Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
tere römische bloß auf Antrag des Bestohlenen. Was liegt
dieser Verschiedenheit zu Grunde? Dem äußern Vor-
gange nach ist der Diebstahl ein Eingriff in fremdes Ver-
mögen, einem auf das Aeußere gerichteten Blick wird mithin
der Diebstahl als eine bloße Verletzung des Bestohlenen, deren
Verfolgung lediglich ihm selbst zusteht, erscheinen. Die Be-
ziehung des Diebstahls zum Staat, die mittelbare Richtung
desselben gegen die Rechtsordnung, setzt, da sie etwas Unsicht-
bares, Idealeres ist, zu ihrer Wahrnehmung eine geistigere
Auffassung voraus.

Während nun dieses innere Moment im ältern römischen,
wie in so vielen andern Rechten unberücksichtigt bleibt, begrün-
dete dagegen der rein äußerliche Unterschied zwischen dem Er-
tapptwerden des Diebes auf der That (furtum manifestum)
und der späteren Entdeckung des Diebstahls (f. nec manife-
stum
) eine höchst einflußreiche Verschiedenheit. Der ertappte
Dieb fiel früher dem Bestohlenen als Sklave anheim, später
konnte er sich mit dem Vierfachen des Werths der gestohlenen
Sache loskaufen, der nicht ertappte hingegen kam mit dem
Doppelten des Werthes davon. Fragen wir: woher dieser
Unterschied? so finden wir keine andere Antwort darauf, als
unsern Gesichtspunkt des Haftens an der Aeußerlichkeit. Der
verbrecherische Vorsatz ist in dem einen wie dem andern Fall
ganz derselbe, die innere Strafwürdigkeit ganz gleich; was zwi-
schen beiden den Ausschlag gibt, ist ein reiner Zufall. Allein
dieser Zufall bewirkt eine auffällige äußere Verschiedenheit
beider, und dadurch läßt das naive Rechtsgefühl sich bestechen.

Ein anderes Beispiel gewährt das damnum injuria datum des
ältern Rechts. Die Jurisprudenz definirte dasselbe, indem sie
die von der lex Aquilia namhaft gemachten einzelnen Fälle auf
ein Princip zurückführte, als damnum corpore corpori
datum
584) d. h. als Beschädigung eines Gegenstandes durch

584) Gaj. III, 219. §. ult. Inst. ad leg. Aq. (4. 3).

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
tere römiſche bloß auf Antrag des Beſtohlenen. Was liegt
dieſer Verſchiedenheit zu Grunde? Dem äußern Vor-
gange nach iſt der Diebſtahl ein Eingriff in fremdes Ver-
mögen, einem auf das Aeußere gerichteten Blick wird mithin
der Diebſtahl als eine bloße Verletzung des Beſtohlenen, deren
Verfolgung lediglich ihm ſelbſt zuſteht, erſcheinen. Die Be-
ziehung des Diebſtahls zum Staat, die mittelbare Richtung
deſſelben gegen die Rechtsordnung, ſetzt, da ſie etwas Unſicht-
bares, Idealeres iſt, zu ihrer Wahrnehmung eine geiſtigere
Auffaſſung voraus.

Während nun dieſes innere Moment im ältern römiſchen,
wie in ſo vielen andern Rechten unberückſichtigt bleibt, begrün-
dete dagegen der rein äußerliche Unterſchied zwiſchen dem Er-
tapptwerden des Diebes auf der That (furtum manifestum)
und der ſpäteren Entdeckung des Diebſtahls (f. nec manife-
stum
) eine höchſt einflußreiche Verſchiedenheit. Der ertappte
Dieb fiel früher dem Beſtohlenen als Sklave anheim, ſpäter
konnte er ſich mit dem Vierfachen des Werths der geſtohlenen
Sache loskaufen, der nicht ertappte hingegen kam mit dem
Doppelten des Werthes davon. Fragen wir: woher dieſer
Unterſchied? ſo finden wir keine andere Antwort darauf, als
unſern Geſichtspunkt des Haftens an der Aeußerlichkeit. Der
verbrecheriſche Vorſatz iſt in dem einen wie dem andern Fall
ganz derſelbe, die innere Strafwürdigkeit ganz gleich; was zwi-
ſchen beiden den Ausſchlag gibt, iſt ein reiner Zufall. Allein
dieſer Zufall bewirkt eine auffällige äußere Verſchiedenheit
beider, und dadurch läßt das naive Rechtsgefühl ſich beſtechen.

Ein anderes Beiſpiel gewährt das damnum injuria datum des
ältern Rechts. Die Jurisprudenz definirte daſſelbe, indem ſie
die von der lex Aquilia namhaft gemachten einzelnen Fälle auf
ein Princip zurückführte, als damnum corpore corpori
datum
584) d. h. als Beſchädigung eines Gegenſtandes durch

584) Gaj. III, 219. §. ult. Inst. ad leg. Aq. (4. 3).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0156" n="450"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
tere römi&#x017F;che bloß auf Antrag des Be&#x017F;tohlenen. Was liegt<lb/>
die&#x017F;er Ver&#x017F;chiedenheit zu Grunde? Dem <hi rendition="#g">äußern</hi> Vor-<lb/>
gange nach i&#x017F;t der Dieb&#x017F;tahl ein Eingriff in fremdes Ver-<lb/>
mögen, einem auf das Aeußere gerichteten Blick wird mithin<lb/>
der Dieb&#x017F;tahl als eine bloße Verletzung des Be&#x017F;tohlenen, deren<lb/>
Verfolgung lediglich ihm &#x017F;elb&#x017F;t zu&#x017F;teht, er&#x017F;cheinen. Die Be-<lb/>
ziehung des Dieb&#x017F;tahls zum Staat, die mittelbare Richtung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben gegen die Rechtsordnung, &#x017F;etzt, da &#x017F;ie etwas Un&#x017F;icht-<lb/>
bares, Idealeres i&#x017F;t, zu ihrer Wahrnehmung eine gei&#x017F;tigere<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung voraus.</p><lb/>
                  <p>Während nun die&#x017F;es innere Moment im ältern römi&#x017F;chen,<lb/>
wie in &#x017F;o vielen andern Rechten unberück&#x017F;ichtigt bleibt, begrün-<lb/>
dete dagegen der rein äußerliche Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen dem Er-<lb/>
tapptwerden des Diebes auf der That (<hi rendition="#aq">furtum manifestum</hi>)<lb/>
und der &#x017F;päteren Entdeckung des Dieb&#x017F;tahls (<hi rendition="#aq">f. nec manife-<lb/>
stum</hi>) eine höch&#x017F;t einflußreiche Ver&#x017F;chiedenheit. Der ertappte<lb/>
Dieb fiel früher dem Be&#x017F;tohlenen als Sklave anheim, &#x017F;päter<lb/>
konnte er &#x017F;ich mit dem Vierfachen des Werths der ge&#x017F;tohlenen<lb/>
Sache loskaufen, der nicht ertappte hingegen kam mit dem<lb/>
Doppelten des Werthes davon. Fragen wir: woher die&#x017F;er<lb/>
Unter&#x017F;chied? &#x017F;o finden wir keine andere Antwort darauf, als<lb/>
un&#x017F;ern Ge&#x017F;ichtspunkt des Haftens an der Aeußerlichkeit. Der<lb/>
verbrecheri&#x017F;che Vor&#x017F;atz i&#x017F;t in dem einen wie dem andern Fall<lb/>
ganz der&#x017F;elbe, die innere Strafwürdigkeit ganz gleich; was zwi-<lb/>
&#x017F;chen beiden den Aus&#x017F;chlag gibt, i&#x017F;t ein reiner Zufall. Allein<lb/>
die&#x017F;er Zufall bewirkt eine auffällige <hi rendition="#g">äußere</hi> Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
beider, und dadurch läßt das naive Rechtsgefühl &#x017F;ich be&#x017F;techen.</p><lb/>
                  <p>Ein anderes Bei&#x017F;piel gewährt das <hi rendition="#aq">damnum injuria datum</hi> des<lb/>
ältern Rechts. Die Jurisprudenz definirte da&#x017F;&#x017F;elbe, indem &#x017F;ie<lb/>
die von der <hi rendition="#aq">lex Aquilia</hi> namhaft gemachten einzelnen Fälle auf<lb/>
ein Princip zurückführte, als <hi rendition="#aq">damnum <hi rendition="#g">corpore corpori</hi><lb/>
datum</hi> <note place="foot" n="584)"><hi rendition="#aq">Gaj. III, 219. §. ult. Inst. ad leg. Aq. (4. 3).</hi></note> d. h. als Be&#x017F;chädigung eines Gegen&#x017F;tandes durch<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[450/0156] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. tere römiſche bloß auf Antrag des Beſtohlenen. Was liegt dieſer Verſchiedenheit zu Grunde? Dem äußern Vor- gange nach iſt der Diebſtahl ein Eingriff in fremdes Ver- mögen, einem auf das Aeußere gerichteten Blick wird mithin der Diebſtahl als eine bloße Verletzung des Beſtohlenen, deren Verfolgung lediglich ihm ſelbſt zuſteht, erſcheinen. Die Be- ziehung des Diebſtahls zum Staat, die mittelbare Richtung deſſelben gegen die Rechtsordnung, ſetzt, da ſie etwas Unſicht- bares, Idealeres iſt, zu ihrer Wahrnehmung eine geiſtigere Auffaſſung voraus. Während nun dieſes innere Moment im ältern römiſchen, wie in ſo vielen andern Rechten unberückſichtigt bleibt, begrün- dete dagegen der rein äußerliche Unterſchied zwiſchen dem Er- tapptwerden des Diebes auf der That (furtum manifestum) und der ſpäteren Entdeckung des Diebſtahls (f. nec manife- stum) eine höchſt einflußreiche Verſchiedenheit. Der ertappte Dieb fiel früher dem Beſtohlenen als Sklave anheim, ſpäter konnte er ſich mit dem Vierfachen des Werths der geſtohlenen Sache loskaufen, der nicht ertappte hingegen kam mit dem Doppelten des Werthes davon. Fragen wir: woher dieſer Unterſchied? ſo finden wir keine andere Antwort darauf, als unſern Geſichtspunkt des Haftens an der Aeußerlichkeit. Der verbrecheriſche Vorſatz iſt in dem einen wie dem andern Fall ganz derſelbe, die innere Strafwürdigkeit ganz gleich; was zwi- ſchen beiden den Ausſchlag gibt, iſt ein reiner Zufall. Allein dieſer Zufall bewirkt eine auffällige äußere Verſchiedenheit beider, und dadurch läßt das naive Rechtsgefühl ſich beſtechen. Ein anderes Beiſpiel gewährt das damnum injuria datum des ältern Rechts. Die Jurisprudenz definirte daſſelbe, indem ſie die von der lex Aquilia namhaft gemachten einzelnen Fälle auf ein Princip zurückführte, als damnum corpore corpori datum 584) d. h. als Beſchädigung eines Gegenſtandes durch 584) Gaj. III, 219. §. ult. Inst. ad leg. Aq. (4. 3).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/156
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/156>, abgerufen am 22.11.2024.