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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55.
auf den Satz: magistratus vitio creatus nihilo secius magi-
stratus
gestützt hätten, als eine zweifelhafte und fragliche erst
noch mit allerhand Gründen zu motiviren.295)

Bei der untergeordneten Bedeutung, welche der Gegenstand
für meine Zwecke hat, muß ich es mir versagen, den obigen für
die richtige Auffassung der römischen Magistratur höchst frucht-
baren Gesichtspunkt ausführlicher zu verfolgen. Aber in einer
Richtung möge man mir dies wenigstens verstatten.

Wer den eben geschilderten Mechanismus in juristisch präg-
nanter Weise ausdrücken wollte, durfte in Hinblick darauf, daß
das durch die Abstimmung des Volks herbeigeführte Resultat
der Wahl erst durch die Renuntiation von Seiten des Vorsitzen-
den seinen formellen, bindenden Abschluß erhielt, diesen letzten
Akt als den entscheidenden bezeichnen und geradezu sagen: der
Vorsitzende creire den Magistrat. Diese in den Quellen
nicht selten vorkommende Wendung hat die Ansicht hervorgeru-
fen,296) als ob die Magistratur nicht in der Souveränität des
Volks, sondern in sich selber gewurzelt habe, nicht durch den
Willen des Volks vergeben und besetzt worden sei, sondern sich
durch und aus sich selber fortgepflanzt habe, wonach das Wahl-
recht des Volks sich staatsrechtlich auf ein bloßes Präsentations-
oder Petitionsrecht reducirt haben würde. Man kann zuge-
stehen, daß hie und da die Beamten factisch sich in dieser Weise
gerirten; -- in der Zeit des Umsturzes ging dies sogar soweit,
daß zwei ohne allen vorhergegangenen Wahlact sich selber re-
nuntiirten.297) Allein dem Geist der Verfassung widersprach das

295) Sie betraf die Frage von der Gültigkeit der Amtshandlungen des
Prätor Barbarius Philippus, von dem erst hinterher bekannt geworden war,
daß er ein entlaufener Sklave gewesen war. In der späteren Kaiserzeit ist
begreiflicherweise noch viel weniger ein Anknüpfen an die alte Theorie zu
gewärtigen. S. den Titel des Codex Theod. XV. 14 de infirmandis his
quae sub tyrannis aut barbaris gesta sunt.
296) Rubino Untersuchungen über römische Verf. S. 13 fl.
297) Liv. epit. Lib. 80.

C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
auf den Satz: magistratus vitio creatus nihilo secius magi-
stratus
geſtützt hätten, als eine zweifelhafte und fragliche erſt
noch mit allerhand Gründen zu motiviren.295)

Bei der untergeordneten Bedeutung, welche der Gegenſtand
für meine Zwecke hat, muß ich es mir verſagen, den obigen für
die richtige Auffaſſung der römiſchen Magiſtratur höchſt frucht-
baren Geſichtspunkt ausführlicher zu verfolgen. Aber in einer
Richtung möge man mir dies wenigſtens verſtatten.

Wer den eben geſchilderten Mechanismus in juriſtiſch präg-
nanter Weiſe ausdrücken wollte, durfte in Hinblick darauf, daß
das durch die Abſtimmung des Volks herbeigeführte Reſultat
der Wahl erſt durch die Renuntiation von Seiten des Vorſitzen-
den ſeinen formellen, bindenden Abſchluß erhielt, dieſen letzten
Akt als den entſcheidenden bezeichnen und geradezu ſagen: der
Vorſitzende creire den Magiſtrat. Dieſe in den Quellen
nicht ſelten vorkommende Wendung hat die Anſicht hervorgeru-
fen,296) als ob die Magiſtratur nicht in der Souveränität des
Volks, ſondern in ſich ſelber gewurzelt habe, nicht durch den
Willen des Volks vergeben und beſetzt worden ſei, ſondern ſich
durch und aus ſich ſelber fortgepflanzt habe, wonach das Wahl-
recht des Volks ſich ſtaatsrechtlich auf ein bloßes Präſentations-
oder Petitionsrecht reducirt haben würde. Man kann zuge-
ſtehen, daß hie und da die Beamten factiſch ſich in dieſer Weiſe
gerirten; — in der Zeit des Umſturzes ging dies ſogar ſoweit,
daß zwei ohne allen vorhergegangenen Wahlact ſich ſelber re-
nuntiirten.297) Allein dem Geiſt der Verfaſſung widerſprach das

295) Sie betraf die Frage von der Gültigkeit der Amtshandlungen des
Prätor Barbarius Philippus, von dem erſt hinterher bekannt geworden war,
daß er ein entlaufener Sklave geweſen war. In der ſpäteren Kaiſerzeit iſt
begreiflicherweiſe noch viel weniger ein Anknüpfen an die alte Theorie zu
gewärtigen. S. den Titel des Codex Theod. XV. 14 de infirmandis his
quae sub tyrannis aut barbaris gesta sunt.
296) Rubino Unterſuchungen über römiſche Verf. S. 13 fl.
297) Liv. epit. Lib. 80.
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[221/0237] C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55. auf den Satz: magistratus vitio creatus nihilo secius magi- stratus geſtützt hätten, als eine zweifelhafte und fragliche erſt noch mit allerhand Gründen zu motiviren. 295) Bei der untergeordneten Bedeutung, welche der Gegenſtand für meine Zwecke hat, muß ich es mir verſagen, den obigen für die richtige Auffaſſung der römiſchen Magiſtratur höchſt frucht- baren Geſichtspunkt ausführlicher zu verfolgen. Aber in einer Richtung möge man mir dies wenigſtens verſtatten. Wer den eben geſchilderten Mechanismus in juriſtiſch präg- nanter Weiſe ausdrücken wollte, durfte in Hinblick darauf, daß das durch die Abſtimmung des Volks herbeigeführte Reſultat der Wahl erſt durch die Renuntiation von Seiten des Vorſitzen- den ſeinen formellen, bindenden Abſchluß erhielt, dieſen letzten Akt als den entſcheidenden bezeichnen und geradezu ſagen: der Vorſitzende creire den Magiſtrat. Dieſe in den Quellen nicht ſelten vorkommende Wendung hat die Anſicht hervorgeru- fen, 296) als ob die Magiſtratur nicht in der Souveränität des Volks, ſondern in ſich ſelber gewurzelt habe, nicht durch den Willen des Volks vergeben und beſetzt worden ſei, ſondern ſich durch und aus ſich ſelber fortgepflanzt habe, wonach das Wahl- recht des Volks ſich ſtaatsrechtlich auf ein bloßes Präſentations- oder Petitionsrecht reducirt haben würde. Man kann zuge- ſtehen, daß hie und da die Beamten factiſch ſich in dieſer Weiſe gerirten; — in der Zeit des Umſturzes ging dies ſogar ſoweit, daß zwei ohne allen vorhergegangenen Wahlact ſich ſelber re- nuntiirten. 297) Allein dem Geiſt der Verfaſſung widerſprach das 295) Sie betraf die Frage von der Gültigkeit der Amtshandlungen des Prätor Barbarius Philippus, von dem erſt hinterher bekannt geworden war, daß er ein entlaufener Sklave geweſen war. In der ſpäteren Kaiſerzeit iſt begreiflicherweiſe noch viel weniger ein Anknüpfen an die alte Theorie zu gewärtigen. S. den Titel des Codex Theod. XV. 14 de infirmandis his quae sub tyrannis aut barbaris gesta sunt. 296) Rubino Unterſuchungen über römiſche Verf. S. 13 fl. 297) Liv. epit. Lib. 80.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/237>, abgerufen am 24.11.2024.