Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. hingegen auch der über die Eigenschaften (s. g. error in sub-stantia, materia) Berücksichtigung. 585) Worauf beruht diese Verschiedenheit? Ich meine darauf, daß das ältere Recht die Richtung des Willens auf seinen Gegenstand mehr äußerlich, das neuere sie mehr innerlich erfaßt. Wenn der Käufer das bleierne Gefäß irrthümlich für ein silbernes hält und bezahlt, so hat er, sagt die ältere Jurisprudenz, nichts desto weniger dies Gefäß gewollt, sein Irrthum bezieht sich bloß auf etwas Innerliches, nicht auf die äußere Identität des Objects. Die neuere Jurisprudenz hingegen sagt folgendermaßen: Das Ob- ject, wie es äußerlich erscheint, ist nicht das, was der Käufer wahrhaft will, sondern er will in demselben die Bestimmung, Macht, Kraft, Tauglichkeit der Sache. Ist dieselbe also eine völlig andere, als er annahm, so ist die Sache selbst eine an- dere, als die er meinte; sie hat mit letzterer nur den äußern Schein gemein. 586) Besonders ergiebig für den Gegensatz des ältern und neuern 585) Ueber jenes s. die L. 22 de V. O. (45. 1), in welcher von der Stipulation d. h. der aus dem ältern Recht stammenden obligatio stricti juris die Rede ist, über dieses s. die L. 9 §. 2 de cont. emt. (18. 1), welche von dem dem neuern Recht angehörigen Kaufcontract handelt. Marcellus stellt hier zwar noch rücksichtlich desselben im Geist des ältern Rechts die Behauptung auf: emtionem esse, quia in corpus consen- sum est, allein Ulpian berichtigt ihn. 586) Es ließe sich hier auch die erst durch das ädilitische Edict ein-
geführte (also dem ältern Recht unbekannte) Verpflichtung des Verkäufers für die heimlichen Fehler und Mängel einzustehen, in Bezug nehmen. Nach älte- rem Recht hat der Käufer nur im Fall des Nicht-habens (Eviction) einen Regreß gegen den Verkäufer, nach dem Edict auch im Fall des Schlechter- habens. -- Auch die bekannte Controverse der Sabinianer und Prokulejaner über die Specification (Gaj. II, 79) dreht sich um unsern Gegensatz. Eine materialistische Auffassung des Begriffs der Identität der Sache wird mit den Sabinianern die Substanz als das Wesentliche der Sache betrachten und daher den Einfluß der Specification auf das Eigenthum läugnen, eine spiritualistischere Auffassung aber mit ihren Gegnern die Form und Bestim- mung der Sache für das Entscheidende ansehn und darum mit einer Verände- rung derselben eine neue, dem Specificanten zufallende Sache annehmen. Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. hingegen auch der über die Eigenſchaften (ſ. g. error in sub-stantia, materia) Berückſichtigung. 585) Worauf beruht dieſe Verſchiedenheit? Ich meine darauf, daß das ältere Recht die Richtung des Willens auf ſeinen Gegenſtand mehr äußerlich, das neuere ſie mehr innerlich erfaßt. Wenn der Käufer das bleierne Gefäß irrthümlich für ein ſilbernes hält und bezahlt, ſo hat er, ſagt die ältere Jurisprudenz, nichts deſto weniger dies Gefäß gewollt, ſein Irrthum bezieht ſich bloß auf etwas Innerliches, nicht auf die äußere Identität des Objects. Die neuere Jurisprudenz hingegen ſagt folgendermaßen: Das Ob- ject, wie es äußerlich erſcheint, iſt nicht das, was der Käufer wahrhaft will, ſondern er will in demſelben die Beſtimmung, Macht, Kraft, Tauglichkeit der Sache. Iſt dieſelbe alſo eine völlig andere, als er annahm, ſo iſt die Sache ſelbſt eine an- dere, als die er meinte; ſie hat mit letzterer nur den äußern Schein gemein. 586) Beſonders ergiebig für den Gegenſatz des ältern und neuern 585) Ueber jenes ſ. die L. 22 de V. O. (45. 1), in welcher von der Stipulation d. h. der aus dem ältern Recht ſtammenden obligatio stricti juris die Rede iſt, über dieſes ſ. die L. 9 §. 2 de cont. emt. (18. 1), welche von dem dem neuern Recht angehörigen Kaufcontract handelt. Marcellus ſtellt hier zwar noch rückſichtlich deſſelben im Geiſt des ältern Rechts die Behauptung auf: emtionem esse, quia in corpus consen- sum est, allein Ulpian berichtigt ihn. 586) Es ließe ſich hier auch die erſt durch das ädilitiſche Edict ein-
geführte (alſo dem ältern Recht unbekannte) Verpflichtung des Verkäufers für die heimlichen Fehler und Mängel einzuſtehen, in Bezug nehmen. Nach älte- rem Recht hat der Käufer nur im Fall des Nicht-habens (Eviction) einen Regreß gegen den Verkäufer, nach dem Edict auch im Fall des Schlechter- habens. — Auch die bekannte Controverſe der Sabinianer und Prokulejaner über die Specification (Gaj. II, 79) dreht ſich um unſern Gegenſatz. Eine materialiſtiſche Auffaſſung des Begriffs der Identität der Sache wird mit den Sabinianern die Subſtanz als das Weſentliche der Sache betrachten und daher den Einfluß der Specification auf das Eigenthum läugnen, eine ſpiritualiſtiſchere Auffaſſung aber mit ihren Gegnern die Form und Beſtim- mung der Sache für das Entſcheidende anſehn und darum mit einer Verände- rung derſelben eine neue, dem Specificanten zufallende Sache annehmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0158" n="452"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juriſt. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/> hingegen auch der über die Eigenſchaften (ſ. g. <hi rendition="#aq">error in sub-<lb/> stantia, materia</hi>) Berückſichtigung. <note place="foot" n="585)">Ueber <hi rendition="#g">jenes</hi> ſ. die <hi rendition="#aq">L. 22 de V. O. (45. 1),</hi> in welcher von der<lb/> Stipulation d. h. der aus dem <hi rendition="#g">ältern</hi> Recht ſtammenden <hi rendition="#aq">obligatio stricti<lb/> juris</hi> die Rede iſt, über <hi rendition="#g">dieſes</hi> ſ. die <hi rendition="#aq">L. 9 §. 2 de cont. emt. (18. 1),</hi><lb/> welche von dem dem <hi rendition="#g">neuern</hi> Recht angehörigen Kaufcontract handelt.<lb/> Marcellus ſtellt hier zwar noch rückſichtlich deſſelben im Geiſt des ältern<lb/> Rechts die Behauptung auf: <hi rendition="#aq">emtionem esse, quia in <hi rendition="#g">corpus</hi> consen-<lb/> sum est,</hi> allein Ulpian berichtigt ihn.</note> Worauf beruht dieſe<lb/> Verſchiedenheit? Ich meine darauf, daß das ältere Recht die<lb/> Richtung des Willens auf ſeinen Gegenſtand mehr äußerlich,<lb/> das neuere ſie mehr innerlich erfaßt. Wenn der Käufer das<lb/> bleierne Gefäß irrthümlich für ein ſilbernes hält und bezahlt,<lb/> ſo hat er, ſagt die ältere Jurisprudenz, nichts deſto weniger<lb/><hi rendition="#g">dies</hi> Gefäß gewollt, ſein Irrthum bezieht ſich bloß auf etwas<lb/> Innerliches, nicht auf die äußere Identität des Objects. Die<lb/> neuere Jurisprudenz hingegen ſagt folgendermaßen: Das Ob-<lb/> ject, wie es <hi rendition="#g">äußerlich</hi> erſcheint, iſt nicht das, was der Käufer<lb/> wahrhaft <hi rendition="#g">will</hi>, ſondern er will in demſelben die Beſtimmung,<lb/> Macht, Kraft, Tauglichkeit der Sache. Iſt dieſelbe alſo eine<lb/> völlig andere, als er annahm, ſo iſt die Sache ſelbſt eine an-<lb/> dere, als die er meinte; ſie hat mit letzterer nur den äußern<lb/> Schein gemein. <note place="foot" n="586)">Es ließe ſich hier auch die erſt durch das ädilitiſche Edict ein-<lb/> geführte (alſo dem ältern Recht unbekannte) Verpflichtung des Verkäufers für<lb/> die heimlichen Fehler und Mängel einzuſtehen, in Bezug nehmen. Nach älte-<lb/> rem Recht hat der Käufer nur im Fall des <hi rendition="#g">Nicht-</hi>habens (Eviction) einen<lb/> Regreß gegen den Verkäufer, nach dem Edict auch im Fall des <hi rendition="#g">Schlechter-</hi><lb/> habens. — Auch die bekannte Controverſe der Sabinianer und Prokulejaner<lb/> über die Specification (<hi rendition="#aq">Gaj. II, 79</hi>) dreht ſich um unſern Gegenſatz. Eine<lb/> materialiſtiſche Auffaſſung des Begriffs der Identität der Sache wird mit<lb/> den Sabinianern die Subſtanz als das Weſentliche der Sache betrachten<lb/> und daher den Einfluß der Specification auf das Eigenthum läugnen, eine<lb/> ſpiritualiſtiſchere Auffaſſung aber mit ihren Gegnern die Form und Beſtim-<lb/> mung der Sache für das Entſcheidende anſehn und darum mit einer Verände-<lb/> rung derſelben eine neue, dem Specificanten zufallende Sache annehmen.</note></p><lb/> <p>Beſonders ergiebig für den Gegenſatz des ältern und neuern<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [452/0158]
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
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stantia, materia) Berückſichtigung. 585) Worauf beruht dieſe
Verſchiedenheit? Ich meine darauf, daß das ältere Recht die
Richtung des Willens auf ſeinen Gegenſtand mehr äußerlich,
das neuere ſie mehr innerlich erfaßt. Wenn der Käufer das
bleierne Gefäß irrthümlich für ein ſilbernes hält und bezahlt,
ſo hat er, ſagt die ältere Jurisprudenz, nichts deſto weniger
dies Gefäß gewollt, ſein Irrthum bezieht ſich bloß auf etwas
Innerliches, nicht auf die äußere Identität des Objects. Die
neuere Jurisprudenz hingegen ſagt folgendermaßen: Das Ob-
ject, wie es äußerlich erſcheint, iſt nicht das, was der Käufer
wahrhaft will, ſondern er will in demſelben die Beſtimmung,
Macht, Kraft, Tauglichkeit der Sache. Iſt dieſelbe alſo eine
völlig andere, als er annahm, ſo iſt die Sache ſelbſt eine an-
dere, als die er meinte; ſie hat mit letzterer nur den äußern
Schein gemein. 586)
Beſonders ergiebig für den Gegenſatz des ältern und neuern
585) Ueber jenes ſ. die L. 22 de V. O. (45. 1), in welcher von der
Stipulation d. h. der aus dem ältern Recht ſtammenden obligatio stricti
juris die Rede iſt, über dieſes ſ. die L. 9 §. 2 de cont. emt. (18. 1),
welche von dem dem neuern Recht angehörigen Kaufcontract handelt.
Marcellus ſtellt hier zwar noch rückſichtlich deſſelben im Geiſt des ältern
Rechts die Behauptung auf: emtionem esse, quia in corpus consen-
sum est, allein Ulpian berichtigt ihn.
586) Es ließe ſich hier auch die erſt durch das ädilitiſche Edict ein-
geführte (alſo dem ältern Recht unbekannte) Verpflichtung des Verkäufers für
die heimlichen Fehler und Mängel einzuſtehen, in Bezug nehmen. Nach älte-
rem Recht hat der Käufer nur im Fall des Nicht-habens (Eviction) einen
Regreß gegen den Verkäufer, nach dem Edict auch im Fall des Schlechter-
habens. — Auch die bekannte Controverſe der Sabinianer und Prokulejaner
über die Specification (Gaj. II, 79) dreht ſich um unſern Gegenſatz. Eine
materialiſtiſche Auffaſſung des Begriffs der Identität der Sache wird mit
den Sabinianern die Subſtanz als das Weſentliche der Sache betrachten
und daher den Einfluß der Specification auf das Eigenthum läugnen, eine
ſpiritualiſtiſchere Auffaſſung aber mit ihren Gegnern die Form und Beſtim-
mung der Sache für das Entſcheidende anſehn und darum mit einer Verände-
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