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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
Erklärung fallen hier in ganz verschiedene Zeitmomente. Ein-
heit der Zeit erfordert nothwendigerweise Einheit des Orts,
Aufgeben der letzteren ist Aufgeben der ersteren. Wollen Zwei
juristisch überein- oder zusammenkommen (convenire, con-
ventio)
so mögen sie es auch im natürlichen Sinn thun; da sieht
man, daß sie etwas Gemeinsames vorhaben -- ihre Vereini-
gung im Raum ist die sinnlich-natürliche Voraussetzung ihrer
Vereinigung im Willen. Ebenso wenn es eine unmittelbare
Disposition über eine Sache gilt. Wie könnte man dieselbe tref-
fen aus der Entfernung? Das ist dem naiven Sinn zu hoch.
Er verlangt nicht bloß, daß man den Gegenstand, um den es
sich handelt, sehe, sondern daß das rechtliche Verhältniß, in
das man sich zu ihm setzen oder das man an ihm geltend machen
will, kurz die Beziehung und Richtung des Willens zu ihm sich
in einer äußern Einwirkung auf ihn kund thue, verkörpere, --
das Erforderniß der Einheit des Orts besteht auch für die
Sachen: wo die Sache unmittelbarer Gegenstand des Rechts-
geschäfts ist (Besitz- und Eigenthumsübertragung, Vindication,
operis novi nunciatio 923), muß sie den handelnden Personen zur
Hand sein.

So hat also das Rechtsgeschäft seinen räumlichen Kreis,
innerhalb dessen Personen und Sachen gegenwärtig sein müssen.
Für die Personen ist er bestimmt durch das Requisit der
mündlichen Rede (S. 616), durch Sprechen und Hören, er
reicht so weit, als die Stimme und das Ohr trägt. Darum
müssen bei allen formellen Rechtsgeschäften und bei allen Hand-
lungen des Processes, bei denen die Rede sich gegen den Gegner
richtet, beide Theile gegenwärtig sein. 924) Für die Sachen ist

923) L. 5 §. 2 und 3 de O. N. N. (39. 1). Nunciationem autem
in re praesenti faciendam i. e. eo loci, ubi opus fiat .. sufficit in re
praesenti nunciari ei, qui in re praesenti fuerit.
924) Für die Stipulation, Mancipation, Abtretung vor Gericht und die
Legisactionen (mit Ausnahme der pignoris capio, Gaj. IV, 29) ist dies be-
reits früher bemerkt; ich hebe außerdem noch die in L. 6 §. 2 de conf.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
Erklärung fallen hier in ganz verſchiedene Zeitmomente. Ein-
heit der Zeit erfordert nothwendigerweiſe Einheit des Orts,
Aufgeben der letzteren iſt Aufgeben der erſteren. Wollen Zwei
juriſtiſch überein- oder zuſammenkommen (convenire, con-
ventio)
ſo mögen ſie es auch im natürlichen Sinn thun; da ſieht
man, daß ſie etwas Gemeinſames vorhaben — ihre Vereini-
gung im Raum iſt die ſinnlich-natürliche Vorausſetzung ihrer
Vereinigung im Willen. Ebenſo wenn es eine unmittelbare
Dispoſition über eine Sache gilt. Wie könnte man dieſelbe tref-
fen aus der Entfernung? Das iſt dem naiven Sinn zu hoch.
Er verlangt nicht bloß, daß man den Gegenſtand, um den es
ſich handelt, ſehe, ſondern daß das rechtliche Verhältniß, in
das man ſich zu ihm ſetzen oder das man an ihm geltend machen
will, kurz die Beziehung und Richtung des Willens zu ihm ſich
in einer äußern Einwirkung auf ihn kund thue, verkörpere, —
das Erforderniß der Einheit des Orts beſteht auch für die
Sachen: wo die Sache unmittelbarer Gegenſtand des Rechts-
geſchäfts iſt (Beſitz- und Eigenthumsübertragung, Vindication,
operis novi nunciatio 923), muß ſie den handelnden Perſonen zur
Hand ſein.

So hat alſo das Rechtsgeſchäft ſeinen räumlichen Kreis,
innerhalb deſſen Perſonen und Sachen gegenwärtig ſein müſſen.
Für die Perſonen iſt er beſtimmt durch das Requiſit der
mündlichen Rede (S. 616), durch Sprechen und Hören, er
reicht ſo weit, als die Stimme und das Ohr trägt. Darum
müſſen bei allen formellen Rechtsgeſchäften und bei allen Hand-
lungen des Proceſſes, bei denen die Rede ſich gegen den Gegner
richtet, beide Theile gegenwärtig ſein. 924) Für die Sachen iſt

923) L. 5 §. 2 und 3 de O. N. N. (39. 1). Nunciationem autem
in re praesenti faciendam i. e. eo loci, ubi opus fiat .. sufficit in re
praesenti nunciari ei, qui in re praesenti fuerit.
924) Für die Stipulation, Mancipation, Abtretung vor Gericht und die
Legisactionen (mit Ausnahme der pignoris capio, Gaj. IV, 29) iſt dies be-
reits früher bemerkt; ich hebe außerdem noch die in L. 6 §. 2 de conf.
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[686/0392] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. Erklärung fallen hier in ganz verſchiedene Zeitmomente. Ein- heit der Zeit erfordert nothwendigerweiſe Einheit des Orts, Aufgeben der letzteren iſt Aufgeben der erſteren. Wollen Zwei juriſtiſch überein- oder zuſammenkommen (convenire, con- ventio) ſo mögen ſie es auch im natürlichen Sinn thun; da ſieht man, daß ſie etwas Gemeinſames vorhaben — ihre Vereini- gung im Raum iſt die ſinnlich-natürliche Vorausſetzung ihrer Vereinigung im Willen. Ebenſo wenn es eine unmittelbare Dispoſition über eine Sache gilt. Wie könnte man dieſelbe tref- fen aus der Entfernung? Das iſt dem naiven Sinn zu hoch. Er verlangt nicht bloß, daß man den Gegenſtand, um den es ſich handelt, ſehe, ſondern daß das rechtliche Verhältniß, in das man ſich zu ihm ſetzen oder das man an ihm geltend machen will, kurz die Beziehung und Richtung des Willens zu ihm ſich in einer äußern Einwirkung auf ihn kund thue, verkörpere, — das Erforderniß der Einheit des Orts beſteht auch für die Sachen: wo die Sache unmittelbarer Gegenſtand des Rechts- geſchäfts iſt (Beſitz- und Eigenthumsübertragung, Vindication, operis novi nunciatio 923), muß ſie den handelnden Perſonen zur Hand ſein. So hat alſo das Rechtsgeſchäft ſeinen räumlichen Kreis, innerhalb deſſen Perſonen und Sachen gegenwärtig ſein müſſen. Für die Perſonen iſt er beſtimmt durch das Requiſit der mündlichen Rede (S. 616), durch Sprechen und Hören, er reicht ſo weit, als die Stimme und das Ohr trägt. Darum müſſen bei allen formellen Rechtsgeſchäften und bei allen Hand- lungen des Proceſſes, bei denen die Rede ſich gegen den Gegner richtet, beide Theile gegenwärtig ſein. 924) Für die Sachen iſt 923) L. 5 §. 2 und 3 de O. N. N. (39. 1). Nunciationem autem in re praesenti faciendam i. e. eo loci, ubi opus fiat .. sufficit in re praesenti nunciari ei, qui in re praesenti fuerit. 924) Für die Stipulation, Mancipation, Abtretung vor Gericht und die Legisactionen (mit Ausnahme der pignoris capio, Gaj. IV, 29) iſt dies be- reits früher bemerkt; ich hebe außerdem noch die in L. 6 §. 2 de conf.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/392>, abgerufen am 23.07.2024.