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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem.
und ineinander übergehen, entwickelt sind, um so leichter sind
sie anzuwenden, weil im concreten Fall leichter zu erkennen und
zu unterscheiden. Namentlich ist der Formalismus für unsere
Frage von höchster Bedeutung. Denn die Form rückt eben das
Innerliche auf die Oberfläche, sie erspart ein Eingehen auf das
Materielle, ähnlich wie die Form bei der Münze, das Gepräge,
uns der Mühe überhebt, den Werth der Münze durch eine Unter-
suchung ihres Gehaltes und Gewichtes zu ermitteln. Der For-
malismus ist aber im ältern römischen Recht am stärksten ent-
wickelt, im neuern bereits beträchtlich abgeschwächt, im heutigen
auf einige wenige Gebiete (namentlich Testamente, Wechsel) zu-
rückgedrängt.

Je weniger Begriffe und Institute vorhanden sind, desto
weiter der Zwischenraum zwischen ihnen, desto größer die
Verschiedenheit, desto leichter mithin die Unterscheidung der-
selben. Je mehr neue Institute und Begriffe sich aber erheben,
um so kleiner wird der Abstand des einen vom andern, um so
mehr wächst mit der Annäherung die Aehnlichkeit und mit der
Aehnlichkeit die Gefahr der Verwechslung. Die Obligation und
die Herrschaft über eine Sache waren früher diametral entgegen-
gesetzte Verhältnisse; in der Superficies, Emphyteusis und dem
Pfandrecht des neuern Rechts reichen sie sich die Hand. Aber
nicht blos das Aufkommen neuer vermittelnder und verbinden-
der Institute bewirkt eine solche Annäherung, sondern eben so
sehr die innere Durchbildung der vorhandenen. Was in seinen
Anfangspunkten weit auseinander liegt, trifft in seinen End-
punkten zusammen. Man nehme z. B. das mutuum, depositum
und den ususfructus. Wie sehr sind sie verschieden, wie wenig
scheint hinsichtlich ihrer die Gefahr einer Verwechslung im con-
creten Fall zu drohen, und dennoch, seitdem die beiden letztern
Verhältnisse nicht mehr auf specifisch bestimmte Gegenstände
beschränkt, sondern auch bei generisch bestimmten zugelassen sind
(depositum irregulare und quasi ususfructus), ist jene Gefahr
im hohen Maße vorhanden. Ist ein Quasi-ususfruct oder ein

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
und ineinander übergehen, entwickelt ſind, um ſo leichter ſind
ſie anzuwenden, weil im concreten Fall leichter zu erkennen und
zu unterſcheiden. Namentlich iſt der Formalismus für unſere
Frage von höchſter Bedeutung. Denn die Form rückt eben das
Innerliche auf die Oberfläche, ſie erſpart ein Eingehen auf das
Materielle, ähnlich wie die Form bei der Münze, das Gepräge,
uns der Mühe überhebt, den Werth der Münze durch eine Unter-
ſuchung ihres Gehaltes und Gewichtes zu ermitteln. Der For-
malismus iſt aber im ältern römiſchen Recht am ſtärkſten ent-
wickelt, im neuern bereits beträchtlich abgeſchwächt, im heutigen
auf einige wenige Gebiete (namentlich Teſtamente, Wechſel) zu-
rückgedrängt.

Je weniger Begriffe und Inſtitute vorhanden ſind, deſto
weiter der Zwiſchenraum zwiſchen ihnen, deſto größer die
Verſchiedenheit, deſto leichter mithin die Unterſcheidung der-
ſelben. Je mehr neue Inſtitute und Begriffe ſich aber erheben,
um ſo kleiner wird der Abſtand des einen vom andern, um ſo
mehr wächſt mit der Annäherung die Aehnlichkeit und mit der
Aehnlichkeit die Gefahr der Verwechslung. Die Obligation und
die Herrſchaft über eine Sache waren früher diametral entgegen-
geſetzte Verhältniſſe; in der Superficies, Emphyteuſis und dem
Pfandrecht des neuern Rechts reichen ſie ſich die Hand. Aber
nicht blos das Aufkommen neuer vermittelnder und verbinden-
der Inſtitute bewirkt eine ſolche Annäherung, ſondern eben ſo
ſehr die innere Durchbildung der vorhandenen. Was in ſeinen
Anfangspunkten weit auseinander liegt, trifft in ſeinen End-
punkten zuſammen. Man nehme z. B. das mutuum, depositum
und den ususfructus. Wie ſehr ſind ſie verſchieden, wie wenig
ſcheint hinſichtlich ihrer die Gefahr einer Verwechslung im con-
creten Fall zu drohen, und dennoch, ſeitdem die beiden letztern
Verhältniſſe nicht mehr auf ſpecifiſch beſtimmte Gegenſtände
beſchränkt, ſondern auch bei generiſch beſtimmten zugelaſſen ſind
(depositum irregulare und quasi ususfructus), iſt jene Gefahr
im hohen Maße vorhanden. Iſt ein Quaſi-uſusfruct oder ein

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[354/0060] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. und ineinander übergehen, entwickelt ſind, um ſo leichter ſind ſie anzuwenden, weil im concreten Fall leichter zu erkennen und zu unterſcheiden. Namentlich iſt der Formalismus für unſere Frage von höchſter Bedeutung. Denn die Form rückt eben das Innerliche auf die Oberfläche, ſie erſpart ein Eingehen auf das Materielle, ähnlich wie die Form bei der Münze, das Gepräge, uns der Mühe überhebt, den Werth der Münze durch eine Unter- ſuchung ihres Gehaltes und Gewichtes zu ermitteln. Der For- malismus iſt aber im ältern römiſchen Recht am ſtärkſten ent- wickelt, im neuern bereits beträchtlich abgeſchwächt, im heutigen auf einige wenige Gebiete (namentlich Teſtamente, Wechſel) zu- rückgedrängt. Je weniger Begriffe und Inſtitute vorhanden ſind, deſto weiter der Zwiſchenraum zwiſchen ihnen, deſto größer die Verſchiedenheit, deſto leichter mithin die Unterſcheidung der- ſelben. Je mehr neue Inſtitute und Begriffe ſich aber erheben, um ſo kleiner wird der Abſtand des einen vom andern, um ſo mehr wächſt mit der Annäherung die Aehnlichkeit und mit der Aehnlichkeit die Gefahr der Verwechslung. Die Obligation und die Herrſchaft über eine Sache waren früher diametral entgegen- geſetzte Verhältniſſe; in der Superficies, Emphyteuſis und dem Pfandrecht des neuern Rechts reichen ſie ſich die Hand. Aber nicht blos das Aufkommen neuer vermittelnder und verbinden- der Inſtitute bewirkt eine ſolche Annäherung, ſondern eben ſo ſehr die innere Durchbildung der vorhandenen. Was in ſeinen Anfangspunkten weit auseinander liegt, trifft in ſeinen End- punkten zuſammen. Man nehme z. B. das mutuum, depositum und den ususfructus. Wie ſehr ſind ſie verſchieden, wie wenig ſcheint hinſichtlich ihrer die Gefahr einer Verwechslung im con- creten Fall zu drohen, und dennoch, ſeitdem die beiden letztern Verhältniſſe nicht mehr auf ſpecifiſch beſtimmte Gegenſtände beſchränkt, ſondern auch bei generiſch beſtimmten zugelaſſen ſind (depositum irregulare und quasi ususfructus), iſt jene Gefahr im hohen Maße vorhanden. Iſt ein Quaſi-uſusfruct oder ein

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/60>, abgerufen am 22.11.2024.