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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Absperrung nach außen hin. Bei den meisten dieser Classe an-
gehörigen Rechten gesellt sich noch das Moment der absoluten
Herrschaft d. i. der freien Dispositionsbefugniß oder, wie ich
es fasse (S. 323), der Wahl der Genußformen hinzu. Wie
wenig wesentlich aber dies Moment ist, zeigen die auf den
bloßen usus beschränkten Servituten und das obige Recht an
res religiosae, welches ebenfalls zur Classe der Individualrechte
gehört. Der Charakter der zweiten Classe beruht auf der Ab-
wesenheit des exclusiven Moments, oder positiv ausgedrückt auf
der ungetheilten und untheilbaren Gemeinsamkeit des Genusses.
Zu den Rechten dieser Classe zählt nicht bloß das des Gemein-
gebrauchs, sondern auch die oben beschriebenen, welche Jemand
als Mitglied einer Corporation (Genossenschaft) oder als Desti-
natär einer milden Stiftung hat. Alle diese Rechte sind geknüpft
an die Zugehörigkeit zu einem gewissen Kreise von Personen,
möge er weit oder eng sein, sie entstehen mit dem Eintritt, sie
hören auf mit dem Austritt. Ihre Bestimmung und ihr Nutzen
erschöpft sich nicht in den Interessen dieser gegenwärtigen
Subjecte, sondern sie haben die Interessen der Gattung, auch
der kommenden Generationen zum Gegenstande. Eben daraus
ergibt sich für ihre legislative Gestaltung ein folgenreicher Ge-
sichtspunkt. So wie der Staat in vormundschaftlicher Fürsorge
sich der Personen, die selber ihre Rechte nicht wahren können,
annimmt, so wie dem Ungebornen sein Antheil an der auf ihn
gefallenen Erbschaft gesichert wird, so hat auch der Staat für
die kommenden Geschlechter Fürsorge zu treffen und dafür zu
wachen, daß nicht eine egoistische Gegenwart einen Raub an
ihnen begehe, indem sie das auch für sie mit Bestimmte seiner
Bestimmung entfremde und lediglich für ihre Zwecke verzehre.
Aber andererseits hat doch das lebendige Geschlecht ein höhe-
res Recht, als das noch ungeborne, die Noth des Tages
einen dringlicheren Anspruch, als die Rücksicht auf die Zu-
kunft, es kann Fälle geben, wo jene Consumtion oder die Ver-
änderung des Bestimmungszweckes vollkommen gerechtfertigt

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Abſperrung nach außen hin. Bei den meiſten dieſer Claſſe an-
gehörigen Rechten geſellt ſich noch das Moment der abſoluten
Herrſchaft d. i. der freien Dispoſitionsbefugniß oder, wie ich
es faſſe (S. 323), der Wahl der Genußformen hinzu. Wie
wenig weſentlich aber dies Moment iſt, zeigen die auf den
bloßen usus beſchränkten Servituten und das obige Recht an
res religiosae, welches ebenfalls zur Claſſe der Individualrechte
gehört. Der Charakter der zweiten Claſſe beruht auf der Ab-
weſenheit des excluſiven Moments, oder poſitiv ausgedrückt auf
der ungetheilten und untheilbaren Gemeinſamkeit des Genuſſes.
Zu den Rechten dieſer Claſſe zählt nicht bloß das des Gemein-
gebrauchs, ſondern auch die oben beſchriebenen, welche Jemand
als Mitglied einer Corporation (Genoſſenſchaft) oder als Deſti-
natär einer milden Stiftung hat. Alle dieſe Rechte ſind geknüpft
an die Zugehörigkeit zu einem gewiſſen Kreiſe von Perſonen,
möge er weit oder eng ſein, ſie entſtehen mit dem Eintritt, ſie
hören auf mit dem Austritt. Ihre Beſtimmung und ihr Nutzen
erſchöpft ſich nicht in den Intereſſen dieſer gegenwärtigen
Subjecte, ſondern ſie haben die Intereſſen der Gattung, auch
der kommenden Generationen zum Gegenſtande. Eben daraus
ergibt ſich für ihre legislative Geſtaltung ein folgenreicher Ge-
ſichtspunkt. So wie der Staat in vormundſchaftlicher Fürſorge
ſich der Perſonen, die ſelber ihre Rechte nicht wahren können,
annimmt, ſo wie dem Ungebornen ſein Antheil an der auf ihn
gefallenen Erbſchaft geſichert wird, ſo hat auch der Staat für
die kommenden Geſchlechter Fürſorge zu treffen und dafür zu
wachen, daß nicht eine egoiſtiſche Gegenwart einen Raub an
ihnen begehe, indem ſie das auch für ſie mit Beſtimmte ſeiner
Beſtimmung entfremde und lediglich für ihre Zwecke verzehre.
Aber andererſeits hat doch das lebendige Geſchlecht ein höhe-
res Recht, als das noch ungeborne, die Noth des Tages
einen dringlicheren Anſpruch, als die Rückſicht auf die Zu-
kunft, es kann Fälle geben, wo jene Conſumtion oder die Ver-
änderung des Beſtimmungszweckes vollkommen gerechtfertigt

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[338/0354] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Abſperrung nach außen hin. Bei den meiſten dieſer Claſſe an- gehörigen Rechten geſellt ſich noch das Moment der abſoluten Herrſchaft d. i. der freien Dispoſitionsbefugniß oder, wie ich es faſſe (S. 323), der Wahl der Genußformen hinzu. Wie wenig weſentlich aber dies Moment iſt, zeigen die auf den bloßen usus beſchränkten Servituten und das obige Recht an res religiosae, welches ebenfalls zur Claſſe der Individualrechte gehört. Der Charakter der zweiten Claſſe beruht auf der Ab- weſenheit des excluſiven Moments, oder poſitiv ausgedrückt auf der ungetheilten und untheilbaren Gemeinſamkeit des Genuſſes. Zu den Rechten dieſer Claſſe zählt nicht bloß das des Gemein- gebrauchs, ſondern auch die oben beſchriebenen, welche Jemand als Mitglied einer Corporation (Genoſſenſchaft) oder als Deſti- natär einer milden Stiftung hat. Alle dieſe Rechte ſind geknüpft an die Zugehörigkeit zu einem gewiſſen Kreiſe von Perſonen, möge er weit oder eng ſein, ſie entſtehen mit dem Eintritt, ſie hören auf mit dem Austritt. Ihre Beſtimmung und ihr Nutzen erſchöpft ſich nicht in den Intereſſen dieſer gegenwärtigen Subjecte, ſondern ſie haben die Intereſſen der Gattung, auch der kommenden Generationen zum Gegenſtande. Eben daraus ergibt ſich für ihre legislative Geſtaltung ein folgenreicher Ge- ſichtspunkt. So wie der Staat in vormundſchaftlicher Fürſorge ſich der Perſonen, die ſelber ihre Rechte nicht wahren können, annimmt, ſo wie dem Ungebornen ſein Antheil an der auf ihn gefallenen Erbſchaft geſichert wird, ſo hat auch der Staat für die kommenden Geſchlechter Fürſorge zu treffen und dafür zu wachen, daß nicht eine egoiſtiſche Gegenwart einen Raub an ihnen begehe, indem ſie das auch für ſie mit Beſtimmte ſeiner Beſtimmung entfremde und lediglich für ihre Zwecke verzehre. Aber andererſeits hat doch das lebendige Geſchlecht ein höhe- res Recht, als das noch ungeborne, die Noth des Tages einen dringlicheren Anſpruch, als die Rückſicht auf die Zu- kunft, es kann Fälle geben, wo jene Conſumtion oder die Ver- änderung des Beſtimmungszweckes vollkommen gerechtfertigt

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/354>, abgerufen am 23.11.2024.