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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55.
cher Art, daß Jeder sie beurtheilen kann, man hört und man
sieht sie; Zweifel sind nicht möglich, die Anordnung der Nich-
tigkeit hat hier nicht den geringsten Anstand. Ein Wahlcandi-
dat, der von allen Centurien gewählt, aber nicht renuntiirt war,
galt nicht als Magistrat, dagegen mochten, wenn die Renun-
tiation erfolgt war, alle gedenkbaren Verstöße gegen das geist-
liche und weltliche Recht bei seiner Wahl zusammengetroffen
sein -- er war und blieb Magistrat, bis er auf Befehl des Se-
nats sich dieser seiner Würde begeben hatte.

Wer von der im Bisherigen gewonnenen Grundlage des
positiven römischen Staatsrechts aus die Deduction von Cicero,
die den Ausgangspunkt unserer Untersuchung gebildet hat
(S. 214), einer Beurtheilung unterziehen will, wird darüber
kaum ein anderes Urtheil fällen können, als daß sie eine Kette
von lauter Unrichtigkeiten enthält, und sich nicht darüber wun-
dern können, daß sie, wie er selber die Naivität hat einzuge-
stehen,314) vor den Augen der im Staatsrecht besser unterrichte-
ten im Uebrigen ganz mit ihm sympathisirenden Autoritäten keine
Gnade gefunden hatte. Mochten die Pontifices bei der Arro-
gation des Clodius alle Regeln ihres Rechts außer Acht gelassen
haben, daraus folgte im Mindesten nicht der Schluß, den Ci-
cero zieht, daß sie nichtig war; 315) die Beobachtung jener Re-
geln war Sache der Pflichterfüllung der Pontifices. Mochten
an jenem Tage Himmelsbeobachtungen angestellt sein, die lex
curiata
über die Adoption ward dadurch vitiös, aber nicht nich-
tig. Mochte endlich Clodius ebenfalls in vitiöser Weise Ple-
bejer und Volkstribun geworden sein, die Akte, die er in der
letzten Eigenschaft vorgenommen hatte, waren und blieben gültig.

Werfen wir jetzt einen Blick zurück auf den Gedanken der
analytischen Vereinfachung des Thatbestandes, so wird es nicht

314) Cic. de domo c. 16, 42.
315) Cic. de domo 14, 38 .. contra omne pontificium jus factam
pro nihilo esse habendam.
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C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
cher Art, daß Jeder ſie beurtheilen kann, man hört und man
ſieht ſie; Zweifel ſind nicht möglich, die Anordnung der Nich-
tigkeit hat hier nicht den geringſten Anſtand. Ein Wahlcandi-
dat, der von allen Centurien gewählt, aber nicht renuntiirt war,
galt nicht als Magiſtrat, dagegen mochten, wenn die Renun-
tiation erfolgt war, alle gedenkbaren Verſtöße gegen das geiſt-
liche und weltliche Recht bei ſeiner Wahl zuſammengetroffen
ſein — er war und blieb Magiſtrat, bis er auf Befehl des Se-
nats ſich dieſer ſeiner Würde begeben hatte.

Wer von der im Bisherigen gewonnenen Grundlage des
poſitiven römiſchen Staatsrechts aus die Deduction von Cicero,
die den Ausgangspunkt unſerer Unterſuchung gebildet hat
(S. 214), einer Beurtheilung unterziehen will, wird darüber
kaum ein anderes Urtheil fällen können, als daß ſie eine Kette
von lauter Unrichtigkeiten enthält, und ſich nicht darüber wun-
dern können, daß ſie, wie er ſelber die Naivität hat einzuge-
ſtehen,314) vor den Augen der im Staatsrecht beſſer unterrichte-
ten im Uebrigen ganz mit ihm ſympathiſirenden Autoritäten keine
Gnade gefunden hatte. Mochten die Pontifices bei der Arro-
gation des Clodius alle Regeln ihres Rechts außer Acht gelaſſen
haben, daraus folgte im Mindeſten nicht der Schluß, den Ci-
cero zieht, daß ſie nichtig war; 315) die Beobachtung jener Re-
geln war Sache der Pflichterfüllung der Pontifices. Mochten
an jenem Tage Himmelsbeobachtungen angeſtellt ſein, die lex
curiata
über die Adoption ward dadurch vitiös, aber nicht nich-
tig. Mochte endlich Clodius ebenfalls in vitiöſer Weiſe Ple-
bejer und Volkstribun geworden ſein, die Akte, die er in der
letzten Eigenſchaft vorgenommen hatte, waren und blieben gültig.

Werfen wir jetzt einen Blick zurück auf den Gedanken der
analytiſchen Vereinfachung des Thatbeſtandes, ſo wird es nicht

314) Cic. de domo c. 16, 42.
315) Cic. de domo 14, 38 .. contra omne pontificium jus factam
pro nihilo esse habendam.
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[227/0243] C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55. cher Art, daß Jeder ſie beurtheilen kann, man hört und man ſieht ſie; Zweifel ſind nicht möglich, die Anordnung der Nich- tigkeit hat hier nicht den geringſten Anſtand. Ein Wahlcandi- dat, der von allen Centurien gewählt, aber nicht renuntiirt war, galt nicht als Magiſtrat, dagegen mochten, wenn die Renun- tiation erfolgt war, alle gedenkbaren Verſtöße gegen das geiſt- liche und weltliche Recht bei ſeiner Wahl zuſammengetroffen ſein — er war und blieb Magiſtrat, bis er auf Befehl des Se- nats ſich dieſer ſeiner Würde begeben hatte. Wer von der im Bisherigen gewonnenen Grundlage des poſitiven römiſchen Staatsrechts aus die Deduction von Cicero, die den Ausgangspunkt unſerer Unterſuchung gebildet hat (S. 214), einer Beurtheilung unterziehen will, wird darüber kaum ein anderes Urtheil fällen können, als daß ſie eine Kette von lauter Unrichtigkeiten enthält, und ſich nicht darüber wun- dern können, daß ſie, wie er ſelber die Naivität hat einzuge- ſtehen, 314) vor den Augen der im Staatsrecht beſſer unterrichte- ten im Uebrigen ganz mit ihm ſympathiſirenden Autoritäten keine Gnade gefunden hatte. Mochten die Pontifices bei der Arro- gation des Clodius alle Regeln ihres Rechts außer Acht gelaſſen haben, daraus folgte im Mindeſten nicht der Schluß, den Ci- cero zieht, daß ſie nichtig war; 315) die Beobachtung jener Re- geln war Sache der Pflichterfüllung der Pontifices. Mochten an jenem Tage Himmelsbeobachtungen angeſtellt ſein, die lex curiata über die Adoption ward dadurch vitiös, aber nicht nich- tig. Mochte endlich Clodius ebenfalls in vitiöſer Weiſe Ple- bejer und Volkstribun geworden ſein, die Akte, die er in der letzten Eigenſchaft vorgenommen hatte, waren und blieben gültig. Werfen wir jetzt einen Blick zurück auf den Gedanken der analytiſchen Vereinfachung des Thatbeſtandes, ſo wird es nicht 314) Cic. de domo c. 16, 42. 315) Cic. de domo 14, 38 .. contra omne pontificium jus factam pro nihilo esse habendam. 15*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/243>, abgerufen am 23.11.2024.