Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Eigenschaft bestreiten kann nur der, welcher das Eigenthum unddie ihm entwachsenen Rechte für die einzig mögliche Form die- ses Begriffs ansieht. Erkennt man diesen Irrthum als das, was er ist, 476) so wird man auch über die Natur des Rechts- verhältnisses an den res publicae nicht im Zweifel sein können. Dasselbe ist in keiner Weise erschöpft, wenn man es lediglich auf die rechtliche Qualität des Gegenstandes als einer dem Ver- kehr entzogenen und dem allgemeinen Gebrauch überwiesenen Sache stellt und es demgemäß bei der Lehre von Eigenschaften der Sachen erörtert, 477) gleich als handle es sich hier lediglich, wie bei der res nullius, um den rechtlichen Zustand einer Sache. Der Sache steht hier vielmehr eine Person gegenüber, 478) der sie dient, und nicht bloß zufällig, faktisch, sondern vermöge recht- radezu von einem jus sepulcri und jura sepulcrorum, L. 4 de mort. inf. (11. 8), L. 3 §. 9 de sep. viol. (47. 12), L. 4, 6, 8, 13 Cod. de rel. (3. 44), von dem "Interesse" dessen, dem das Grabmal gehört (ad quem per- tinet) L. 3 pr. §. 8--10 cit. 476) Gegen diesen Irrthum habe ich mich bereits früher in zwei den Ba- seler Festungsstreit betreffenden Gutachten (1862. No. 1 Leipzig, No. 2 Ba- sel) ausgesprochen. Das Eigenthum ist nicht die einzige Form des "Ge- hörens". Meine Haare gehören mir und, wenn sie abgeschnitten sind, fallen sie in mein Eigenthum, daraus folgt aber nicht, daß sie schon vor- her in dieser Form mir gehören müßten. So "gehören" auch die res publicae dem Staat und, wenn sie dem Gemeingebrauch entzogen sind, fal- len auch sie unter die Form des gewöhnlichen Eigenthums, daraus folgt aber nicht im Mindesten, daß das Gehören, das "populi, universitatis esse" schon früher diese Form an sich tragen müsse. Auch die im Gemeingebrauch stehenden Sachen "res publicae universitatis esse creduntur", gleichwohl aber "nullius in bonis, d. h. im Eigenthum, esse creduntur" L. 1 pr. de R. D. (1. 2), und die res "quae communes omnium sunt", stehen nicht im Miteigenthum. 477) Der erste, der sich von dieser althergebrachten Sitte losgerissen hat, ist Windscheid Lehrbuch des Pandektenrechts B. 1 (1862) §. 146. Bis zur Anerkennung des von mir bereits vor dem Erscheinen dieses Werks in dem obigen ersten Gutachten postulirten Recht des Gemeingebrauchs ist auch er freilich noch nicht vorgegangen. 478) Privatorum usibus deserviunt, L. 2 §. 2 Ne quid i. l. p. (43. 8).
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Eigenſchaft beſtreiten kann nur der, welcher das Eigenthum unddie ihm entwachſenen Rechte für die einzig mögliche Form die- ſes Begriffs anſieht. Erkennt man dieſen Irrthum als das, was er iſt, 476) ſo wird man auch über die Natur des Rechts- verhältniſſes an den res publicae nicht im Zweifel ſein können. Daſſelbe iſt in keiner Weiſe erſchöpft, wenn man es lediglich auf die rechtliche Qualität des Gegenſtandes als einer dem Ver- kehr entzogenen und dem allgemeinen Gebrauch überwieſenen Sache ſtellt und es demgemäß bei der Lehre von Eigenſchaften der Sachen erörtert, 477) gleich als handle es ſich hier lediglich, wie bei der res nullius, um den rechtlichen Zuſtand einer Sache. Der Sache ſteht hier vielmehr eine Perſon gegenüber, 478) der ſie dient, und nicht bloß zufällig, faktiſch, ſondern vermöge recht- radezu von einem jus sepulcri und jura sepulcrorum, L. 4 de mort. inf. (11. 8), L. 3 §. 9 de sep. viol. (47. 12), L. 4, 6, 8, 13 Cod. de rel. (3. 44), von dem „Intereſſe“ deſſen, dem das Grabmal gehört (ad quem per- tinet) L. 3 pr. §. 8—10 cit. 476) Gegen dieſen Irrthum habe ich mich bereits früher in zwei den Ba- ſeler Feſtungsſtreit betreffenden Gutachten (1862. No. 1 Leipzig, No. 2 Ba- ſel) ausgeſprochen. Das Eigenthum iſt nicht die einzige Form des „Ge- hörens“. Meine Haare gehören mir und, wenn ſie abgeſchnitten ſind, fallen ſie in mein Eigenthum, daraus folgt aber nicht, daß ſie ſchon vor- her in dieſer Form mir gehören müßten. So „gehören“ auch die res publicae dem Staat und, wenn ſie dem Gemeingebrauch entzogen ſind, fal- len auch ſie unter die Form des gewöhnlichen Eigenthums, daraus folgt aber nicht im Mindeſten, daß das Gehören, das „populi, universitatis esse“ ſchon früher dieſe Form an ſich tragen müſſe. Auch die im Gemeingebrauch ſtehenden Sachen „res publicae universitatis esse creduntur“, gleichwohl aber „nullius in bonis, d. h. im Eigenthum, esse creduntur“ L. 1 pr. de R. D. (1. 2), und die res „quae communes omnium sunt“, ſtehen nicht im Miteigenthum. 477) Der erſte, der ſich von dieſer althergebrachten Sitte losgeriſſen hat, iſt Windſcheid Lehrbuch des Pandektenrechts B. 1 (1862) §. 146. Bis zur Anerkennung des von mir bereits vor dem Erſcheinen dieſes Werks in dem obigen erſten Gutachten poſtulirten Recht des Gemeingebrauchs iſt auch er freilich noch nicht vorgegangen. 478) Privatorum usibus deserviunt, L. 2 §. 2 Ne quid i. l. p. (43. 8).
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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
Eigenſchaft beſtreiten kann nur der, welcher das Eigenthum und
die ihm entwachſenen Rechte für die einzig mögliche Form die-
ſes Begriffs anſieht. Erkennt man dieſen Irrthum als das,
was er iſt, 476) ſo wird man auch über die Natur des Rechts-
verhältniſſes an den res publicae nicht im Zweifel ſein können.
Daſſelbe iſt in keiner Weiſe erſchöpft, wenn man es lediglich auf
die rechtliche Qualität des Gegenſtandes als einer dem Ver-
kehr entzogenen und dem allgemeinen Gebrauch überwieſenen
Sache ſtellt und es demgemäß bei der Lehre von Eigenſchaften
der Sachen erörtert, 477) gleich als handle es ſich hier lediglich,
wie bei der res nullius, um den rechtlichen Zuſtand einer Sache.
Der Sache ſteht hier vielmehr eine Perſon gegenüber, 478) der
ſie dient, und nicht bloß zufällig, faktiſch, ſondern vermöge recht-
475)
476) Gegen dieſen Irrthum habe ich mich bereits früher in zwei den Ba-
ſeler Feſtungsſtreit betreffenden Gutachten (1862. No. 1 Leipzig, No. 2 Ba-
ſel) ausgeſprochen. Das Eigenthum iſt nicht die einzige Form des „Ge-
hörens“. Meine Haare gehören mir und, wenn ſie abgeſchnitten ſind,
fallen ſie in mein Eigenthum, daraus folgt aber nicht, daß ſie ſchon vor-
her in dieſer Form mir gehören müßten. So „gehören“ auch die res
publicae dem Staat und, wenn ſie dem Gemeingebrauch entzogen ſind, fal-
len auch ſie unter die Form des gewöhnlichen Eigenthums, daraus folgt aber
nicht im Mindeſten, daß das Gehören, das „populi, universitatis esse“
ſchon früher dieſe Form an ſich tragen müſſe. Auch die im Gemeingebrauch
ſtehenden Sachen „res publicae universitatis esse creduntur“, gleichwohl
aber „nullius in bonis, d. h. im Eigenthum, esse creduntur“ L. 1 pr. de
R. D. (1. 2), und die res „quae communes omnium sunt“, ſtehen nicht
im Miteigenthum.
477) Der erſte, der ſich von dieſer althergebrachten Sitte losgeriſſen hat,
iſt Windſcheid Lehrbuch des Pandektenrechts B. 1 (1862) §. 146. Bis
zur Anerkennung des von mir bereits vor dem Erſcheinen dieſes Werks in dem
obigen erſten Gutachten poſtulirten Recht des Gemeingebrauchs iſt
auch er freilich noch nicht vorgegangen.
478) Privatorum usibus deserviunt, L. 2 §. 2 Ne quid i. l. p. (43. 8).
475) radezu von einem jus sepulcri und jura sepulcrorum, L. 4 de mort. inf.
(11. 8), L. 3 §. 9 de sep. viol. (47. 12), L. 4, 6, 8, 13 Cod. de rel. (3.
44), von dem „Intereſſe“ deſſen, dem das Grabmal gehört (ad quem per-
tinet) L. 3 pr. §. 8—10 cit.
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