Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. heit. Es ist ein interessanter Beweis für das hohe Alter festerstaatsrechtlicher Grundsätze in Rom und zugleich für den con- servativen Sinn der Römer, daß die ältesten und jüngsten Ge- setze aus der Republik sich auf dem von uns bezeichneten Wege begegnen. Dieselbe Form, in die die leges Valeriae (305) das Verbot der Wahl eines magistratus sine provocatione bringen, nämlich die einer (in diesem Fall durch Todesstrafe verschärften) Instruction an den die Wahlcomitien leitenden Magistrat,291) dieselbe Form wiederholt sich noch in der lex Julia municipalis (709).292) Wer die juristische Sprache der Römer einigermaßen kennt, weiß, daß mit dieser Form alles oben Ausgeführte impli- cirt ist, daß also die Uebertretung nicht Nichtigkeit, sondern bloß Strafe nach sich zog, oder um den Gegensatz mit einem römi- schen Kunstausdruck zu bezeichnen, daß jene Gesetze nicht leges perfectae, sondern minus quam perfectae waren.293) Der Kai- serzeit kamen die staatsrechtlichen Traditionen der Republik sehr bald abhanden. Schon im ersten Jahrhundert nehmen die Ge- setze über die Wahl der Beamten Bestimmungen auf, die man in denen der Republik vergebens suchen würde,294) und in dem Zeitalter der klassischen Juristen war die Erinnerung an die staatsrechtliche Doctrin der Republik bereits in dem Maße ver- schwunden, daß zwei dieser Juristen sich abmühen mußten, eine Entscheidung, die ihre Vorgänger zur Zeit der Republik einfach 291) Liv. III. 55: ne quis ullum magistratum sine provocatione crearet; qui creasset, eum jus fasque esset occidi. Eine Uebertretung dieser Vorschrift mußte kenntlich werden an der Formulirung der Rogations-, vielleicht auch der Renuntiationsformel. Das dicere dictatorem fiel dem Wortlaut nach nicht unter das Gesetz. 292) S. die Kapitel 5--10 dieses Gesetzes. 293) Ulp. Fr. Prooem. §. 2. 294) z. B. die Tabula Malacitana c. 61 de patrono cooptando. Nach-
dem hier zuerst die althergebrachte Form benutzt ist (a, ne quis cooptato etc. b, qui .. cooptaverit, .. dare damnas esto) folgt der moderne Zusatz: is, qui .. cooptatus erit, ne magis ob eam rem patronus muni- cipum municipii Flavi Malacitani esto. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. heit. Es iſt ein intereſſanter Beweis für das hohe Alter feſterſtaatsrechtlicher Grundſätze in Rom und zugleich für den con- ſervativen Sinn der Römer, daß die älteſten und jüngſten Ge- ſetze aus der Republik ſich auf dem von uns bezeichneten Wege begegnen. Dieſelbe Form, in die die leges Valeriae (305) das Verbot der Wahl eines magistratus sine provocatione bringen, nämlich die einer (in dieſem Fall durch Todesſtrafe verſchärften) Inſtruction an den die Wahlcomitien leitenden Magiſtrat,291) dieſelbe Form wiederholt ſich noch in der lex Julia municipalis (709).292) Wer die juriſtiſche Sprache der Römer einigermaßen kennt, weiß, daß mit dieſer Form alles oben Ausgeführte impli- cirt iſt, daß alſo die Uebertretung nicht Nichtigkeit, ſondern bloß Strafe nach ſich zog, oder um den Gegenſatz mit einem römi- ſchen Kunſtausdruck zu bezeichnen, daß jene Geſetze nicht leges perfectae, ſondern minus quam perfectae waren.293) Der Kai- ſerzeit kamen die ſtaatsrechtlichen Traditionen der Republik ſehr bald abhanden. Schon im erſten Jahrhundert nehmen die Ge- ſetze über die Wahl der Beamten Beſtimmungen auf, die man in denen der Republik vergebens ſuchen würde,294) und in dem Zeitalter der klaſſiſchen Juriſten war die Erinnerung an die ſtaatsrechtliche Doctrin der Republik bereits in dem Maße ver- ſchwunden, daß zwei dieſer Juriſten ſich abmühen mußten, eine Entſcheidung, die ihre Vorgänger zur Zeit der Republik einfach 291) Liv. III. 55: ne quis ullum magistratum sine provocatione crearet; qui creasset, eum jus fasque esset occidi. Eine Uebertretung dieſer Vorſchrift mußte kenntlich werden an der Formulirung der Rogations-, vielleicht auch der Renuntiationsformel. Das dicere dictatorem fiel dem Wortlaut nach nicht unter das Geſetz. 292) S. die Kapitel 5—10 dieſes Geſetzes. 293) Ulp. Fr. Prooem. §. 2. 294) z. B. die Tabula Malacitana c. 61 de patrono cooptando. Nach-
dem hier zuerſt die althergebrachte Form benutzt iſt (a, ne quis cooptato etc. b, qui .. cooptaverit, .. dare damnas esto) folgt der moderne Zuſatz: is, qui .. cooptatus erit, ne magis ob eam rem patronus muni- cipum municipii Flavi Malacitani esto. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0236" n="220"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die Technik. <hi rendition="#aq">A.</hi> Die Analytik.</fw><lb/> heit. Es iſt ein intereſſanter Beweis für das hohe Alter feſter<lb/> ſtaatsrechtlicher Grundſätze in Rom und zugleich für den con-<lb/> ſervativen Sinn der Römer, daß die älteſten und jüngſten Ge-<lb/> ſetze aus der Republik ſich auf dem von uns bezeichneten Wege<lb/> begegnen. Dieſelbe Form, in die die <hi rendition="#aq">leges Valeriae</hi> (305) das<lb/> Verbot der Wahl eines <hi rendition="#aq">magistratus sine provocatione</hi> bringen,<lb/> nämlich die einer (in dieſem Fall durch Todesſtrafe verſchärften)<lb/> Inſtruction an den die Wahlcomitien leitenden Magiſtrat,<note place="foot" n="291)"><hi rendition="#aq">Liv. III. 55: ne quis ullum magistratum sine provocatione<lb/><hi rendition="#g">crearet</hi>; qui creasset, eum jus fasque esset occidi.</hi> Eine Uebertretung<lb/> dieſer Vorſchrift mußte kenntlich werden an der Formulirung der Rogations-,<lb/> vielleicht auch der Renuntiationsformel. Das <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">dicere</hi> dictatorem</hi> fiel dem<lb/> Wortlaut nach nicht unter das Geſetz.</note><lb/> dieſelbe Form wiederholt ſich noch in der <hi rendition="#aq">lex Julia municipalis</hi><lb/> (709).<note place="foot" n="292)">S. die Kapitel 5—10 dieſes Geſetzes.</note> Wer die juriſtiſche Sprache der Römer einigermaßen<lb/> kennt, weiß, daß mit dieſer Form alles oben Ausgeführte impli-<lb/> cirt iſt, daß alſo die Uebertretung nicht Nichtigkeit, ſondern bloß<lb/> Strafe nach ſich zog, oder um den Gegenſatz mit einem römi-<lb/> ſchen Kunſtausdruck zu bezeichnen, daß jene Geſetze nicht <hi rendition="#aq">leges<lb/> perfectae,</hi> ſondern <hi rendition="#aq">minus quam perfectae</hi> waren.<note place="foot" n="293)"><hi rendition="#aq">Ulp. Fr. Prooem.</hi> §. 2.</note> Der Kai-<lb/> ſerzeit kamen die ſtaatsrechtlichen Traditionen der Republik ſehr<lb/> bald abhanden. Schon im erſten Jahrhundert nehmen die Ge-<lb/> ſetze über die Wahl der Beamten Beſtimmungen auf, die man<lb/> in denen der Republik vergebens ſuchen würde,<note place="foot" n="294)">z. B. die <hi rendition="#aq">Tabula Malacitana c. 61 de patrono cooptando.</hi> Nach-<lb/> dem hier zuerſt die althergebrachte Form benutzt iſt (<hi rendition="#aq">a, ne quis cooptato etc.<lb/> b, qui .. cooptaverit, .. dare damnas esto</hi>) folgt der moderne Zuſatz: <hi rendition="#aq">is,<lb/> qui .. cooptatus erit, <hi rendition="#g">ne magis ob eam rem patronus muni-<lb/> cipum municipii Flavi Malacitani esto</hi>.</hi></note> und in dem<lb/> Zeitalter der klaſſiſchen Juriſten war die Erinnerung an die<lb/> ſtaatsrechtliche Doctrin der Republik bereits in dem Maße ver-<lb/> ſchwunden, daß zwei dieſer Juriſten ſich abmühen mußten, eine<lb/> Entſcheidung, die ihre Vorgänger zur Zeit der Republik einfach<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [220/0236]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
heit. Es iſt ein intereſſanter Beweis für das hohe Alter feſter
ſtaatsrechtlicher Grundſätze in Rom und zugleich für den con-
ſervativen Sinn der Römer, daß die älteſten und jüngſten Ge-
ſetze aus der Republik ſich auf dem von uns bezeichneten Wege
begegnen. Dieſelbe Form, in die die leges Valeriae (305) das
Verbot der Wahl eines magistratus sine provocatione bringen,
nämlich die einer (in dieſem Fall durch Todesſtrafe verſchärften)
Inſtruction an den die Wahlcomitien leitenden Magiſtrat, 291)
dieſelbe Form wiederholt ſich noch in der lex Julia municipalis
(709). 292) Wer die juriſtiſche Sprache der Römer einigermaßen
kennt, weiß, daß mit dieſer Form alles oben Ausgeführte impli-
cirt iſt, daß alſo die Uebertretung nicht Nichtigkeit, ſondern bloß
Strafe nach ſich zog, oder um den Gegenſatz mit einem römi-
ſchen Kunſtausdruck zu bezeichnen, daß jene Geſetze nicht leges
perfectae, ſondern minus quam perfectae waren. 293) Der Kai-
ſerzeit kamen die ſtaatsrechtlichen Traditionen der Republik ſehr
bald abhanden. Schon im erſten Jahrhundert nehmen die Ge-
ſetze über die Wahl der Beamten Beſtimmungen auf, die man
in denen der Republik vergebens ſuchen würde, 294) und in dem
Zeitalter der klaſſiſchen Juriſten war die Erinnerung an die
ſtaatsrechtliche Doctrin der Republik bereits in dem Maße ver-
ſchwunden, daß zwei dieſer Juriſten ſich abmühen mußten, eine
Entſcheidung, die ihre Vorgänger zur Zeit der Republik einfach
291) Liv. III. 55: ne quis ullum magistratum sine provocatione
crearet; qui creasset, eum jus fasque esset occidi. Eine Uebertretung
dieſer Vorſchrift mußte kenntlich werden an der Formulirung der Rogations-,
vielleicht auch der Renuntiationsformel. Das dicere dictatorem fiel dem
Wortlaut nach nicht unter das Geſetz.
292) S. die Kapitel 5—10 dieſes Geſetzes.
293) Ulp. Fr. Prooem. §. 2.
294) z. B. die Tabula Malacitana c. 61 de patrono cooptando. Nach-
dem hier zuerſt die althergebrachte Form benutzt iſt (a, ne quis cooptato etc.
b, qui .. cooptaverit, .. dare damnas esto) folgt der moderne Zuſatz: is,
qui .. cooptatus erit, ne magis ob eam rem patronus muni-
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