Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
tig; genug sie erfolgt für sie. Dieser letztere Umstand ist der
entscheidende. Nach der obigen Ansicht, welche alles Gewicht
auf das "Durch" legt und die Bedeutung des "Für" übersieht,
würde der Vormund der Berechtigte sein, denn er nimmt die
Dispositionen über das Vermögen vor, ihm allein kömmt der
ideale Genuß zu gute, in den diese Ansicht den Zweck der
Rechte setzt: der Hochgenuß, einen Willensakt vorzunehmen.
Er sei ihm gern gegönnt, wenn nur der reale Nutzen dem Mün-
del zu Theil wird! Berechtigt ist nicht, wer das Wollen, son-
dern den Genuß beanspruchen kann. Ersteres läßt sich zur Noth
auf einen Andern übertragen oder lahm legen, letzteres nicht,
ohne daß das Recht selber in gleicher Weise dadurch betroffen
wird. Subject des Rechts ist der, dem der Nutzen desselben
zugedacht ist (der Destinatär); der Schutz des Rechts hat
keinen andern Zweck, als die Zuwendung dieses Nutzens an
ihn zu sichern. Welche Rolle der Wille dabei spielt, werden
wir unten nachweisen.

Handelte es sich bei der obigen Ansicht lediglich um einen
Mißgriff in der philosophischen Formulirung des Rechtsbegriffs,
ich würde denselben, nachdem ich ihn, wie ich glaube, als sol-
chen erwiesen habe, nicht weiter verfolgen. Aber in Wirklich-
keit handelt es sich dabei um einen Gegensatz in der Auf-
fassung von ganz fundamentaler Art, -- um einen Irrthum,
der die richtige praktische Erkenntniß des Rechts in bedenklichster
Weise erschwert und trübt. Es ist hier nicht der Ort, dies aus-
führlicher zu begründen -- es würde zu dem Zweck eine histo-
rische, weil in die Geschichte der Jurisprudenz und der Rechts-
philosophie zurückgreifende Abhandlung über das durch die Idee
des abstracten Willens im Recht angestiftete Unheil nöthig sein
-- aber das folgende Beispiel wird, wie ich hoffe, das obige
Urtheil vollkommen bestätigen. 442)

442) Ein anderes Beispiel liefert die juristische Person. Die unnatürliche
Auffassung derselben, welche das Recht der einzelnen Mitglieder (der Destina-

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
tig; genug ſie erfolgt für ſie. Dieſer letztere Umſtand iſt der
entſcheidende. Nach der obigen Anſicht, welche alles Gewicht
auf das „Durch“ legt und die Bedeutung des „Für“ überſieht,
würde der Vormund der Berechtigte ſein, denn er nimmt die
Dispoſitionen über das Vermögen vor, ihm allein kömmt der
ideale Genuß zu gute, in den dieſe Anſicht den Zweck der
Rechte ſetzt: der Hochgenuß, einen Willensakt vorzunehmen.
Er ſei ihm gern gegönnt, wenn nur der reale Nutzen dem Mün-
del zu Theil wird! Berechtigt iſt nicht, wer das Wollen, ſon-
dern den Genuß beanſpruchen kann. Erſteres läßt ſich zur Noth
auf einen Andern übertragen oder lahm legen, letzteres nicht,
ohne daß das Recht ſelber in gleicher Weiſe dadurch betroffen
wird. Subject des Rechts iſt der, dem der Nutzen deſſelben
zugedacht iſt (der Deſtinatär); der Schutz des Rechts hat
keinen andern Zweck, als die Zuwendung dieſes Nutzens an
ihn zu ſichern. Welche Rolle der Wille dabei ſpielt, werden
wir unten nachweiſen.

Handelte es ſich bei der obigen Anſicht lediglich um einen
Mißgriff in der philoſophiſchen Formulirung des Rechtsbegriffs,
ich würde denſelben, nachdem ich ihn, wie ich glaube, als ſol-
chen erwieſen habe, nicht weiter verfolgen. Aber in Wirklich-
keit handelt es ſich dabei um einen Gegenſatz in der Auf-
faſſung von ganz fundamentaler Art, — um einen Irrthum,
der die richtige praktiſche Erkenntniß des Rechts in bedenklichſter
Weiſe erſchwert und trübt. Es iſt hier nicht der Ort, dies aus-
führlicher zu begründen — es würde zu dem Zweck eine hiſto-
riſche, weil in die Geſchichte der Jurisprudenz und der Rechts-
philoſophie zurückgreifende Abhandlung über das durch die Idee
des abſtracten Willens im Recht angeſtiftete Unheil nöthig ſein
— aber das folgende Beiſpiel wird, wie ich hoffe, das obige
Urtheil vollkommen beſtätigen. 442)

442) Ein anderes Beiſpiel liefert die juriſtiſche Perſon. Die unnatürliche
Auffaſſung derſelben, welche das Recht der einzelnen Mitglieder (der Deſtina-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0330" n="314"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Ab&#x017F;chnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.</fw><lb/>
tig; genug &#x017F;ie erfolgt <hi rendition="#g">für</hi> &#x017F;ie. Die&#x017F;er letztere Um&#x017F;tand i&#x017F;t der<lb/>
ent&#x017F;cheidende. Nach der obigen An&#x017F;icht, welche alles Gewicht<lb/>
auf das &#x201E;Durch&#x201C; legt und die Bedeutung des &#x201E;Für&#x201C; über&#x017F;ieht,<lb/>
würde der Vormund der Berechtigte &#x017F;ein, denn er nimmt die<lb/>
Dispo&#x017F;itionen über das Vermögen vor, ihm allein kömmt der<lb/>
ideale Genuß zu gute, in den die&#x017F;e An&#x017F;icht den Zweck der<lb/>
Rechte &#x017F;etzt: der Hochgenuß, einen Willensakt vorzunehmen.<lb/>
Er &#x017F;ei ihm gern gegönnt, wenn nur der <hi rendition="#g">reale</hi> Nutzen dem Mün-<lb/>
del zu Theil wird! Berechtigt i&#x017F;t nicht, wer das <hi rendition="#g">Wollen</hi>, &#x017F;on-<lb/>
dern den <hi rendition="#g">Genuß</hi> bean&#x017F;pruchen kann. Er&#x017F;teres läßt &#x017F;ich zur Noth<lb/>
auf einen Andern übertragen oder lahm legen, letzteres nicht,<lb/>
ohne daß das Recht &#x017F;elber in gleicher Wei&#x017F;e dadurch betroffen<lb/>
wird. Subject des Rechts i&#x017F;t der, dem der <hi rendition="#g">Nutzen</hi> de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
zugedacht i&#x017F;t (der <hi rendition="#g">De&#x017F;tinatär</hi>); der Schutz des Rechts hat<lb/>
keinen andern Zweck, als die Zuwendung die&#x017F;es Nutzens an<lb/>
ihn zu &#x017F;ichern. Welche Rolle der Wille dabei &#x017F;pielt, werden<lb/>
wir unten nachwei&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>Handelte es &#x017F;ich bei der obigen An&#x017F;icht lediglich um einen<lb/>
Mißgriff in der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Formulirung des Rechtsbegriffs,<lb/>
ich würde den&#x017F;elben, nachdem ich ihn, wie ich glaube, als &#x017F;ol-<lb/>
chen erwie&#x017F;en habe, nicht weiter verfolgen. Aber in Wirklich-<lb/>
keit handelt es &#x017F;ich dabei um einen Gegen&#x017F;atz in der Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung von ganz fundamentaler Art, &#x2014; um einen Irrthum,<lb/>
der die richtige prakti&#x017F;che Erkenntniß des Rechts in bedenklich&#x017F;ter<lb/>
Wei&#x017F;e er&#x017F;chwert und trübt. Es i&#x017F;t hier nicht der Ort, dies aus-<lb/>
führlicher zu begründen &#x2014; es würde zu dem Zweck eine hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;che, weil in die Ge&#x017F;chichte der Jurisprudenz und der Rechts-<lb/>
philo&#x017F;ophie zurückgreifende Abhandlung über das durch die Idee<lb/>
des ab&#x017F;tracten Willens im Recht ange&#x017F;tiftete Unheil nöthig &#x017F;ein<lb/>
&#x2014; aber das folgende Bei&#x017F;piel wird, wie ich hoffe, das obige<lb/>
Urtheil vollkommen be&#x017F;tätigen. <note xml:id="seg2pn_29_1" next="#seg2pn_29_2" place="foot" n="442)">Ein anderes Bei&#x017F;piel liefert die juri&#x017F;ti&#x017F;che Per&#x017F;on. Die unnatürliche<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung der&#x017F;elben, welche das Recht der einzelnen Mitglieder (der De&#x017F;tina-</note></p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0330] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. tig; genug ſie erfolgt für ſie. Dieſer letztere Umſtand iſt der entſcheidende. Nach der obigen Anſicht, welche alles Gewicht auf das „Durch“ legt und die Bedeutung des „Für“ überſieht, würde der Vormund der Berechtigte ſein, denn er nimmt die Dispoſitionen über das Vermögen vor, ihm allein kömmt der ideale Genuß zu gute, in den dieſe Anſicht den Zweck der Rechte ſetzt: der Hochgenuß, einen Willensakt vorzunehmen. Er ſei ihm gern gegönnt, wenn nur der reale Nutzen dem Mün- del zu Theil wird! Berechtigt iſt nicht, wer das Wollen, ſon- dern den Genuß beanſpruchen kann. Erſteres läßt ſich zur Noth auf einen Andern übertragen oder lahm legen, letzteres nicht, ohne daß das Recht ſelber in gleicher Weiſe dadurch betroffen wird. Subject des Rechts iſt der, dem der Nutzen deſſelben zugedacht iſt (der Deſtinatär); der Schutz des Rechts hat keinen andern Zweck, als die Zuwendung dieſes Nutzens an ihn zu ſichern. Welche Rolle der Wille dabei ſpielt, werden wir unten nachweiſen. Handelte es ſich bei der obigen Anſicht lediglich um einen Mißgriff in der philoſophiſchen Formulirung des Rechtsbegriffs, ich würde denſelben, nachdem ich ihn, wie ich glaube, als ſol- chen erwieſen habe, nicht weiter verfolgen. Aber in Wirklich- keit handelt es ſich dabei um einen Gegenſatz in der Auf- faſſung von ganz fundamentaler Art, — um einen Irrthum, der die richtige praktiſche Erkenntniß des Rechts in bedenklichſter Weiſe erſchwert und trübt. Es iſt hier nicht der Ort, dies aus- führlicher zu begründen — es würde zu dem Zweck eine hiſto- riſche, weil in die Geſchichte der Jurisprudenz und der Rechts- philoſophie zurückgreifende Abhandlung über das durch die Idee des abſtracten Willens im Recht angeſtiftete Unheil nöthig ſein — aber das folgende Beiſpiel wird, wie ich hoffe, das obige Urtheil vollkommen beſtätigen. 442) 442) Ein anderes Beiſpiel liefert die juriſtiſche Perſon. Die unnatürliche Auffaſſung derſelben, welche das Recht der einzelnen Mitglieder (der Deſtina-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/330
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/330>, abgerufen am 17.05.2024.