stande kam.

Ein Gegenſtück zu dieſem Conflict des Eigenthums mit
der Obligation liefert der des Eigenthums mit dem Be-
ſitz
. Obſchon der Einwand des Eigenthums den Beſitzesklagen
gegenüber regelmäßig unzuläſſig iſt, ſo macht doch vermöge der
obigen Regel das interdictum de precario eine Ausnahme da-

53) Gaj. IV. §. 93: Si homo, quo de agitur, ex jure Quiritium meus
est, sestertios XXV nummos dare spondes?
— Hier ſtellte alſo der Be-
ſitzer
der Sache eine in rem actio an (ſo wird ſie bezeichnet von Gaj. IV,
91), abermals einer von den vielen Fällen des „unus casus“ der Inſtitutio-
nen (§. 2 I. de act. 4. 6).
5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <div n="11">
                            <p><pb facs="#f0083" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Vertheidigung. Gegenan&#x017F;prüche in Negationsform. §. 52.</fw><lb/>
werden. Die Auf&#x017F;tellung der obigen Regel enthält die Lö&#x017F;ung:<lb/>
der Beklagte richtet &#x017F;einen Wider&#x017F;pruch formell gegen die Exi&#x017F;tenz<lb/>
der <hi rendition="#g">Obligation</hi> und begründet den&#x017F;elben vor dem Richter mit<lb/>
dem Bewei&#x017F;e &#x017F;eines Eigenthums. Proce&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;ch wird letzteres<lb/>
al&#x017F;o weder in der <hi rendition="#g">Klage</hi>, noch im <hi rendition="#g">Urtheil</hi> &#x017F;ichtbar. Aber wie<lb/>
kann der Richter über das Da&#x017F;ein des Eigenthums erkennen, da<lb/>
er zu <hi rendition="#g">dem</hi> Zweck des Vindicationsverfahrens bedarf? Wäre die<lb/>
letztere Annahme wahr, &#x017F;o hätte die Sache er&#x017F;t an den Prätor<lb/>
zurückgewie&#x017F;en werden mü&#x017F;&#x017F;en (B. 2 S. 600), und in den an-<lb/>
hängigen Proceß wäre ein anderer einge&#x017F;choben worden &#x2014; eine<lb/>
proce&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;che Mon&#x017F;tro&#x017F;ität, zu der kein Juri&#x017F;t die Hand geboten<lb/>
hätte. Wie half man &#x017F;ich in dem Fall? Durch das (B. 2 S. 85)<lb/>
bereits gelegentlich erwähnte Mittel der <hi rendition="#aq">sponsio praejudicialis.</hi><lb/>
Die Eigenthumsfrage trat hier als Präjudicialfrage für das<lb/>
Urtheil auf, der Richter war mithin nicht bloß berechtigt, &#x017F;on-<lb/>
dern verpflichtet, den Partheien die Eingehung einer <hi rendition="#aq">sponsio<lb/>
praejudicialis</hi> über jene Frage aufzuerlegen. <note place="foot" n="53)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV. §. 93: Si homo, quo de agitur, ex jure Quiritium meus<lb/>
est, sestertios XXV nummos dare spondes?</hi> &#x2014; Hier &#x017F;tellte al&#x017F;o der <hi rendition="#g">Be-<lb/>
&#x017F;itzer</hi> der Sache eine <hi rendition="#aq">in rem actio</hi> an (&#x017F;o wird &#x017F;ie bezeichnet von <hi rendition="#aq">Gaj. IV,</hi><lb/>
91), abermals einer von den vielen Fällen des <hi rendition="#aq">&#x201E;unus casus&#x201C;</hi> der In&#x017F;titutio-<lb/>
nen (§. 2 <hi rendition="#aq">I. de act.</hi> 4. 6).</note> Der Proceß<lb/>
büßte damit den Charakter einer <hi rendition="#aq">in personam actio</hi> in keiner<lb/>
Wei&#x017F;e ein, denn jene <hi rendition="#aq">sponsio</hi> hatte trotz ihres Zweckes doch der<lb/>
Form nach ebenfalls eine <hi rendition="#g">Obligation</hi> zum Gegen&#x017F;tande.<lb/>
Möglicherwei&#x017F;e erfolgte die Erledigung des Präjudicialpunktes<lb/>
bereits <hi rendition="#g">vor</hi> der Con&#x017F;tituirung des Judiciums über die per&#x017F;önliche<lb/>
Klage, &#x017F;o daß je nach Ausfall des Vorverfahrens das Haupt-<lb/>
verfahren entweder unterblieb oder zu Stande kam.</p><lb/>
                            <p>Ein Gegen&#x017F;tück zu die&#x017F;em Conflict des <hi rendition="#g">Eigenthums</hi> mit<lb/>
der <hi rendition="#g">Obligation</hi> liefert der des <hi rendition="#g">Eigenthums</hi> mit dem <hi rendition="#g">Be-<lb/>
&#x017F;itz</hi>. Ob&#x017F;chon der Einwand des Eigenthums den Be&#x017F;itzesklagen<lb/>
gegenüber regelmäßig unzulä&#x017F;&#x017F;ig i&#x017F;t, &#x017F;o macht doch vermöge der<lb/>
obigen Regel das <hi rendition="#aq">interdictum de precario</hi> eine Ausnahme da-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
                          </div>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0083] A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenanſprüche in Negationsform. §. 52. werden. Die Aufſtellung der obigen Regel enthält die Löſung: der Beklagte richtet ſeinen Widerſpruch formell gegen die Exiſtenz der Obligation und begründet denſelben vor dem Richter mit dem Beweiſe ſeines Eigenthums. Proceſſualiſch wird letzteres alſo weder in der Klage, noch im Urtheil ſichtbar. Aber wie kann der Richter über das Daſein des Eigenthums erkennen, da er zu dem Zweck des Vindicationsverfahrens bedarf? Wäre die letztere Annahme wahr, ſo hätte die Sache erſt an den Prätor zurückgewieſen werden müſſen (B. 2 S. 600), und in den an- hängigen Proceß wäre ein anderer eingeſchoben worden — eine proceſſualiſche Monſtroſität, zu der kein Juriſt die Hand geboten hätte. Wie half man ſich in dem Fall? Durch das (B. 2 S. 85) bereits gelegentlich erwähnte Mittel der sponsio praejudicialis. Die Eigenthumsfrage trat hier als Präjudicialfrage für das Urtheil auf, der Richter war mithin nicht bloß berechtigt, ſon- dern verpflichtet, den Partheien die Eingehung einer sponsio praejudicialis über jene Frage aufzuerlegen. 53) Der Proceß büßte damit den Charakter einer in personam actio in keiner Weiſe ein, denn jene sponsio hatte trotz ihres Zweckes doch der Form nach ebenfalls eine Obligation zum Gegenſtande. Möglicherweiſe erfolgte die Erledigung des Präjudicialpunktes bereits vor der Conſtituirung des Judiciums über die perſönliche Klage, ſo daß je nach Ausfall des Vorverfahrens das Haupt- verfahren entweder unterblieb oder zu Stande kam. Ein Gegenſtück zu dieſem Conflict des Eigenthums mit der Obligation liefert der des Eigenthums mit dem Be- ſitz. Obſchon der Einwand des Eigenthums den Beſitzesklagen gegenüber regelmäßig unzuläſſig iſt, ſo macht doch vermöge der obigen Regel das interdictum de precario eine Ausnahme da- 53) Gaj. IV. §. 93: Si homo, quo de agitur, ex jure Quiritium meus est, sestertios XXV nummos dare spondes? — Hier ſtellte alſo der Be- ſitzer der Sache eine in rem actio an (ſo wird ſie bezeichnet von Gaj. IV, 91), abermals einer von den vielen Fällen des „unus casus“ der Inſtitutio- nen (§. 2 I. de act. 4. 6). 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/83
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/83>, abgerufen am 03.05.2024.