Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61.
licher Nothwendigkeit -- in diesem Dienst, in dieser ihrer totalen
Hingabe an den gemeinen Gebrauch (usus publicus) geht ihre
ganze Bestimmung auf. 479) Zu einem Recht aber gestaltet sich
das Verhältniß erst dadurch, daß den Destinatären: den Staats-
angehörigen, Gemeindemitgliedern -- dem Fremden kommen
diese Sachen bloß in Form der Reflexwirkung zu gute -- eine
Klage: die oben berührte act. popularis eingeräumt ist, und
zwar nicht etwa bloß zur Verfolgung des allgemeinen, sondern
auch des eignen Interesses (B. 1 S. 187). Daß die römische
Rechtstheorie dieses Recht nicht mit registrirt hat, 480) darf uns
ebenso wenig Wunder nehmen, als abhalten das Versäumte
nachzuholen -- jenes nicht, weil sie dem für sie maßgebenden
praktischen Interesse vollständig entsprach, indem sie sich auf
die Verhältnisse des commercium beschränkte -- dieses nicht, weil
wir in der theoretischen Construction von ihr vollkommen unab-
hängig sind. Indem wir uns dieser Freiheit bedienen, werden
wir nicht umhin können, das Recht des Gemeingebrauchs
unter die Zahl der Rechte an den Sachen aufzunehmen. Zu
dem Ende bedarf freilich der letztere Begriff oder richtiger der
Begriff des Rechts überhaupt einer Erweiterung. Derselbe
spaltet sich in zwei Aeste: das Individualrecht und Ge-
mein-
oder Gesammtrecht. Der Charakter des ersteren be-
steht in dem Moment der Ausschließlichkeit, der exclu-
siven
Berechtigung, womit die Möglichkeit einer Theilung des
Rechts nicht im Widerspruch steht -- in jeder Quote des Rechts
wiederholt sich die Contraction des Rechts auf sich selbst, seine

479) L. 2 §. 5 cit.: publico usui destinata sunt. L. 83 §. 5 de V. O.
(45. 1): usibus publicis in perpetuum relicta, §. 2 l. de inut. stip.
(3. 19): usibus populi perpetuo exposita.
480) Obschon sie den diesem Verhältniß innewohnenden Rechtsgehalt
gelegentlich anerkennt, s. z. B. L. 2 §. 2 Ne quid in l. p. (43. 8) .. tantum
juris habemus ad obtinendum, quantum quilibet ex populo ad prohi-
bendum habet.
Bei den Byzantinern (Schol. 30 Bas. lib. 60 tit. 4 l. 5)
kommt der Ausdruck: dikaion demotikon (jus populare, nicht publicum)
vor, worauf Bruns Zeitschr. f. Rechtsgesch. III. S. 392 aufmerksam macht.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 22

II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61.
licher Nothwendigkeit — in dieſem Dienſt, in dieſer ihrer totalen
Hingabe an den gemeinen Gebrauch (usus publicus) geht ihre
ganze Beſtimmung auf. 479) Zu einem Recht aber geſtaltet ſich
das Verhältniß erſt dadurch, daß den Deſtinatären: den Staats-
angehörigen, Gemeindemitgliedern — dem Fremden kommen
dieſe Sachen bloß in Form der Reflexwirkung zu gute — eine
Klage: die oben berührte act. popularis eingeräumt iſt, und
zwar nicht etwa bloß zur Verfolgung des allgemeinen, ſondern
auch des eignen Intereſſes (B. 1 S. 187). Daß die römiſche
Rechtstheorie dieſes Recht nicht mit regiſtrirt hat, 480) darf uns
ebenſo wenig Wunder nehmen, als abhalten das Verſäumte
nachzuholen — jenes nicht, weil ſie dem für ſie maßgebenden
praktiſchen Intereſſe vollſtändig entſprach, indem ſie ſich auf
die Verhältniſſe des commercium beſchränkte — dieſes nicht, weil
wir in der theoretiſchen Conſtruction von ihr vollkommen unab-
hängig ſind. Indem wir uns dieſer Freiheit bedienen, werden
wir nicht umhin können, das Recht des Gemeingebrauchs
unter die Zahl der Rechte an den Sachen aufzunehmen. Zu
dem Ende bedarf freilich der letztere Begriff oder richtiger der
Begriff des Rechts überhaupt einer Erweiterung. Derſelbe
ſpaltet ſich in zwei Aeſte: das Individualrecht und Ge-
mein-
oder Geſammtrecht. Der Charakter des erſteren be-
ſteht in dem Moment der Ausſchließlichkeit, der exclu-
ſiven
Berechtigung, womit die Möglichkeit einer Theilung des
Rechts nicht im Widerſpruch ſteht — in jeder Quote des Rechts
wiederholt ſich die Contraction des Rechts auf ſich ſelbſt, ſeine

479) L. 2 §. 5 cit.: publico usui destinata sunt. L. 83 §. 5 de V. O.
(45. 1): usibus publicis in perpetuum relicta, §. 2 l. de inut. stip.
(3. 19): usibus populi perpetuo exposita.
480) Obſchon ſie den dieſem Verhältniß innewohnenden Rechtsgehalt
gelegentlich anerkennt, ſ. z. B. L. 2 §. 2 Ne quid in l. p. (43. 8) .. tantum
juris habemus ad obtinendum, quantum quilibet ex populo ad prohi-
bendum habet.
Bei den Byzantinern (Schol. 30 Bas. lib. 60 tit. 4 l. 5)
kommt der Ausdruck: δίκαιον δημοτικὸν (jus populare, nicht publicum)
vor, worauf Bruns Zeitſchr. f. Rechtsgeſch. III. S. 392 aufmerkſam macht.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0353" n="337"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Formales Moment des Rechts. <hi rendition="#aq">Res extra commercium.</hi> §. 61.</fw><lb/>
licher Nothwendigkeit &#x2014; in die&#x017F;em Dien&#x017F;t, in die&#x017F;er ihrer totalen<lb/>
Hingabe an den gemeinen Gebrauch (<hi rendition="#aq">usus publicus</hi>) geht ihre<lb/>
ganze Be&#x017F;timmung auf. <note place="foot" n="479)"><hi rendition="#aq">L. 2 §. 5 cit.: publico usui destinata sunt. L. 83 §. 5 de V. O.<lb/>
(45. 1): usibus publicis in perpetuum relicta, §. 2 l. de inut. stip.<lb/>
(3. 19): usibus populi perpetuo exposita.</hi></note> Zu einem <hi rendition="#g">Recht</hi> aber ge&#x017F;taltet &#x017F;ich<lb/>
das Verhältniß er&#x017F;t dadurch, daß den De&#x017F;tinatären: den Staats-<lb/>
angehörigen, Gemeindemitgliedern &#x2014; dem Fremden kommen<lb/>
die&#x017F;e Sachen bloß in Form der Reflexwirkung zu gute &#x2014; eine<lb/>
Klage: die oben berührte <hi rendition="#aq">act. popularis</hi> eingeräumt i&#x017F;t, und<lb/>
zwar nicht etwa bloß zur Verfolgung des allgemeinen, &#x017F;ondern<lb/>
auch des eignen Intere&#x017F;&#x017F;es (B. 1 S. 187). Daß die römi&#x017F;che<lb/>
Rechtstheorie die&#x017F;es Recht nicht mit regi&#x017F;trirt hat, <note place="foot" n="480)">Ob&#x017F;chon &#x017F;ie den die&#x017F;em Verhältniß innewohnenden Rechtsgehalt<lb/>
gelegentlich anerkennt, &#x017F;. z. B. <hi rendition="#aq">L. 2 §. 2 Ne quid in l. p. (43. 8) .. tantum<lb/><hi rendition="#g">juris</hi> habemus ad obtinendum, quantum quilibet ex populo ad prohi-<lb/>
bendum habet.</hi> Bei den Byzantinern (<hi rendition="#aq">Schol. 30 Bas. lib. 60 tit. 4 l.</hi> 5)<lb/>
kommt der Ausdruck: &#x03B4;&#x03AF;&#x03BA;&#x03B1;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD; &#x03B4;&#x03B7;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x1F78;&#x03BD; (<hi rendition="#aq">jus populare,</hi> nicht <hi rendition="#aq">publicum</hi>)<lb/>
vor, worauf <hi rendition="#g">Bruns</hi> Zeit&#x017F;chr. f. Rechtsge&#x017F;ch. <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 392 aufmerk&#x017F;am macht.</note> darf uns<lb/>
eben&#x017F;o wenig Wunder nehmen, als abhalten das Ver&#x017F;äumte<lb/>
nachzuholen &#x2014; jenes nicht, weil &#x017F;ie dem für &#x017F;ie maßgebenden<lb/><hi rendition="#g">prakti&#x017F;chen</hi> Intere&#x017F;&#x017F;e voll&#x017F;tändig ent&#x017F;prach, indem &#x017F;ie &#x017F;ich auf<lb/>
die Verhältni&#x017F;&#x017F;e des <hi rendition="#aq">commercium</hi> be&#x017F;chränkte &#x2014; die&#x017F;es nicht, weil<lb/>
wir in der theoreti&#x017F;chen Con&#x017F;truction von ihr vollkommen unab-<lb/>
hängig &#x017F;ind. Indem wir uns die&#x017F;er Freiheit bedienen, werden<lb/>
wir nicht umhin können, das <hi rendition="#g">Recht des Gemeingebrauchs</hi><lb/>
unter die Zahl der <hi rendition="#g">Rechte an den Sachen</hi> aufzunehmen. Zu<lb/>
dem Ende bedarf freilich der letztere Begriff oder richtiger der<lb/>
Begriff des Rechts überhaupt einer Erweiterung. Der&#x017F;elbe<lb/>
&#x017F;paltet &#x017F;ich in zwei Ae&#x017F;te: das <hi rendition="#g">Individualrecht</hi> und <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
mein-</hi> oder <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ammtrecht</hi>. Der Charakter des er&#x017F;teren be-<lb/>
&#x017F;teht in dem Moment der <hi rendition="#g">Aus&#x017F;chließlichkeit</hi>, der <hi rendition="#g">exclu-<lb/>
&#x017F;iven</hi> Berechtigung, womit die Möglichkeit einer Theilung des<lb/>
Rechts nicht im Wider&#x017F;pruch &#x017F;teht &#x2014; in jeder Quote des Rechts<lb/>
wiederholt &#x017F;ich die Contraction des Rechts auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jhering, Gei&#x017F;t d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">III.</hi> 22</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0353] II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61. licher Nothwendigkeit — in dieſem Dienſt, in dieſer ihrer totalen Hingabe an den gemeinen Gebrauch (usus publicus) geht ihre ganze Beſtimmung auf. 479) Zu einem Recht aber geſtaltet ſich das Verhältniß erſt dadurch, daß den Deſtinatären: den Staats- angehörigen, Gemeindemitgliedern — dem Fremden kommen dieſe Sachen bloß in Form der Reflexwirkung zu gute — eine Klage: die oben berührte act. popularis eingeräumt iſt, und zwar nicht etwa bloß zur Verfolgung des allgemeinen, ſondern auch des eignen Intereſſes (B. 1 S. 187). Daß die römiſche Rechtstheorie dieſes Recht nicht mit regiſtrirt hat, 480) darf uns ebenſo wenig Wunder nehmen, als abhalten das Verſäumte nachzuholen — jenes nicht, weil ſie dem für ſie maßgebenden praktiſchen Intereſſe vollſtändig entſprach, indem ſie ſich auf die Verhältniſſe des commercium beſchränkte — dieſes nicht, weil wir in der theoretiſchen Conſtruction von ihr vollkommen unab- hängig ſind. Indem wir uns dieſer Freiheit bedienen, werden wir nicht umhin können, das Recht des Gemeingebrauchs unter die Zahl der Rechte an den Sachen aufzunehmen. Zu dem Ende bedarf freilich der letztere Begriff oder richtiger der Begriff des Rechts überhaupt einer Erweiterung. Derſelbe ſpaltet ſich in zwei Aeſte: das Individualrecht und Ge- mein- oder Geſammtrecht. Der Charakter des erſteren be- ſteht in dem Moment der Ausſchließlichkeit, der exclu- ſiven Berechtigung, womit die Möglichkeit einer Theilung des Rechts nicht im Widerſpruch ſteht — in jeder Quote des Rechts wiederholt ſich die Contraction des Rechts auf ſich ſelbſt, ſeine 479) L. 2 §. 5 cit.: publico usui destinata sunt. L. 83 §. 5 de V. O. (45. 1): usibus publicis in perpetuum relicta, §. 2 l. de inut. stip. (3. 19): usibus populi perpetuo exposita. 480) Obſchon ſie den dieſem Verhältniß innewohnenden Rechtsgehalt gelegentlich anerkennt, ſ. z. B. L. 2 §. 2 Ne quid in l. p. (43. 8) .. tantum juris habemus ad obtinendum, quantum quilibet ex populo ad prohi- bendum habet. Bei den Byzantinern (Schol. 30 Bas. lib. 60 tit. 4 l. 5) kommt der Ausdruck: δίκαιον δημοτικὸν (jus populare, nicht publicum) vor, worauf Bruns Zeitſchr. f. Rechtsgeſch. III. S. 392 aufmerkſam macht. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 22

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/353
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/353>, abgerufen am 02.05.2024.