kenntniß, die stets bereite Hülfe des Juristen -- auf das Lager und die Schlacht erstreckte sie sich nicht.
Die Allgegenwart des Juristen bedeutete also für den Ver- kehr zuerst eine unentbehrliche Hülfe. Sie bedeutete aber so- dann zweitens auch einen heilsamen Einfluß auf denselben. Die Innigkeit des Verhältnisses zwischen der Jurisprudenz und dem Verkehr kam beiden zu gute. Dem Verkehr, indem die Jurisprudenz beständig die Hand an seiner Pulsader hatte, wußte, was ihm Noth that, und wie ihm zu helfen. Der Juris- prudenz, indem sie, ohne seinen materiellen Exigenzen etwas zu versagen, ihnen die Form geben konnte, die sie von ihrem Standpunkt aus für die wünschenswertheste halten mußte. Die Ansätze zur Bildung neuer Geschäfte, die das Leben machte, namentlich auf dem Gebiet der Verträge (man denke z. B. an das pactum de vendendo beim pignus) erhielten durch die Juristen ihre formelle Redaction. Indem letztere die Vertragsurkunden abfaßten, hatten sie es in ihrer Hand, ihnen die passendste Form zu geben, die juristische Construction nicht erst zu begin- nen, wenn der Bildungsprozeß des Instituts abgeschlossen, und dasselbe als ein fertiges, unabänderliches vor ihnen lag, son- dern das juristische Element schon dem in der Bildung begriffe- nen Stoff selbst zuzusetzen, die Bildungen des Verkehrs im juri- stischen Geist zu leiten und lenken und regeln, kurz den Verkehr juristisch zu discipliniren. Wie wäre aber diese juristische Er- ziehung, der das römische Recht so unendlich viel verdankt, denkbar gewesen ohne jene Allgegenwart des Erziehers?
Und wiederum frage ich, wie wäre letztere denkbar gewe- sen, wenn die Kunst in Rom, wie bei uns, nach Brod gegan- gen wäre? Für die Charakteristik der römischen Jurisprudenz ist es, so paradox es klingt, einer der wesentlichsten Züge, daß sie sich nicht bezahlen ließ. In diesem einen, scheinbar so äußerlichem Umstand liegt unendlich viel, liegt die halbe rö- mische Jurisprudenz. Das Honorar des Juristen, so unent- behrlich es heutzutage ist, darf nichts desto weniger sein ärgster
Die Jurisprudenz. §. 42.
kenntniß, die ſtets bereite Hülfe des Juriſten — auf das Lager und die Schlacht erſtreckte ſie ſich nicht.
Die Allgegenwart des Juriſten bedeutete alſo für den Ver- kehr zuerſt eine unentbehrliche Hülfe. Sie bedeutete aber ſo- dann zweitens auch einen heilſamen Einfluß auf denſelben. Die Innigkeit des Verhältniſſes zwiſchen der Jurisprudenz und dem Verkehr kam beiden zu gute. Dem Verkehr, indem die Jurisprudenz beſtändig die Hand an ſeiner Pulsader hatte, wußte, was ihm Noth that, und wie ihm zu helfen. Der Juris- prudenz, indem ſie, ohne ſeinen materiellen Exigenzen etwas zu verſagen, ihnen die Form geben konnte, die ſie von ihrem Standpunkt aus für die wünſchenswertheſte halten mußte. Die Anſätze zur Bildung neuer Geſchäfte, die das Leben machte, namentlich auf dem Gebiet der Verträge (man denke z. B. an das pactum de vendendo beim pignus) erhielten durch die Juriſten ihre formelle Redaction. Indem letztere die Vertragsurkunden abfaßten, hatten ſie es in ihrer Hand, ihnen die paſſendſte Form zu geben, die juriſtiſche Conſtruction nicht erſt zu begin- nen, wenn der Bildungsprozeß des Inſtituts abgeſchloſſen, und daſſelbe als ein fertiges, unabänderliches vor ihnen lag, ſon- dern das juriſtiſche Element ſchon dem in der Bildung begriffe- nen Stoff ſelbſt zuzuſetzen, die Bildungen des Verkehrs im juri- ſtiſchen Geiſt zu leiten und lenken und regeln, kurz den Verkehr juriſtiſch zu discipliniren. Wie wäre aber dieſe juriſtiſche Er- ziehung, der das römiſche Recht ſo unendlich viel verdankt, denkbar geweſen ohne jene Allgegenwart des Erziehers?
Und wiederum frage ich, wie wäre letztere denkbar gewe- ſen, wenn die Kunſt in Rom, wie bei uns, nach Brod gegan- gen wäre? Für die Charakteriſtik der römiſchen Jurisprudenz iſt es, ſo paradox es klingt, einer der weſentlichſten Züge, daß ſie ſich nicht bezahlen ließ. In dieſem einen, ſcheinbar ſo äußerlichem Umſtand liegt unendlich viel, liegt die halbe rö- miſche Jurisprudenz. Das Honorar des Juriſten, ſo unent- behrlich es heutzutage iſt, darf nichts deſto weniger ſein ärgſter
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Die Jurisprudenz. §. 42.
kenntniß, die ſtets bereite Hülfe des Juriſten — auf das Lager
und die Schlacht erſtreckte ſie ſich nicht.
Die Allgegenwart des Juriſten bedeutete alſo für den Ver-
kehr zuerſt eine unentbehrliche Hülfe. Sie bedeutete aber ſo-
dann zweitens auch einen heilſamen Einfluß auf denſelben.
Die Innigkeit des Verhältniſſes zwiſchen der Jurisprudenz und
dem Verkehr kam beiden zu gute. Dem Verkehr, indem die
Jurisprudenz beſtändig die Hand an ſeiner Pulsader hatte, wußte,
was ihm Noth that, und wie ihm zu helfen. Der Juris-
prudenz, indem ſie, ohne ſeinen materiellen Exigenzen etwas
zu verſagen, ihnen die Form geben konnte, die ſie von ihrem
Standpunkt aus für die wünſchenswertheſte halten mußte. Die
Anſätze zur Bildung neuer Geſchäfte, die das Leben machte,
namentlich auf dem Gebiet der Verträge (man denke z. B. an das
pactum de vendendo beim pignus) erhielten durch die Juriſten
ihre formelle Redaction. Indem letztere die Vertragsurkunden
abfaßten, hatten ſie es in ihrer Hand, ihnen die paſſendſte
Form zu geben, die juriſtiſche Conſtruction nicht erſt zu begin-
nen, wenn der Bildungsprozeß des Inſtituts abgeſchloſſen, und
daſſelbe als ein fertiges, unabänderliches vor ihnen lag, ſon-
dern das juriſtiſche Element ſchon dem in der Bildung begriffe-
nen Stoff ſelbſt zuzuſetzen, die Bildungen des Verkehrs im juri-
ſtiſchen Geiſt zu leiten und lenken und regeln, kurz den Verkehr
juriſtiſch zu discipliniren. Wie wäre aber dieſe juriſtiſche Er-
ziehung, der das römiſche Recht ſo unendlich viel verdankt,
denkbar geweſen ohne jene Allgegenwart des Erziehers?
Und wiederum frage ich, wie wäre letztere denkbar gewe-
ſen, wenn die Kunſt in Rom, wie bei uns, nach Brod gegan-
gen wäre? Für die Charakteriſtik der römiſchen Jurisprudenz
iſt es, ſo paradox es klingt, einer der weſentlichſten Züge, daß
ſie ſich nicht bezahlen ließ. In dieſem einen, ſcheinbar ſo
äußerlichem Umſtand liegt unendlich viel, liegt die halbe rö-
miſche Jurisprudenz. Das Honorar des Juriſten, ſo unent-
behrlich es heutzutage iſt, darf nichts deſto weniger ſein ärgſter
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/149>, abgerufen am 25.11.2024.
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