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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
um bescheidener zu sprechen, die Schreibmeister der Nation wa-
ren, sein Seitenstück, und dieser Umstand allein würde den von
ihnen verfaßten Formeln ebensowenig eine religiöse Weihe zu
verleihen im Stande gewesen sein, als z. B. der Mönch Mar-
culf im siebenten Jahrhundert für seine Formulariensammlung
eine solche wird vindicirt haben.

Daß die Legisactionen denselben Geist athmen, wie die For-
meln des geistlichen Rechts, was bewiese es anders, als das,
was wir wissen: daß sie denselben Händen ihren Ursprung ver-
danken? Der pontificische Styl (S. 423) geht durch das ganze
Recht, das fas wie das jus, aber eben diese letztere, uralte Schei-
dung des Rechts in eine religiöse und profane Seite (B. 1
S. 258) lehrt, daß nicht jedes Institut dadurch, daß ein Pon-
tifex seine Hand daran legte, die religiöse Weihe erhielt.

Ein Versehen in der Formel, heißt es weiter, fachte den Zorn
der Götter an, denn die Formel war genommen aus dem Gesetz,
das Gesetz selbst aber vermöge der Auspicien unter göttlicher
Mitwirkung erlassen. Einen Beweis der Richtigkeit dieser Auf-
fassung soll die legis actio sacramento liefern: das sacramen-
tum
(B. 1 S. 265) sollte die Götter versöhnen.

Allein warum erhielten sie die Sühne bloß bei jener legis
actio,
warum nicht auch bei den vier übrigen, namentlich der
pignoris capio, die ja in gewissen Fällen eine ausgesprochene
religiöse Beziehung hatte? Waren die Gesetze, in denen sie
ihren Ursprung hatten, weniger unter göttlichen Schutz gestellt?
Schrie das Unrecht Jemandes, der illegaler Weise eigenmächtig
mit manus injectio oder pignoris capio verfahren, weniger zum
Himmel, als dessen, der den Weg Rechtens (mittelst leg. act.
sacramento
) eingeschlagen und dabei wegen Formfehlers unter-
legen war? Ich sollte sagen: weit mehr!

Ein Gebot gab es im alten Proceß, dessen religiöse Natur
außer allem Zweifel steht: das Gebot der Beachtung der dies
nefasti
(s. unten S. 695). Welche Folge hatte nun die Ver-
letzung desselben? Die unbewußte konnte und mußte mit-

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
um beſcheidener zu ſprechen, die Schreibmeiſter der Nation wa-
ren, ſein Seitenſtück, und dieſer Umſtand allein würde den von
ihnen verfaßten Formeln ebenſowenig eine religiöſe Weihe zu
verleihen im Stande geweſen ſein, als z. B. der Mönch Mar-
culf im ſiebenten Jahrhundert für ſeine Formularienſammlung
eine ſolche wird vindicirt haben.

Daß die Legisactionen denſelben Geiſt athmen, wie die For-
meln des geiſtlichen Rechts, was bewieſe es anders, als das,
was wir wiſſen: daß ſie denſelben Händen ihren Urſprung ver-
danken? Der pontificiſche Styl (S. 423) geht durch das ganze
Recht, das fas wie das jus, aber eben dieſe letztere, uralte Schei-
dung des Rechts in eine religiöſe und profane Seite (B. 1
S. 258) lehrt, daß nicht jedes Inſtitut dadurch, daß ein Pon-
tifex ſeine Hand daran legte, die religiöſe Weihe erhielt.

Ein Verſehen in der Formel, heißt es weiter, fachte den Zorn
der Götter an, denn die Formel war genommen aus dem Geſetz,
das Geſetz ſelbſt aber vermöge der Auſpicien unter göttlicher
Mitwirkung erlaſſen. Einen Beweis der Richtigkeit dieſer Auf-
faſſung ſoll die legis actio sacramento liefern: das sacramen-
tum
(B. 1 S. 265) ſollte die Götter verſöhnen.

Allein warum erhielten ſie die Sühne bloß bei jener legis
actio,
warum nicht auch bei den vier übrigen, namentlich der
pignoris capio, die ja in gewiſſen Fällen eine ausgeſprochene
religiöſe Beziehung hatte? Waren die Geſetze, in denen ſie
ihren Urſprung hatten, weniger unter göttlichen Schutz geſtellt?
Schrie das Unrecht Jemandes, der illegaler Weiſe eigenmächtig
mit manus injectio oder pignoris capio verfahren, weniger zum
Himmel, als deſſen, der den Weg Rechtens (mittelſt leg. act.
sacramento
) eingeſchlagen und dabei wegen Formfehlers unter-
legen war? Ich ſollte ſagen: weit mehr!

Ein Gebot gab es im alten Proceß, deſſen religiöſe Natur
außer allem Zweifel ſteht: das Gebot der Beachtung der dies
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(ſ. unten S. 695). Welche Folge hatte nun die Ver-
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[676/0382] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. um beſcheidener zu ſprechen, die Schreibmeiſter der Nation wa- ren, ſein Seitenſtück, und dieſer Umſtand allein würde den von ihnen verfaßten Formeln ebenſowenig eine religiöſe Weihe zu verleihen im Stande geweſen ſein, als z. B. der Mönch Mar- culf im ſiebenten Jahrhundert für ſeine Formularienſammlung eine ſolche wird vindicirt haben. Daß die Legisactionen denſelben Geiſt athmen, wie die For- meln des geiſtlichen Rechts, was bewieſe es anders, als das, was wir wiſſen: daß ſie denſelben Händen ihren Urſprung ver- danken? Der pontificiſche Styl (S. 423) geht durch das ganze Recht, das fas wie das jus, aber eben dieſe letztere, uralte Schei- dung des Rechts in eine religiöſe und profane Seite (B. 1 S. 258) lehrt, daß nicht jedes Inſtitut dadurch, daß ein Pon- tifex ſeine Hand daran legte, die religiöſe Weihe erhielt. Ein Verſehen in der Formel, heißt es weiter, fachte den Zorn der Götter an, denn die Formel war genommen aus dem Geſetz, das Geſetz ſelbſt aber vermöge der Auſpicien unter göttlicher Mitwirkung erlaſſen. Einen Beweis der Richtigkeit dieſer Auf- faſſung ſoll die legis actio sacramento liefern: das sacramen- tum (B. 1 S. 265) ſollte die Götter verſöhnen. Allein warum erhielten ſie die Sühne bloß bei jener legis actio, warum nicht auch bei den vier übrigen, namentlich der pignoris capio, die ja in gewiſſen Fällen eine ausgeſprochene religiöſe Beziehung hatte? Waren die Geſetze, in denen ſie ihren Urſprung hatten, weniger unter göttlichen Schutz geſtellt? Schrie das Unrecht Jemandes, der illegaler Weiſe eigenmächtig mit manus injectio oder pignoris capio verfahren, weniger zum Himmel, als deſſen, der den Weg Rechtens (mittelſt leg. act. sacramento) eingeſchlagen und dabei wegen Formfehlers unter- legen war? Ich ſollte ſagen: weit mehr! Ein Gebot gab es im alten Proceß, deſſen religiöſe Natur außer allem Zweifel ſteht: das Gebot der Beachtung der dies nefasti (ſ. unten S. 695). Welche Folge hatte nun die Ver- letzung deſſelben? Die unbewußte konnte und mußte mit-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/382>, abgerufen am 24.06.2024.