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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
einige dieser Contracte begreift sich dies auch vom Standpunkt
des materiellen Rechts aus, für andere aber schlechterdings nicht,
denn warum sollte z. B. der Usufructuar dem Eigenthümer der
Sache dieselbe nicht vermiethen, der Pfandgläubiger dem Ver-
pfänder die zum Faustpfand übergebene Sache nicht zum Pre-
carium 50) überlassen dürfen? Auch rücksichtlich des Kaufs möchte
ich dieselbe Frage aufwerfen, und in der That haben die spätern
Juristen sie nicht bloß rücksichtlich seiner bejaht, sondern über-
haupt die Regel in einer Weise eingeschränkt, die sie mit dem
Interesse des materiellen Rechts mehr in Einklang setzt, als
sie es ihrer Fassung nach ursprünglich gewesen sein kann. 51)

Was war nun denn der ursprüngliche Sinn und Zweck der
Regel? Die Antwort sollen uns zwei Fälle geben! Angenom-
men, es hätte ein Vermiether zu einer Zeit, als man im Formu-
larproceß noch keine Exceptionen zuließ, auf Rückgabe der ver-
mietheten Sache und auf Zahlung des Miethzinses geklagt, der
Miether aber inzwischen in Erfahrung gebracht, daß die Sache
die seinige sei; sollte und konnte man ihn mit diesem Einwand
hören? Die Juristen waren der Ansicht, daß dies in dem Fall
der Billigkeit entspreche, wenn er bereits zur Zeit des Abschlusses
des Contracts Eigenthümer gewesen sei. 52) Aber in welcher
Form sollte man diesen Einwand zulassen? In seiner nackten
Gestalt als Berufung auf das eigene Eigenthum war er un-
möglich, denn in dem Proceß über die Obligation kann nicht
von der andern Seite die Eigenthumsfrage eingemischt

50) Puchta, welcher diese Möglichkeit annimmt und darauf seine ganze
Ansicht von dem interd. Salvianum gründet (Instit. §. 251 Note b), hat die
obige Regel übersehen, sonst hätte er vielleicht nicht in der Möglichkeit,
sondern der Unmöglichkeit des interd. de precario den Grund zur Ein-
führung jenes Interdicts erblickt.
51) S. namentlich L. 34 §. 4 de cont. emt. (18. 1) und L. 28 de acq.
poss.
(41. 2).
52) Warum man den Einwand auf diesen Fall beschränkte, wird sich aus
der Theorie des Rechtsgeschäfts (§. 53) ergeben, von legislativ politischen
Gründen ganz zu geschweigen.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
einige dieſer Contracte begreift ſich dies auch vom Standpunkt
des materiellen Rechts aus, für andere aber ſchlechterdings nicht,
denn warum ſollte z. B. der Uſufructuar dem Eigenthümer der
Sache dieſelbe nicht vermiethen, der Pfandgläubiger dem Ver-
pfänder die zum Fauſtpfand übergebene Sache nicht zum Pre-
carium 50) überlaſſen dürfen? Auch rückſichtlich des Kaufs möchte
ich dieſelbe Frage aufwerfen, und in der That haben die ſpätern
Juriſten ſie nicht bloß rückſichtlich ſeiner bejaht, ſondern über-
haupt die Regel in einer Weiſe eingeſchränkt, die ſie mit dem
Intereſſe des materiellen Rechts mehr in Einklang ſetzt, als
ſie es ihrer Faſſung nach urſprünglich geweſen ſein kann. 51)

Was war nun denn der urſprüngliche Sinn und Zweck der
Regel? Die Antwort ſollen uns zwei Fälle geben! Angenom-
men, es hätte ein Vermiether zu einer Zeit, als man im Formu-
larproceß noch keine Exceptionen zuließ, auf Rückgabe der ver-
mietheten Sache und auf Zahlung des Miethzinſes geklagt, der
Miether aber inzwiſchen in Erfahrung gebracht, daß die Sache
die ſeinige ſei; ſollte und konnte man ihn mit dieſem Einwand
hören? Die Juriſten waren der Anſicht, daß dies in dem Fall
der Billigkeit entſpreche, wenn er bereits zur Zeit des Abſchluſſes
des Contracts Eigenthümer geweſen ſei. 52) Aber in welcher
Form ſollte man dieſen Einwand zulaſſen? In ſeiner nackten
Geſtalt als Berufung auf das eigene Eigenthum war er un-
möglich, denn in dem Proceß über die Obligation kann nicht
von der andern Seite die Eigenthumsfrage eingemiſcht

50) Puchta, welcher dieſe Möglichkeit annimmt und darauf ſeine ganze
Anſicht von dem interd. Salvianum gründet (Inſtit. §. 251 Note b), hat die
obige Regel überſehen, ſonſt hätte er vielleicht nicht in der Möglichkeit,
ſondern der Unmöglichkeit des interd. de precario den Grund zur Ein-
führung jenes Interdicts erblickt.
51) S. namentlich L. 34 §. 4 de cont. emt. (18. 1) und L. 28 de acq.
poss.
(41. 2).
52) Warum man den Einwand auf dieſen Fall beſchränkte, wird ſich aus
der Theorie des Rechtsgeſchäfts (§. 53) ergeben, von legislativ politiſchen
Gründen ganz zu geſchweigen.
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[66/0082] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. einige dieſer Contracte begreift ſich dies auch vom Standpunkt des materiellen Rechts aus, für andere aber ſchlechterdings nicht, denn warum ſollte z. B. der Uſufructuar dem Eigenthümer der Sache dieſelbe nicht vermiethen, der Pfandgläubiger dem Ver- pfänder die zum Fauſtpfand übergebene Sache nicht zum Pre- carium 50) überlaſſen dürfen? Auch rückſichtlich des Kaufs möchte ich dieſelbe Frage aufwerfen, und in der That haben die ſpätern Juriſten ſie nicht bloß rückſichtlich ſeiner bejaht, ſondern über- haupt die Regel in einer Weiſe eingeſchränkt, die ſie mit dem Intereſſe des materiellen Rechts mehr in Einklang ſetzt, als ſie es ihrer Faſſung nach urſprünglich geweſen ſein kann. 51) Was war nun denn der urſprüngliche Sinn und Zweck der Regel? Die Antwort ſollen uns zwei Fälle geben! Angenom- men, es hätte ein Vermiether zu einer Zeit, als man im Formu- larproceß noch keine Exceptionen zuließ, auf Rückgabe der ver- mietheten Sache und auf Zahlung des Miethzinſes geklagt, der Miether aber inzwiſchen in Erfahrung gebracht, daß die Sache die ſeinige ſei; ſollte und konnte man ihn mit dieſem Einwand hören? Die Juriſten waren der Anſicht, daß dies in dem Fall der Billigkeit entſpreche, wenn er bereits zur Zeit des Abſchluſſes des Contracts Eigenthümer geweſen ſei. 52) Aber in welcher Form ſollte man dieſen Einwand zulaſſen? In ſeiner nackten Geſtalt als Berufung auf das eigene Eigenthum war er un- möglich, denn in dem Proceß über die Obligation kann nicht von der andern Seite die Eigenthumsfrage eingemiſcht 50) Puchta, welcher dieſe Möglichkeit annimmt und darauf ſeine ganze Anſicht von dem interd. Salvianum gründet (Inſtit. §. 251 Note b), hat die obige Regel überſehen, ſonſt hätte er vielleicht nicht in der Möglichkeit, ſondern der Unmöglichkeit des interd. de precario den Grund zur Ein- führung jenes Interdicts erblickt. 51) S. namentlich L. 34 §. 4 de cont. emt. (18. 1) und L. 28 de acq. poss. (41. 2). 52) Warum man den Einwand auf dieſen Fall beſchränkte, wird ſich aus der Theorie des Rechtsgeſchäfts (§. 53) ergeben, von legislativ politiſchen Gründen ganz zu geſchweigen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/82>, abgerufen am 24.11.2024.