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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.
unmittelbare positive äußere Einwirkung auf denselben. Wer
durch Oeffnen des Käfichs das Entfliehen oder durch Einsperren
den Tod eines Thieres verschuldet hatte, haftete für nichts,
denn im ersten Fall war das Thier nicht beschädigt, im
zweiten Fall nicht durch unmittelbare Einwirkung, dort lag kein
damnum corpori, hier kein damnum corpore datum vor.
Die lex Aquilia hatte sich in materialistischer Weise an den
sichtbaren Schaden gehalten. Anders die neuere Doctrin,
die dem Begriff der Beschädigung erst die erforderliche Ausdeh-
nung gegeben hat. Den äußersten Gegensatz zu dem damnum
injuria datum
des alten Rechts bildet im neuern die actio de
servo corrupto
des prätorischen Edicts. In ihr prägt sich der
ganze Umschwung der Anschauung aufs unverkennbarste aus,
denn das corpore corpori datum ist hier in sein directes Ge-
gentheil umgeschlagen, das Delict setzt nämlich voraus eine
durch moralische Einwirkung (animo) bewirkte moralische
Corruption eines Sklaven (animo datum).

Ebenso bedeutungsvoll wie die Delicte, die das ältere Recht
kennt, sind die, die ihm fehlen. Plünderung einer Erbschaft
(das spätere crimen expilatae hereditatis) gilt nicht als Un-
recht; es ist ja Niemand da, dem die Sachen gehören, die Be-
ziehung derselben zum künftigen Erben ist etwas lediglich im
Gedanken existirendes. Ebenso wenig der Betrug (dolus).
Denn der Betrug enthält keinen äußeren Eingriff in eine
fremde Rechtssphäre; eine falsche Nachricht, ein schlechter Rath
u. s. w. ist an sich kein Delict, die Mittel, deren sich der Dolus
bedient, sind äußerlich legal. Es ist der Wolf, der sich in
den Schafpelz kleidet, der Heuchler unter den Delicten, und erst
als man gelernt hatte aufs Herz und nicht mehr bloß auf die
Hände zu sehen, griff man auch diesen Sünder, der früher
frei durch ging.

Nicht minder lehrreich ist die Behandlung des Irrthums
über das Object
. Im ältern Recht findet nur der Irrthum
über das Individuum (error in corpore), im neuern Recht

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Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43.
unmittelbare poſitive äußere Einwirkung auf denſelben. Wer
durch Oeffnen des Käfichs das Entfliehen oder durch Einſperren
den Tod eines Thieres verſchuldet hatte, haftete für nichts,
denn im erſten Fall war das Thier nicht beſchädigt, im
zweiten Fall nicht durch unmittelbare Einwirkung, dort lag kein
damnum corpori, hier kein damnum corpore datum vor.
Die lex Aquilia hatte ſich in materialiſtiſcher Weiſe an den
ſichtbaren Schaden gehalten. Anders die neuere Doctrin,
die dem Begriff der Beſchädigung erſt die erforderliche Ausdeh-
nung gegeben hat. Den äußerſten Gegenſatz zu dem damnum
injuria datum
des alten Rechts bildet im neuern die actio de
servo corrupto
des prätoriſchen Edicts. In ihr prägt ſich der
ganze Umſchwung der Anſchauung aufs unverkennbarſte aus,
denn das corpore corpori datum iſt hier in ſein directes Ge-
gentheil umgeſchlagen, das Delict ſetzt nämlich voraus eine
durch moraliſche Einwirkung (animo) bewirkte moraliſche
Corruption eines Sklaven (animo datum).

Ebenſo bedeutungsvoll wie die Delicte, die das ältere Recht
kennt, ſind die, die ihm fehlen. Plünderung einer Erbſchaft
(das ſpätere crimen expilatae hereditatis) gilt nicht als Un-
recht; es iſt ja Niemand da, dem die Sachen gehören, die Be-
ziehung derſelben zum künftigen Erben iſt etwas lediglich im
Gedanken exiſtirendes. Ebenſo wenig der Betrug (dolus).
Denn der Betrug enthält keinen äußeren Eingriff in eine
fremde Rechtsſphäre; eine falſche Nachricht, ein ſchlechter Rath
u. ſ. w. iſt an ſich kein Delict, die Mittel, deren ſich der Dolus
bedient, ſind äußerlich legal. Es iſt der Wolf, der ſich in
den Schafpelz kleidet, der Heuchler unter den Delicten, und erſt
als man gelernt hatte aufs Herz und nicht mehr bloß auf die
Hände zu ſehen, griff man auch dieſen Sünder, der früher
frei durch ging.

Nicht minder lehrreich iſt die Behandlung des Irrthums
über das Object
. Im ältern Recht findet nur der Irrthum
über das Individuum (error in corpore), im neuern Recht

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[451/0157] Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. unmittelbare poſitive äußere Einwirkung auf denſelben. Wer durch Oeffnen des Käfichs das Entfliehen oder durch Einſperren den Tod eines Thieres verſchuldet hatte, haftete für nichts, denn im erſten Fall war das Thier nicht beſchädigt, im zweiten Fall nicht durch unmittelbare Einwirkung, dort lag kein damnum corpori, hier kein damnum corpore datum vor. Die lex Aquilia hatte ſich in materialiſtiſcher Weiſe an den ſichtbaren Schaden gehalten. Anders die neuere Doctrin, die dem Begriff der Beſchädigung erſt die erforderliche Ausdeh- nung gegeben hat. Den äußerſten Gegenſatz zu dem damnum injuria datum des alten Rechts bildet im neuern die actio de servo corrupto des prätoriſchen Edicts. In ihr prägt ſich der ganze Umſchwung der Anſchauung aufs unverkennbarſte aus, denn das corpore corpori datum iſt hier in ſein directes Ge- gentheil umgeſchlagen, das Delict ſetzt nämlich voraus eine durch moraliſche Einwirkung (animo) bewirkte moraliſche Corruption eines Sklaven (animo datum). Ebenſo bedeutungsvoll wie die Delicte, die das ältere Recht kennt, ſind die, die ihm fehlen. Plünderung einer Erbſchaft (das ſpätere crimen expilatae hereditatis) gilt nicht als Un- recht; es iſt ja Niemand da, dem die Sachen gehören, die Be- ziehung derſelben zum künftigen Erben iſt etwas lediglich im Gedanken exiſtirendes. Ebenſo wenig der Betrug (dolus). Denn der Betrug enthält keinen äußeren Eingriff in eine fremde Rechtsſphäre; eine falſche Nachricht, ein ſchlechter Rath u. ſ. w. iſt an ſich kein Delict, die Mittel, deren ſich der Dolus bedient, ſind äußerlich legal. Es iſt der Wolf, der ſich in den Schafpelz kleidet, der Heuchler unter den Delicten, und erſt als man gelernt hatte aufs Herz und nicht mehr bloß auf die Hände zu ſehen, griff man auch dieſen Sünder, der früher frei durch ging. Nicht minder lehrreich iſt die Behandlung des Irrthums über das Object. Im ältern Recht findet nur der Irrthum über das Individuum (error in corpore), im neuern Recht 29*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/157>, abgerufen am 25.11.2024.