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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
pendirung des civilprozessualischen Verfahrens und Zwanges
gegen die höhern Beamten während der Dauer ihres Amtes
und sodann die unsern heutigen Ideen über die Unabhängig-
keit der Justiz durchaus widerstrebende Zulässigkeit einer Ein-
wirkung der Magistrate und Tribunen auf die Rechtspflege.
Sie beruhte auf dem Veto, das denselben gegen die Ver-
fügungen ihrer Collegen zustand, und insoweit, aber auch
nur insoweit, als es sich um Verfügungen des Prätors
in Rechtsangelegenheiten handelte, konnten sie dagegen ihren
Protest einlegen.79) Nicht also gegen den Richterspruch; so
wie die Sache an den Richter gekommen, war ihre Einwir-
kung ausgeschlossen, und den Richterspruch konnte in der äl-
tern Zeit keine Macht der Erde rechtlich umstoßen, noch mochte
der Richter selbst oder der Prätor ihn ändern oder zurückneh-
men. Auch wird uns meines Wissens nirgends berichtet, daß
in alter Zeit je von irgend einer Macht der Autorität eines
richterlichen Urtheils entgegengehandelt wäre. Ein mittelbarer
Einfluß der nicht mit der Rechtspflege betrauten Beamten auf
die Instruction des Prozesses sowohl wie auf sonstige rechtliche
Verfügungen des Prätors war also möglich, und es liegt kein

79) S. Puchta Curs. der Institut. B. 2. §. 180 a. E. In der tempo-
rären Abberufung des Richters von Seiten des Tribunen, die Cicero pro
Cluentio c.
27 erwähnt, wird man schwerlich eine Beeinträchtigung des Rich-
teramtes finden wollen. Sonst aber ist mir kein Fall bekannt, wo ein Tribun
oder Magistrat in den Gang des Verfahrens vor dem Judex eingegriffen
hätte (daß der Prätor vermöge seines Aufsichtsrechts es durfte [Keller Civil-
prozeß §. 68], steht damit nicht in Widerspruch). Die Stellen, die man an-
führt (Klenze Fragm. leg. Serv. p. 84 not. 5, Keller Civilprozeß S. 350
Anm. 979), sprechen gar nicht von Civilgerichten, sondern von judiciis
publicis,
die L. 58 de jud. (5. 1) freilich von ersteren, aber von einem majus
imperium in eadem jurisdictione.
Die lex Gall. cisalp. col. I.
vers.
51 verbietet ausdrücklich die Intercession bei einem Civilverfahren.
Zur Unterstützung möge noch angeführt werden, daß letztere bei einer quaestio
perpetua
mindestens entschieden verwerflich war (Geib Kriminalprozeß S.
289) oder wohl geradezu in der betreffenden lex verboten (s. z. B. lex Ser-
vilia c.
21).

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
pendirung des civilprozeſſualiſchen Verfahrens und Zwanges
gegen die höhern Beamten während der Dauer ihres Amtes
und ſodann die unſern heutigen Ideen über die Unabhängig-
keit der Juſtiz durchaus widerſtrebende Zuläſſigkeit einer Ein-
wirkung der Magiſtrate und Tribunen auf die Rechtspflege.
Sie beruhte auf dem Veto, das denſelben gegen die Ver-
fügungen ihrer Collegen zuſtand, und inſoweit, aber auch
nur inſoweit, als es ſich um Verfügungen des Prätors
in Rechtsangelegenheiten handelte, konnten ſie dagegen ihren
Proteſt einlegen.79) Nicht alſo gegen den Richterſpruch; ſo
wie die Sache an den Richter gekommen, war ihre Einwir-
kung ausgeſchloſſen, und den Richterſpruch konnte in der äl-
tern Zeit keine Macht der Erde rechtlich umſtoßen, noch mochte
der Richter ſelbſt oder der Prätor ihn ändern oder zurückneh-
men. Auch wird uns meines Wiſſens nirgends berichtet, daß
in alter Zeit je von irgend einer Macht der Autorität eines
richterlichen Urtheils entgegengehandelt wäre. Ein mittelbarer
Einfluß der nicht mit der Rechtspflege betrauten Beamten auf
die Inſtruction des Prozeſſes ſowohl wie auf ſonſtige rechtliche
Verfügungen des Prätors war alſo möglich, und es liegt kein

79) S. Puchta Curſ. der Inſtitut. B. 2. §. 180 a. E. In der tempo-
rären Abberufung des Richters von Seiten des Tribunen, die Cicero pro
Cluentio c.
27 erwähnt, wird man ſchwerlich eine Beeinträchtigung des Rich-
teramtes finden wollen. Sonſt aber iſt mir kein Fall bekannt, wo ein Tribun
oder Magiſtrat in den Gang des Verfahrens vor dem Judex eingegriffen
hätte (daß der Prätor vermöge ſeines Aufſichtsrechts es durfte [Keller Civil-
prozeß §. 68], ſteht damit nicht in Widerſpruch). Die Stellen, die man an-
führt (Klenze Fragm. leg. Serv. p. 84 not. 5, Keller Civilprozeß S. 350
Anm. 979), ſprechen gar nicht von Civilgerichten, ſondern von judiciis
publicis,
die L. 58 de jud. (5. 1) freilich von erſteren, aber von einem majus
imperium in eadem jurisdictione.
Die lex Gall. cisalp. col. I.
vers.
51 verbietet ausdrücklich die Interceſſion bei einem Civilverfahren.
Zur Unterſtützung möge noch angeführt werden, daß letztere bei einer quaestio
perpetua
mindeſtens entſchieden verwerflich war (Geib Kriminalprozeß S.
289) oder wohl geradezu in der betreffenden lex verboten (ſ. z. B. lex Ser-
vilia c.
21).
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[82/0096] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. pendirung des civilprozeſſualiſchen Verfahrens und Zwanges gegen die höhern Beamten während der Dauer ihres Amtes und ſodann die unſern heutigen Ideen über die Unabhängig- keit der Juſtiz durchaus widerſtrebende Zuläſſigkeit einer Ein- wirkung der Magiſtrate und Tribunen auf die Rechtspflege. Sie beruhte auf dem Veto, das denſelben gegen die Ver- fügungen ihrer Collegen zuſtand, und inſoweit, aber auch nur inſoweit, als es ſich um Verfügungen des Prätors in Rechtsangelegenheiten handelte, konnten ſie dagegen ihren Proteſt einlegen. 79) Nicht alſo gegen den Richterſpruch; ſo wie die Sache an den Richter gekommen, war ihre Einwir- kung ausgeſchloſſen, und den Richterſpruch konnte in der äl- tern Zeit keine Macht der Erde rechtlich umſtoßen, noch mochte der Richter ſelbſt oder der Prätor ihn ändern oder zurückneh- men. Auch wird uns meines Wiſſens nirgends berichtet, daß in alter Zeit je von irgend einer Macht der Autorität eines richterlichen Urtheils entgegengehandelt wäre. Ein mittelbarer Einfluß der nicht mit der Rechtspflege betrauten Beamten auf die Inſtruction des Prozeſſes ſowohl wie auf ſonſtige rechtliche Verfügungen des Prätors war alſo möglich, und es liegt kein 79) S. Puchta Curſ. der Inſtitut. B. 2. §. 180 a. E. In der tempo- rären Abberufung des Richters von Seiten des Tribunen, die Cicero pro Cluentio c. 27 erwähnt, wird man ſchwerlich eine Beeinträchtigung des Rich- teramtes finden wollen. Sonſt aber iſt mir kein Fall bekannt, wo ein Tribun oder Magiſtrat in den Gang des Verfahrens vor dem Judex eingegriffen hätte (daß der Prätor vermöge ſeines Aufſichtsrechts es durfte [Keller Civil- prozeß §. 68], ſteht damit nicht in Widerſpruch). Die Stellen, die man an- führt (Klenze Fragm. leg. Serv. p. 84 not. 5, Keller Civilprozeß S. 350 Anm. 979), ſprechen gar nicht von Civilgerichten, ſondern von judiciis publicis, die L. 58 de jud. (5. 1) freilich von erſteren, aber von einem majus imperium in eadem jurisdictione. Die lex Gall. cisalp. col. I. vers. 51 verbietet ausdrücklich die Interceſſion bei einem Civilverfahren. Zur Unterſtützung möge noch angeführt werden, daß letztere bei einer quaestio perpetua mindeſtens entſchieden verwerflich war (Geib Kriminalprozeß S. 289) oder wohl geradezu in der betreffenden lex verboten (ſ. z. B. lex Ser- vilia c. 21).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/96>, abgerufen am 02.05.2024.