Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.Die Jurisprudenz. §. 42. Zutritt hatte, es war nach Cicero 578) das Orakel der ganzenStadt, und diese juristischen Erkundigungsbüreaus gehörten wesentlich mit zur Physiognomie Roms. Von dieser Auffassung ausgehend schenkte einst der Senat einem namhaften Juristen, um dem Volk den Weg zu kürzen, ein Haus an bequem gele- gener Stelle. 579) Wer einen solchen Zuspruch zu Hause nicht erwarten konnte, wie namentlich der Anfänger, oder es dem Volk bequemer machen wollte, verstand sich zur ambulanten Praxis und verlegte, so zu sagen, sein Büreau auf die juristi- sche Börse, das Forum, mitten in das Gewühl des Verkehrs und das Getreibe der Rechtspflege, um hier für alle Fälle des unmittelbarsten Bedürfnisses mit Rath und That sofort bei der Hand zu sein. 580) Die ganze Einrichtung habe ich berührt nicht ihrer selbst 578) de orat. I, 45 oraculum totius civitatis. 579) L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). 580) Cic. de orat. III, 33. 581) Eine Blumenlese daraus habe ich bei einer andern Gelegenheit
gegeben. S. Gerbers und meine Jahrbücher B. 1. S. 31 fl. Die Jurisprudenz. §. 42. Zutritt hatte, es war nach Cicero 578) das Orakel der ganzenStadt, und dieſe juriſtiſchen Erkundigungsbüreaus gehörten weſentlich mit zur Phyſiognomie Roms. Von dieſer Auffaſſung ausgehend ſchenkte einſt der Senat einem namhaften Juriſten, um dem Volk den Weg zu kürzen, ein Haus an bequem gele- gener Stelle. 579) Wer einen ſolchen Zuſpruch zu Hauſe nicht erwarten konnte, wie namentlich der Anfänger, oder es dem Volk bequemer machen wollte, verſtand ſich zur ambulanten Praxis und verlegte, ſo zu ſagen, ſein Büreau auf die juriſti- ſche Börſe, das Forum, mitten in das Gewühl des Verkehrs und das Getreibe der Rechtspflege, um hier für alle Fälle des unmittelbarſten Bedürfniſſes mit Rath und That ſofort bei der Hand zu ſein. 580) Die ganze Einrichtung habe ich berührt nicht ihrer ſelbſt 578) de orat. I, 45 oraculum totius civitatis. 579) L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). 580) Cic. de orat. III, 33. 581) Eine Blumenleſe daraus habe ich bei einer andern Gelegenheit
gegeben. S. Gerbers und meine Jahrbücher B. 1. S. 31 fl. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0147" n="441"/><fw place="top" type="header">Die Jurisprudenz. §. 42.</fw><lb/> Zutritt hatte, es war nach Cicero <note place="foot" n="578)"><hi rendition="#aq">de orat. I, 45 oraculum totius civitatis.</hi></note> das Orakel der ganzen<lb/> Stadt, und dieſe juriſtiſchen Erkundigungsbüreaus gehörten<lb/> weſentlich mit zur Phyſiognomie Roms. Von dieſer Auffaſſung<lb/> ausgehend ſchenkte einſt der Senat einem namhaften Juriſten,<lb/> um dem Volk den Weg zu kürzen, ein Haus an bequem gele-<lb/> gener Stelle. <note place="foot" n="579)"><hi rendition="#aq">L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2).</hi></note> Wer einen ſolchen Zuſpruch zu Hauſe nicht<lb/> erwarten konnte, wie namentlich der Anfänger, oder es dem<lb/> Volk bequemer machen wollte, verſtand ſich zur ambulanten<lb/> Praxis und verlegte, ſo zu ſagen, ſein Büreau auf die juriſti-<lb/> ſche Börſe, das Forum, mitten in das Gewühl des Verkehrs<lb/> und das Getreibe der Rechtspflege, um hier für alle Fälle des<lb/> unmittelbarſten Bedürfniſſes mit Rath und That ſofort bei der<lb/> Hand zu ſein. <note place="foot" n="580)"><hi rendition="#aq">Cic. de orat. III, 33.</hi></note></p><lb/> <p>Die ganze Einrichtung habe ich berührt nicht ihrer ſelbſt<lb/> wegen, ſondern weil ſie ein unentbehrliches Hülfsmittel für<lb/> das Verſtändniß des römiſchen <hi rendition="#g">Rechts</hi> iſt. Daß letzteres ſo<lb/> und nicht anders geworden, hat zum weſentlichen in ihr ſeinen<lb/> Grund; ſie hinweggedacht — und Vieles hätte völlig anders<lb/> werden müſſen. Dahin gehört vor allem der von der römiſchen<lb/> Jurisprudenz mit eiſerner Strenge durchgeführte Formalismus<lb/> (§. 46). Bei manchen Ausflüſſen deſſelben <note place="foot" n="581)">Eine Blumenleſe daraus habe ich bei einer andern Gelegenheit<lb/> gegeben. S. Gerbers und meine Jahrbücher B. 1. S. 31 fl.</note> muß, wie ich<lb/> meine, jeden Unbefangenen ein gewiſſes Grauen beſchleichen,<lb/> und es gehört ein eingefleiſchter Romanismus dazu, um keinen<lb/> Anſtoß an ihnen zu nehmen oder gar für das heutige Recht<lb/> ihre Gültigkeit zu vertheidigen. Man denke ſich, daß an <hi rendition="#g">einem</hi><lb/> verkehrten Wort (z. B. <hi rendition="#aq">heres ne esto</hi> ſtatt <hi rendition="#aq">exheres esto</hi>) die<lb/> Gültigkeit des ganzen Teſtaments oder der Verluſt des Pro-<lb/> zeſſes hing, und daß ein einziges weggelaſſenes oder geſetztes <hi rendition="#aq">et</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [441/0147]
Die Jurisprudenz. §. 42.
Zutritt hatte, es war nach Cicero 578) das Orakel der ganzen
Stadt, und dieſe juriſtiſchen Erkundigungsbüreaus gehörten
weſentlich mit zur Phyſiognomie Roms. Von dieſer Auffaſſung
ausgehend ſchenkte einſt der Senat einem namhaften Juriſten,
um dem Volk den Weg zu kürzen, ein Haus an bequem gele-
gener Stelle. 579) Wer einen ſolchen Zuſpruch zu Hauſe nicht
erwarten konnte, wie namentlich der Anfänger, oder es dem
Volk bequemer machen wollte, verſtand ſich zur ambulanten
Praxis und verlegte, ſo zu ſagen, ſein Büreau auf die juriſti-
ſche Börſe, das Forum, mitten in das Gewühl des Verkehrs
und das Getreibe der Rechtspflege, um hier für alle Fälle des
unmittelbarſten Bedürfniſſes mit Rath und That ſofort bei der
Hand zu ſein. 580)
Die ganze Einrichtung habe ich berührt nicht ihrer ſelbſt
wegen, ſondern weil ſie ein unentbehrliches Hülfsmittel für
das Verſtändniß des römiſchen Rechts iſt. Daß letzteres ſo
und nicht anders geworden, hat zum weſentlichen in ihr ſeinen
Grund; ſie hinweggedacht — und Vieles hätte völlig anders
werden müſſen. Dahin gehört vor allem der von der römiſchen
Jurisprudenz mit eiſerner Strenge durchgeführte Formalismus
(§. 46). Bei manchen Ausflüſſen deſſelben 581) muß, wie ich
meine, jeden Unbefangenen ein gewiſſes Grauen beſchleichen,
und es gehört ein eingefleiſchter Romanismus dazu, um keinen
Anſtoß an ihnen zu nehmen oder gar für das heutige Recht
ihre Gültigkeit zu vertheidigen. Man denke ſich, daß an einem
verkehrten Wort (z. B. heres ne esto ſtatt exheres esto) die
Gültigkeit des ganzen Teſtaments oder der Verluſt des Pro-
zeſſes hing, und daß ein einziges weggelaſſenes oder geſetztes et
578) de orat. I, 45 oraculum totius civitatis.
579) L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2).
580) Cic. de orat. III, 33.
581) Eine Blumenleſe daraus habe ich bei einer andern Gelegenheit
gegeben. S. Gerbers und meine Jahrbücher B. 1. S. 31 fl.
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