Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
vermöge der Grundsätze des Accrescenzrechtes dem Erben oder
Legatar eine Million wiegen konnte. So sehr immerhin die
Strenge in der Handhabung des Wortes der Weise des römi-
schen Volkes entsprach, so kann ich mir doch den Umstand, daß
derartige Subtilitäten praktisch durchführbar waren, das Volk
sich nicht dagegen opponirte und sie abschüttelte, nur aus der obi-
gen Einrichtung erklären. In der Hand des Juristen, welcher
die Testamente und sonstige Urkunden abfaßte, verloren sie ihr Ge-
fährliches, denn wenn seiner Zeit das Wort auch aufs strengste ur-
girt ward, so kam doch kein anderes Resultat heraus, als was die
Parthei selbst beabsichtigt und durch den Juristen nur in kunst-
gerechter Weise hatte formuliren lassen; was man den Worten
entnahm, war in sie hineingelegt. Nur dadurch waren meiner
Meinung nach die strengen Gesetze, welche die Jurisprudenz
dem Verkehr dictirte, haltbar, daß die Juristen ihm die Anwen-
dung derselben abnahmen, nur darum waren die schmahlen und
hart an Abgründen vorbeiführenden Wege, die die ältere Juris-
prudenz im Recht angelegt hatte, erträglich, daß jederzeit ein
kundiger und williger Führer bereitstand. 582) Die Allgegen-
wart des Juristen war ein stillschweigendes Po-
stulat des alten Rechts
. Der Jurist mußte gegen den
Juristen schützen; die Dienstfertigkeit des Praktikers war das
unentbehrliche Gegengewicht gegen die strengen Anforderungen
des Theoretikers; hätte dies Gegengewicht gefehlt: ich kann
mir nicht denken, daß die Theorie so hätte lauten können, wie
sie gelautet hat. Darauf beruhte auch die dem Soldaten-
stande
in rechtlicher Beziehung eingeräumte eximirte Stellung.
Dieselbe war nicht eine Sache der reinen Gunst und Bevorzu-
gung, sondern durch die eigenthümlichen Verhältnisse dieses
Standes mit Nothwendigkeit geboten, denn dem Soldaten
fehlte, ganz abgesehen von seiner eignen geringeren Geschäfts-

582) Copia jurisconsulti. Daß es daran gefehlt hätte: raro acci-
piendum est L. 9 §. 3 de jur. ign. (22. 6).

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
vermöge der Grundſätze des Accrescenzrechtes dem Erben oder
Legatar eine Million wiegen konnte. So ſehr immerhin die
Strenge in der Handhabung des Wortes der Weiſe des römi-
ſchen Volkes entſprach, ſo kann ich mir doch den Umſtand, daß
derartige Subtilitäten praktiſch durchführbar waren, das Volk
ſich nicht dagegen opponirte und ſie abſchüttelte, nur aus der obi-
gen Einrichtung erklären. In der Hand des Juriſten, welcher
die Teſtamente und ſonſtige Urkunden abfaßte, verloren ſie ihr Ge-
fährliches, denn wenn ſeiner Zeit das Wort auch aufs ſtrengſte ur-
girt ward, ſo kam doch kein anderes Reſultat heraus, als was die
Parthei ſelbſt beabſichtigt und durch den Juriſten nur in kunſt-
gerechter Weiſe hatte formuliren laſſen; was man den Worten
entnahm, war in ſie hineingelegt. Nur dadurch waren meiner
Meinung nach die ſtrengen Geſetze, welche die Jurisprudenz
dem Verkehr dictirte, haltbar, daß die Juriſten ihm die Anwen-
dung derſelben abnahmen, nur darum waren die ſchmahlen und
hart an Abgründen vorbeiführenden Wege, die die ältere Juris-
prudenz im Recht angelegt hatte, erträglich, daß jederzeit ein
kundiger und williger Führer bereitſtand. 582) Die Allgegen-
wart des Juriſten war ein ſtillſchweigendes Po-
ſtulat des alten Rechts
. Der Juriſt mußte gegen den
Juriſten ſchützen; die Dienſtfertigkeit des Praktikers war das
unentbehrliche Gegengewicht gegen die ſtrengen Anforderungen
des Theoretikers; hätte dies Gegengewicht gefehlt: ich kann
mir nicht denken, daß die Theorie ſo hätte lauten können, wie
ſie gelautet hat. Darauf beruhte auch die dem Soldaten-
ſtande
in rechtlicher Beziehung eingeräumte eximirte Stellung.
Dieſelbe war nicht eine Sache der reinen Gunſt und Bevorzu-
gung, ſondern durch die eigenthümlichen Verhältniſſe dieſes
Standes mit Nothwendigkeit geboten, denn dem Soldaten
fehlte, ganz abgeſehen von ſeiner eignen geringeren Geſchäfts-

582) Copia jurisconsulti. Daß es daran gefehlt hätte: raro acci-
piendum est L. 9 §. 3 de jur. ign. (22. 6).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0148" n="442"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">III.</hi> Die juri&#x017F;t. Technik. <hi rendition="#aq">B.</hi> Des ält. Rechts.</fw><lb/>
vermöge der Grund&#x017F;ätze des Accrescenzrechtes dem Erben oder<lb/>
Legatar eine Million wiegen konnte. So &#x017F;ehr immerhin die<lb/>
Strenge in der Handhabung des Wortes der Wei&#x017F;e des römi-<lb/>
&#x017F;chen Volkes ent&#x017F;prach, &#x017F;o kann ich mir doch den Um&#x017F;tand, daß<lb/>
derartige Subtilitäten prakti&#x017F;ch durchführbar waren, das Volk<lb/>
&#x017F;ich nicht dagegen opponirte und &#x017F;ie ab&#x017F;chüttelte, nur aus der obi-<lb/>
gen Einrichtung erklären. In der Hand des <hi rendition="#g">Juri&#x017F;ten</hi>, welcher<lb/>
die Te&#x017F;tamente und &#x017F;on&#x017F;tige Urkunden abfaßte, verloren &#x017F;ie ihr Ge-<lb/>
fährliches, denn wenn &#x017F;einer Zeit das Wort auch aufs &#x017F;treng&#x017F;te ur-<lb/>
girt ward, &#x017F;o kam doch kein anderes Re&#x017F;ultat heraus, als was die<lb/>
Parthei &#x017F;elb&#x017F;t beab&#x017F;ichtigt und durch den Juri&#x017F;ten nur in kun&#x017F;t-<lb/>
gerechter Wei&#x017F;e hatte formuliren la&#x017F;&#x017F;en; was man den Worten<lb/>
entnahm, war in &#x017F;ie hineingelegt. Nur dadurch waren meiner<lb/>
Meinung nach die &#x017F;trengen Ge&#x017F;etze, welche die Jurisprudenz<lb/>
dem Verkehr dictirte, haltbar, daß die Juri&#x017F;ten ihm die Anwen-<lb/>
dung der&#x017F;elben abnahmen, nur darum waren die &#x017F;chmahlen und<lb/>
hart an Abgründen vorbeiführenden Wege, die die ältere Juris-<lb/>
prudenz im Recht angelegt hatte, erträglich, daß jederzeit ein<lb/>
kundiger und williger Führer bereit&#x017F;tand. <note place="foot" n="582)"><hi rendition="#aq">Copia jurisconsulti.</hi> Daß es daran gefehlt hätte: <hi rendition="#aq">raro acci-<lb/>
piendum est L. 9 §. 3 de jur. ign. (22. 6).</hi></note> <hi rendition="#g">Die Allgegen-<lb/>
wart des Juri&#x017F;ten war ein &#x017F;till&#x017F;chweigendes Po-<lb/>
&#x017F;tulat des alten Rechts</hi>. Der Juri&#x017F;t mußte gegen den<lb/>
Juri&#x017F;ten &#x017F;chützen; die Dien&#x017F;tfertigkeit des Praktikers war das<lb/>
unentbehrliche Gegengewicht gegen die &#x017F;trengen Anforderungen<lb/>
des Theoretikers; hätte dies Gegengewicht gefehlt: ich kann<lb/>
mir nicht denken, daß die Theorie &#x017F;o hätte lauten können, wie<lb/>
&#x017F;ie gelautet hat. Darauf beruhte auch die dem <hi rendition="#g">Soldaten-<lb/>
&#x017F;tande</hi> in rechtlicher Beziehung eingeräumte eximirte Stellung.<lb/>
Die&#x017F;elbe war nicht eine Sache der reinen Gun&#x017F;t und Bevorzu-<lb/>
gung, &#x017F;ondern durch die eigenthümlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es<lb/>
Standes mit Nothwendigkeit geboten, denn dem Soldaten<lb/>
fehlte, ganz abge&#x017F;ehen von &#x017F;einer eignen geringeren Ge&#x017F;chäfts-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0148] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts. vermöge der Grundſätze des Accrescenzrechtes dem Erben oder Legatar eine Million wiegen konnte. So ſehr immerhin die Strenge in der Handhabung des Wortes der Weiſe des römi- ſchen Volkes entſprach, ſo kann ich mir doch den Umſtand, daß derartige Subtilitäten praktiſch durchführbar waren, das Volk ſich nicht dagegen opponirte und ſie abſchüttelte, nur aus der obi- gen Einrichtung erklären. In der Hand des Juriſten, welcher die Teſtamente und ſonſtige Urkunden abfaßte, verloren ſie ihr Ge- fährliches, denn wenn ſeiner Zeit das Wort auch aufs ſtrengſte ur- girt ward, ſo kam doch kein anderes Reſultat heraus, als was die Parthei ſelbſt beabſichtigt und durch den Juriſten nur in kunſt- gerechter Weiſe hatte formuliren laſſen; was man den Worten entnahm, war in ſie hineingelegt. Nur dadurch waren meiner Meinung nach die ſtrengen Geſetze, welche die Jurisprudenz dem Verkehr dictirte, haltbar, daß die Juriſten ihm die Anwen- dung derſelben abnahmen, nur darum waren die ſchmahlen und hart an Abgründen vorbeiführenden Wege, die die ältere Juris- prudenz im Recht angelegt hatte, erträglich, daß jederzeit ein kundiger und williger Führer bereitſtand. 582) Die Allgegen- wart des Juriſten war ein ſtillſchweigendes Po- ſtulat des alten Rechts. Der Juriſt mußte gegen den Juriſten ſchützen; die Dienſtfertigkeit des Praktikers war das unentbehrliche Gegengewicht gegen die ſtrengen Anforderungen des Theoretikers; hätte dies Gegengewicht gefehlt: ich kann mir nicht denken, daß die Theorie ſo hätte lauten können, wie ſie gelautet hat. Darauf beruhte auch die dem Soldaten- ſtande in rechtlicher Beziehung eingeräumte eximirte Stellung. Dieſelbe war nicht eine Sache der reinen Gunſt und Bevorzu- gung, ſondern durch die eigenthümlichen Verhältniſſe dieſes Standes mit Nothwendigkeit geboten, denn dem Soldaten fehlte, ganz abgeſehen von ſeiner eignen geringeren Geſchäfts- 582) Copia jurisconsulti. Daß es daran gefehlt hätte: raro acci- piendum est L. 9 §. 3 de jur. ign. (22. 6).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/148
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/148>, abgerufen am 25.11.2024.