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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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I. Der Selbständigkeitstrieb. 4. Verwirklichung des Rechts. §. 28.
wohl nicht ohne Bedeutung, wenn sie auch durch denselben
nicht veranlaßt ist.77) Jene Theilung gewährte insofern eine
Garantie, als bis zu einem gewissen Grade der Prätor den
Richter, der Richter den Prätor beschränkte und controllirte,
keiner den Rechtsstreit ganz für sich allein in der Hand hatte.
Den Ausschlag gab insofern immer der Richter, als er über den
Erfolg des geführten Beweises zu erkennen hatte, und bei dem
Einzelrichter mochte der Versuch der Bestechung noch am ersten
zu besorgen sein. Einen wirksamen Schutz dagegen bot abgesehen
von dem erwähnten Einfluß beider Partheien auf die Wahl die
Bestimmung der Zwölf Tafeln, welche dem Richter, der sich hatte
bestechen lassen, Todesstrafe androhte.78)

In wie hohem Grade auch das materielle Recht durch seine
Gestaltung dazu beitrug, die Sicherheit und Gleichmäßigkeit der
Rechtspflege zu fördern, darauf mag hier bereits hingedeutet
werden; der nähere Nachweis muß der innern Charakteristik des
materiellen Rechts vorbehalten werden, und ich verweise hier
namentlich auf die Ausführungen über den Gleichheitstrieb
(§. 29) und den Formalismus (§. 37) des ältern Rechts (s.
auch §. 25).

Auf Grund der bisherigen Darstellung hin wird sich die Be-
hauptung rechtfertigen, daß das ältere Recht in sich selbst so-
wohl wie in der zu seiner Verwirklichung bestimmten Staats-
anstalt in hohem Grade die nöthigen Voraussetzungen zu einer
sichern, gleichmäßigen Anwendung seiner selbst besaß. Aber Ein
Punkt bleibt doch noch übrig, nämlich das Verhältniß der Rechts-
pflege zur Staatsgewalt, und hier bieten sich uns allerdings
zwei befremdende Erscheinungen dar, nämlich einmal die Sus-

77) Die heutzutage verlangte schroffe Trennung der Justiz und Admini-
stration war dagegen den Römern unbekannt, (Keller röm. Civilprozeß §. 1),
wir werden bei dem vierten Kapitel des gegenwärtigen Abschnitts darauf zu-
rückkommen, die weitere Ausführung aber dem dritten Buch vorbehalten
müssen.
78) Gellius XX. c. 1.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 6

I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 4. Verwirklichung des Rechts. §. 28.
wohl nicht ohne Bedeutung, wenn ſie auch durch denſelben
nicht veranlaßt iſt.77) Jene Theilung gewährte inſofern eine
Garantie, als bis zu einem gewiſſen Grade der Prätor den
Richter, der Richter den Prätor beſchränkte und controllirte,
keiner den Rechtsſtreit ganz für ſich allein in der Hand hatte.
Den Ausſchlag gab inſofern immer der Richter, als er über den
Erfolg des geführten Beweiſes zu erkennen hatte, und bei dem
Einzelrichter mochte der Verſuch der Beſtechung noch am erſten
zu beſorgen ſein. Einen wirkſamen Schutz dagegen bot abgeſehen
von dem erwähnten Einfluß beider Partheien auf die Wahl die
Beſtimmung der Zwölf Tafeln, welche dem Richter, der ſich hatte
beſtechen laſſen, Todesſtrafe androhte.78)

In wie hohem Grade auch das materielle Recht durch ſeine
Geſtaltung dazu beitrug, die Sicherheit und Gleichmäßigkeit der
Rechtspflege zu fördern, darauf mag hier bereits hingedeutet
werden; der nähere Nachweis muß der innern Charakteriſtik des
materiellen Rechts vorbehalten werden, und ich verweiſe hier
namentlich auf die Ausführungen über den Gleichheitstrieb
(§. 29) und den Formalismus (§. 37) des ältern Rechts (ſ.
auch §. 25).

Auf Grund der bisherigen Darſtellung hin wird ſich die Be-
hauptung rechtfertigen, daß das ältere Recht in ſich ſelbſt ſo-
wohl wie in der zu ſeiner Verwirklichung beſtimmten Staats-
anſtalt in hohem Grade die nöthigen Vorausſetzungen zu einer
ſichern, gleichmäßigen Anwendung ſeiner ſelbſt beſaß. Aber Ein
Punkt bleibt doch noch übrig, nämlich das Verhältniß der Rechts-
pflege zur Staatsgewalt, und hier bieten ſich uns allerdings
zwei befremdende Erſcheinungen dar, nämlich einmal die Sus-

77) Die heutzutage verlangte ſchroffe Trennung der Juſtiz und Admini-
ſtration war dagegen den Römern unbekannt, (Keller röm. Civilprozeß §. 1),
wir werden bei dem vierten Kapitel des gegenwärtigen Abſchnitts darauf zu-
rückkommen, die weitere Ausführung aber dem dritten Buch vorbehalten
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[81/0095] I. Der Selbſtändigkeitstrieb. 4. Verwirklichung des Rechts. §. 28. wohl nicht ohne Bedeutung, wenn ſie auch durch denſelben nicht veranlaßt iſt. 77) Jene Theilung gewährte inſofern eine Garantie, als bis zu einem gewiſſen Grade der Prätor den Richter, der Richter den Prätor beſchränkte und controllirte, keiner den Rechtsſtreit ganz für ſich allein in der Hand hatte. Den Ausſchlag gab inſofern immer der Richter, als er über den Erfolg des geführten Beweiſes zu erkennen hatte, und bei dem Einzelrichter mochte der Verſuch der Beſtechung noch am erſten zu beſorgen ſein. Einen wirkſamen Schutz dagegen bot abgeſehen von dem erwähnten Einfluß beider Partheien auf die Wahl die Beſtimmung der Zwölf Tafeln, welche dem Richter, der ſich hatte beſtechen laſſen, Todesſtrafe androhte. 78) In wie hohem Grade auch das materielle Recht durch ſeine Geſtaltung dazu beitrug, die Sicherheit und Gleichmäßigkeit der Rechtspflege zu fördern, darauf mag hier bereits hingedeutet werden; der nähere Nachweis muß der innern Charakteriſtik des materiellen Rechts vorbehalten werden, und ich verweiſe hier namentlich auf die Ausführungen über den Gleichheitstrieb (§. 29) und den Formalismus (§. 37) des ältern Rechts (ſ. auch §. 25). Auf Grund der bisherigen Darſtellung hin wird ſich die Be- hauptung rechtfertigen, daß das ältere Recht in ſich ſelbſt ſo- wohl wie in der zu ſeiner Verwirklichung beſtimmten Staats- anſtalt in hohem Grade die nöthigen Vorausſetzungen zu einer ſichern, gleichmäßigen Anwendung ſeiner ſelbſt beſaß. Aber Ein Punkt bleibt doch noch übrig, nämlich das Verhältniß der Rechts- pflege zur Staatsgewalt, und hier bieten ſich uns allerdings zwei befremdende Erſcheinungen dar, nämlich einmal die Sus- 77) Die heutzutage verlangte ſchroffe Trennung der Juſtiz und Admini- ſtration war dagegen den Römern unbekannt, (Keller röm. Civilprozeß §. 1), wir werden bei dem vierten Kapitel des gegenwärtigen Abſchnitts darauf zu- rückkommen, die weitere Ausführung aber dem dritten Buch vorbehalten müſſen. 78) Gellius XX. c. 1. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 6

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/95>, abgerufen am 02.05.2024.