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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
nen, und in richtiger Erkenntniß davon durfte und mußte man
hier von einem eignen Contract sprechen. Es verhielt sich mit
demselben ähnlich, wie mit der obligatorischen Kraft des rich-
terlichen Urtheils. Beide sind von Haus aus rein declara-
torisch
, sie erkennen nur eine Verbindlichkeit als bereits
vorhanden
an, allein da diese Anerkennung eine unumstöß-
liche Kraft hat, so erlangen sie damit die Natur constituti-
ver
Akte. 812) Seiner praktischen Geltung nach würde also
der Literalcontract von unserem obigen Satz eine Ausnahme
begründen, seiner juristischen Composition nach nicht.

Also unsere Regel bleibt aufrecht: alle Geschäfte des älteren
Rechts müssen mündlich errichtet werden. Wie aber wenn
Jemand nicht sprechen kann? Dann ist er eben dadurch ausge-
schlossen. Dasselbe gilt von dem Tauben 813) rücksichtlich aller
Geschäfte, bei denen der Gegner zu sprechen hat, denn man
muß die Worte desselben hören, also z. B. von der Stipula-
tion, dem Testamente. Unser heutiges Recht macht den
Schreibunfähigen die bekannte Concession des Kreuzziehens
statt der Namensunterschrift, das römische Recht hat eine solche
Rücksicht gegen Taube und Stumme nicht beobachtet, sie sind
die Opfer ihres Naturfehlers.


Woher nun die Worte und Formeln?

Sind sie durch die Gesetze eingeführt? Gewiß nicht! In
der spätern Zeit kommt es allerdings vor, daß ein Gesetz für die
Klage, die es gewährt, auch zugleich die entsprechende Klag-

812) Eine Analogie aus dem spätern Recht s. bei Paulus Sent. Rec.
V, 7 (Hänel 8) §. 2: quod si scriptum fuerit instrumento promisisse
aliquem, perinde habetur ac si interrogatione praecedente responsum
sit.
813) Ueber beides s. L. 48 de O. et A. (44. 7) .. in quibus negotiis
sermone non opus est. L. 6 §. 1 qui testam. (28. 1) Ulp. XX, 7. 13.

Die tutoris auctoritas L. 1 §. 2, 3 de tut. (26. 1). Mit den verba certa
ist auch diese Consequenz derselben im justinianischen Recht hinweggefallen
L. 10 Cod. qui test. (6. 22).

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
nen, und in richtiger Erkenntniß davon durfte und mußte man
hier von einem eignen Contract ſprechen. Es verhielt ſich mit
demſelben ähnlich, wie mit der obligatoriſchen Kraft des rich-
terlichen Urtheils. Beide ſind von Haus aus rein declara-
toriſch
, ſie erkennen nur eine Verbindlichkeit als bereits
vorhanden
an, allein da dieſe Anerkennung eine unumſtöß-
liche Kraft hat, ſo erlangen ſie damit die Natur conſtituti-
ver
Akte. 812) Seiner praktiſchen Geltung nach würde alſo
der Literalcontract von unſerem obigen Satz eine Ausnahme
begründen, ſeiner juriſtiſchen Compoſition nach nicht.

Alſo unſere Regel bleibt aufrecht: alle Geſchäfte des älteren
Rechts müſſen mündlich errichtet werden. Wie aber wenn
Jemand nicht ſprechen kann? Dann iſt er eben dadurch ausge-
ſchloſſen. Daſſelbe gilt von dem Tauben 813) rückſichtlich aller
Geſchäfte, bei denen der Gegner zu ſprechen hat, denn man
muß die Worte deſſelben hören, alſo z. B. von der Stipula-
tion, dem Teſtamente. Unſer heutiges Recht macht den
Schreibunfähigen die bekannte Conceſſion des Kreuzziehens
ſtatt der Namensunterſchrift, das römiſche Recht hat eine ſolche
Rückſicht gegen Taube und Stumme nicht beobachtet, ſie ſind
die Opfer ihres Naturfehlers.


Woher nun die Worte und Formeln?

Sind ſie durch die Geſetze eingeführt? Gewiß nicht! In
der ſpätern Zeit kommt es allerdings vor, daß ein Geſetz für die
Klage, die es gewährt, auch zugleich die entſprechende Klag-

812) Eine Analogie aus dem ſpätern Recht ſ. bei Paulus Sent. Rec.
V, 7 (Hänel 8) §. 2: quod si scriptum fuerit instrumento promisisse
aliquem, perinde habetur ac si interrogatione praecedente responsum
sit.
813) Ueber beides ſ. L. 48 de O. et A. (44. 7) .. in quibus negotiis
sermone non opus est. L. 6 §. 1 qui testam. (28. 1) Ulp. XX, 7. 13.

Die tutoris auctoritas L. 1 §. 2, 3 de tut. (26. 1). Mit den verba certa
iſt auch dieſe Conſequenz derſelben im juſtinianiſchen Recht hinweggefallen
L. 10 Cod. qui test. (6. 22).
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[621/0327] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. nen, und in richtiger Erkenntniß davon durfte und mußte man hier von einem eignen Contract ſprechen. Es verhielt ſich mit demſelben ähnlich, wie mit der obligatoriſchen Kraft des rich- terlichen Urtheils. Beide ſind von Haus aus rein declara- toriſch, ſie erkennen nur eine Verbindlichkeit als bereits vorhanden an, allein da dieſe Anerkennung eine unumſtöß- liche Kraft hat, ſo erlangen ſie damit die Natur conſtituti- ver Akte. 812) Seiner praktiſchen Geltung nach würde alſo der Literalcontract von unſerem obigen Satz eine Ausnahme begründen, ſeiner juriſtiſchen Compoſition nach nicht. Alſo unſere Regel bleibt aufrecht: alle Geſchäfte des älteren Rechts müſſen mündlich errichtet werden. Wie aber wenn Jemand nicht ſprechen kann? Dann iſt er eben dadurch ausge- ſchloſſen. Daſſelbe gilt von dem Tauben 813) rückſichtlich aller Geſchäfte, bei denen der Gegner zu ſprechen hat, denn man muß die Worte deſſelben hören, alſo z. B. von der Stipula- tion, dem Teſtamente. Unſer heutiges Recht macht den Schreibunfähigen die bekannte Conceſſion des Kreuzziehens ſtatt der Namensunterſchrift, das römiſche Recht hat eine ſolche Rückſicht gegen Taube und Stumme nicht beobachtet, ſie ſind die Opfer ihres Naturfehlers. Woher nun die Worte und Formeln? Sind ſie durch die Geſetze eingeführt? Gewiß nicht! In der ſpätern Zeit kommt es allerdings vor, daß ein Geſetz für die Klage, die es gewährt, auch zugleich die entſprechende Klag- 812) Eine Analogie aus dem ſpätern Recht ſ. bei Paulus Sent. Rec. V, 7 (Hänel 8) §. 2: quod si scriptum fuerit instrumento promisisse aliquem, perinde habetur ac si interrogatione praecedente responsum sit. 813) Ueber beides ſ. L. 48 de O. et A. (44. 7) .. in quibus negotiis sermone non opus est. L. 6 §. 1 qui testam. (28. 1) Ulp. XX, 7. 13. Die tutoris auctoritas L. 1 §. 2, 3 de tut. (26. 1). Mit den verba certa iſt auch dieſe Conſequenz derſelben im juſtinianiſchen Recht hinweggefallen L. 10 Cod. qui test. (6. 22).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/327>, abgerufen am 22.11.2024.