Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
heutigen Jurisprudenz so bestimmende Behandlung und Auffas- sung der Klage. Es ist schwer diesen Gegensatz, wie es hier doch geschehen muß, im Vorübergehen mit wenig Worten zu entwickeln; mögen folgende Andeutungen genügen.
Wenn man die wissenschaftliche Form, die der Rechtsstoff in der römischen und der heutigen Jurisprudenz an sich trägt, mit einander vergleicht, so findet man als dominirenden Gesichts- punkt und zwar sowohl für die Behandlung der einzelnen In- stitute als die Anordnung des ganzen Systems dort die Klage, hier das Recht. Der römische Jurist beginnt regelmäßig mit der Klage und steigt von ihr rückwärts zu dem Recht, welches ihre Voraussetzung bildet, hinauf, der heutige schlägt den gerade ent- gegengesetzten Weg ein. Dem entsprechend ordnet letzterer das ge- sammte System nach Gesichtspunkten, die vom Recht hergenom- men sind; während die Römer sowohl in ihren legislativen (prätorisches Edict) als doctrinellen Darstellungen vielfach den ganzen Stoff an der Hand der Klagen behandeln. Der römische Ausgangspunkt ist der des unmittelbar praktischen, der heutige des theoretischen, wissenschaftlichen Interesses.
Wäre es nun bloß eine Differenz der Ausgangspunkte, bei der man in entgegengesetzter Richtung ganz denselben Weg zurücklegte, sie würde nur eine systematische Bedeutung haben. Allein in der That bedeutet sie viel mehr, nämlich eine höchst fol- genreiche praktische Differenz -- eine Verschiedenheit für die Entwickelung des gesammten Rechts sowohl rücksichtlich der Art und Form, in der, als der Seite, auf der, und der Leich- tigkeit, mit der sie Statt findet. Die Klagen sind in Rom die Fußstapfen der staatlichen rechtsbildenden Gewalten; na- mentlich des Prätors; der Antheil, den letztere an der Entwicke- lung des Privatrechts genommen, ist zum größten Theil in ihnen zu lesen. Auch noch in späterer Zeit gehört die Klage, wenn auch nicht mehr wie einst der lex (im römischen Sinn) so doch dem Staat. Das Recht über seine Kinder und sein Haus lei- tet der Römer nicht vom Staat ab, das hat er von sich selbst
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
heutigen Jurisprudenz ſo beſtimmende Behandlung und Auffaſ- ſung der Klage. Es iſt ſchwer dieſen Gegenſatz, wie es hier doch geſchehen muß, im Vorübergehen mit wenig Worten zu entwickeln; mögen folgende Andeutungen genügen.
Wenn man die wiſſenſchaftliche Form, die der Rechtsſtoff in der römiſchen und der heutigen Jurisprudenz an ſich trägt, mit einander vergleicht, ſo findet man als dominirenden Geſichts- punkt und zwar ſowohl für die Behandlung der einzelnen In- ſtitute als die Anordnung des ganzen Syſtems dort die Klage, hier das Recht. Der römiſche Juriſt beginnt regelmäßig mit der Klage und ſteigt von ihr rückwärts zu dem Recht, welches ihre Vorausſetzung bildet, hinauf, der heutige ſchlägt den gerade ent- gegengeſetzten Weg ein. Dem entſprechend ordnet letzterer das ge- ſammte Syſtem nach Geſichtspunkten, die vom Recht hergenom- men ſind; während die Römer ſowohl in ihren legislativen (prätoriſches Edict) als doctrinellen Darſtellungen vielfach den ganzen Stoff an der Hand der Klagen behandeln. Der römiſche Ausgangspunkt iſt der des unmittelbar praktiſchen, der heutige des theoretiſchen, wiſſenſchaftlichen Intereſſes.
Wäre es nun bloß eine Differenz der Ausgangspunkte, bei der man in entgegengeſetzter Richtung ganz denſelben Weg zurücklegte, ſie würde nur eine ſyſtematiſche Bedeutung haben. Allein in der That bedeutet ſie viel mehr, nämlich eine höchſt fol- genreiche praktiſche Differenz — eine Verſchiedenheit für die Entwickelung des geſammten Rechts ſowohl rückſichtlich der Art und Form, in der, als der Seite, auf der, und der Leich- tigkeit, mit der ſie Statt findet. Die Klagen ſind in Rom die Fußſtapfen der ſtaatlichen rechtsbildenden Gewalten; na- mentlich des Prätors; der Antheil, den letztere an der Entwicke- lung des Privatrechts genommen, iſt zum größten Theil in ihnen zu leſen. Auch noch in ſpäterer Zeit gehört die Klage, wenn auch nicht mehr wie einſt der lex (im römiſchen Sinn) ſo doch dem Staat. Das Recht über ſeine Kinder und ſein Haus lei- tet der Römer nicht vom Staat ab, das hat er von ſich ſelbſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><p><pbfacs="#f0378"n="672"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hirendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hirendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
heutigen Jurisprudenz ſo beſtimmende Behandlung und Auffaſ-<lb/>ſung der <hirendition="#g">Klage</hi>. Es iſt ſchwer dieſen Gegenſatz, wie es hier<lb/>
doch geſchehen muß, im Vorübergehen mit wenig Worten zu<lb/>
entwickeln; mögen folgende Andeutungen genügen.</p><lb/><p>Wenn man die wiſſenſchaftliche Form, die der Rechtsſtoff in<lb/>
der römiſchen und der heutigen Jurisprudenz an ſich trägt, mit<lb/>
einander vergleicht, ſo findet man als dominirenden Geſichts-<lb/>
punkt und zwar ſowohl für die Behandlung der einzelnen In-<lb/>ſtitute als die Anordnung des ganzen Syſtems dort die <hirendition="#g">Klage</hi>,<lb/>
hier das <hirendition="#g">Recht</hi>. Der römiſche Juriſt beginnt regelmäßig mit der<lb/>
Klage und ſteigt von ihr rückwärts zu dem Recht, welches ihre<lb/>
Vorausſetzung bildet, hinauf, der heutige ſchlägt den gerade ent-<lb/>
gegengeſetzten Weg ein. Dem entſprechend ordnet letzterer das ge-<lb/>ſammte Syſtem nach Geſichtspunkten, die vom <hirendition="#g">Recht</hi> hergenom-<lb/>
men ſind; während die Römer ſowohl in ihren legislativen<lb/>
(prätoriſches Edict) als doctrinellen Darſtellungen vielfach den<lb/>
ganzen Stoff an der Hand der <hirendition="#g">Klagen</hi> behandeln. Der römiſche<lb/>
Ausgangspunkt iſt der des <hirendition="#g">unmittelbar praktiſchen</hi>, der<lb/>
heutige des <hirendition="#g">theoretiſchen, wiſſenſchaftlichen</hi> Intereſſes.</p><lb/><p>Wäre es nun bloß eine Differenz der <hirendition="#g">Ausgangspunkte</hi>,<lb/>
bei der man in entgegengeſetzter Richtung ganz denſelben Weg<lb/>
zurücklegte, ſie würde nur eine ſyſtematiſche Bedeutung haben.<lb/>
Allein in der That bedeutet ſie viel mehr, nämlich eine höchſt fol-<lb/>
genreiche <hirendition="#g">praktiſche</hi> Differenz — eine Verſchiedenheit für die<lb/>
Entwickelung des geſammten Rechts ſowohl rückſichtlich der <hirendition="#g">Art<lb/>
und Form</hi>, in der, als der Seite, auf der, und der <hirendition="#g">Leich-<lb/>
tigkeit</hi>, mit der ſie Statt findet. Die Klagen ſind in Rom<lb/>
die Fußſtapfen der <hirendition="#g">ſtaatlichen</hi> rechtsbildenden Gewalten; na-<lb/>
mentlich des Prätors; der Antheil, den letztere an der Entwicke-<lb/>
lung des Privatrechts genommen, iſt zum größten Theil in ihnen<lb/>
zu leſen. Auch noch in ſpäterer Zeit gehört die Klage, wenn<lb/>
auch nicht mehr wie einſt der <hirendition="#g"><hirendition="#aq">lex</hi></hi> (im römiſchen Sinn) ſo doch<lb/>
dem <hirendition="#g">Staat</hi>. Das Recht über ſeine Kinder und ſein Haus lei-<lb/>
tet der Römer nicht vom Staat ab, das hat er von ſich ſelbſt<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[672/0378]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
heutigen Jurisprudenz ſo beſtimmende Behandlung und Auffaſ-
ſung der Klage. Es iſt ſchwer dieſen Gegenſatz, wie es hier
doch geſchehen muß, im Vorübergehen mit wenig Worten zu
entwickeln; mögen folgende Andeutungen genügen.
Wenn man die wiſſenſchaftliche Form, die der Rechtsſtoff in
der römiſchen und der heutigen Jurisprudenz an ſich trägt, mit
einander vergleicht, ſo findet man als dominirenden Geſichts-
punkt und zwar ſowohl für die Behandlung der einzelnen In-
ſtitute als die Anordnung des ganzen Syſtems dort die Klage,
hier das Recht. Der römiſche Juriſt beginnt regelmäßig mit der
Klage und ſteigt von ihr rückwärts zu dem Recht, welches ihre
Vorausſetzung bildet, hinauf, der heutige ſchlägt den gerade ent-
gegengeſetzten Weg ein. Dem entſprechend ordnet letzterer das ge-
ſammte Syſtem nach Geſichtspunkten, die vom Recht hergenom-
men ſind; während die Römer ſowohl in ihren legislativen
(prätoriſches Edict) als doctrinellen Darſtellungen vielfach den
ganzen Stoff an der Hand der Klagen behandeln. Der römiſche
Ausgangspunkt iſt der des unmittelbar praktiſchen, der
heutige des theoretiſchen, wiſſenſchaftlichen Intereſſes.
Wäre es nun bloß eine Differenz der Ausgangspunkte,
bei der man in entgegengeſetzter Richtung ganz denſelben Weg
zurücklegte, ſie würde nur eine ſyſtematiſche Bedeutung haben.
Allein in der That bedeutet ſie viel mehr, nämlich eine höchſt fol-
genreiche praktiſche Differenz — eine Verſchiedenheit für die
Entwickelung des geſammten Rechts ſowohl rückſichtlich der Art
und Form, in der, als der Seite, auf der, und der Leich-
tigkeit, mit der ſie Statt findet. Die Klagen ſind in Rom
die Fußſtapfen der ſtaatlichen rechtsbildenden Gewalten; na-
mentlich des Prätors; der Antheil, den letztere an der Entwicke-
lung des Privatrechts genommen, iſt zum größten Theil in ihnen
zu leſen. Auch noch in ſpäterer Zeit gehört die Klage, wenn
auch nicht mehr wie einſt der lex (im römiſchen Sinn) ſo doch
dem Staat. Das Recht über ſeine Kinder und ſein Haus lei-
tet der Römer nicht vom Staat ab, das hat er von ſich ſelbſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/378>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.