Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
des Güter-Umlaufs, indem sie nämlich das Rückströmen des
Vermögens in die leeren Theile, das durch die unvollkommene
Organisation jenes Systems in nicht genügender Weise vermit-
telt ward, beförderte, der übermäßigen Anhäufung an den be-
vorzugten Punkten wenigstens in etwas abhalf.

Jene Freigebigkeit hatte also ein durchaus sociales, kein
eigentlich moralisches Motiv; sie steht auf gleicher Linie mit un-
sern heutigen Standesausgaben, nur daß letztere freilich hin-
sichtlich des Maßes und der Ausdehnung gar nicht mit ihr ver-
glichen werden können. Das eigne Interesse der höhern Stände
erheischte sie als ein wesentliches Mittel zur Behauptung der
Stellung, als eine Bethätigung ächt aristokratischer Gesinnung,
die dem Volk imponirte und den Neid entwaffnete. Die untern
wie die höhern Stände waren also gleichmäßig dabei betheiligt,
jene Liberalität dem subjektiven Belieben zu entziehen und zu
einer Anforderung der Sitte zu erheben.386) Die hauptsäch-
lichste Veranlassung, an die die Volksansicht eine Erfüllung die-
ser Pflicht knüpfte, war die Bekleidung des ädilitischen und
später auch des quästorischen387) Amtes, der erste Schritt,
den man in der Regel zu machen hatte, um die höheren Stu-
fen der Staatsverwaltung zu ersteigen. Der zukünftige Be-
amte hatte hier bei seinem Eintritt in den Staatsdienst ge-
wissermaßen sein Eintrittsgeld zu entrichten,388) die Liberalität

386) Cicero de off. II. 16 ... tota ratio talium largitionum genere
vitiosa est
(es spricht der homo novus aus ihm) temporibus neces-
saria.
ibid. 17. Mamerco homini ditissimo praetermissio aedilitatis
consulatus repulsam attulit.
387) Auct. de vir. ill. c. 74. Lucullus .... munus quaestorium am-
plissimum dedit. Suet. Domit. c. 4 ... quaestoriis muneribus, quae
olim omissa revocaverat.
Nach dem Bericht von Tacitus erhob Claudius
jene Pflicht der Sitte förmlich zum Gesetz, indem er die Quästoren verpflich-
tete, auf eigene Kosten Gladiatorenspiele zu veranstalten.
388) So faßt auch Cicero in der angeführten Stelle das Verhältniß auf,
indem er meint, im Vergleich zu den Ehren, die ihm später zu Theil gewor-
den, sei ihm das Eintrittsgeld nicht so hoch gekommen.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
des Güter-Umlaufs, indem ſie nämlich das Rückſtrömen des
Vermögens in die leeren Theile, das durch die unvollkommene
Organiſation jenes Syſtems in nicht genügender Weiſe vermit-
telt ward, beförderte, der übermäßigen Anhäufung an den be-
vorzugten Punkten wenigſtens in etwas abhalf.

Jene Freigebigkeit hatte alſo ein durchaus ſociales, kein
eigentlich moraliſches Motiv; ſie ſteht auf gleicher Linie mit un-
ſern heutigen Standesausgaben, nur daß letztere freilich hin-
ſichtlich des Maßes und der Ausdehnung gar nicht mit ihr ver-
glichen werden können. Das eigne Intereſſe der höhern Stände
erheiſchte ſie als ein weſentliches Mittel zur Behauptung der
Stellung, als eine Bethätigung ächt ariſtokratiſcher Geſinnung,
die dem Volk imponirte und den Neid entwaffnete. Die untern
wie die höhern Stände waren alſo gleichmäßig dabei betheiligt,
jene Liberalität dem ſubjektiven Belieben zu entziehen und zu
einer Anforderung der Sitte zu erheben.386) Die hauptſäch-
lichſte Veranlaſſung, an die die Volksanſicht eine Erfüllung die-
ſer Pflicht knüpfte, war die Bekleidung des ädilitiſchen und
ſpäter auch des quäſtoriſchen387) Amtes, der erſte Schritt,
den man in der Regel zu machen hatte, um die höheren Stu-
fen der Staatsverwaltung zu erſteigen. Der zukünftige Be-
amte hatte hier bei ſeinem Eintritt in den Staatsdienſt ge-
wiſſermaßen ſein Eintrittsgeld zu entrichten,388) die Liberalität

386) Cicero de off. II. 16 … tota ratio talium largitionum genere
vitiosa est
(es ſpricht der homo novus aus ihm) temporibus neces-
saria.
ibid. 17. Mamerco homini ditissimo praetermissio aedilitatis
consulatus repulsam attulit.
387) Auct. de vir. ill. c. 74. Lucullus .... munus quaestorium am-
plissimum dedit. Suet. Domit. c. 4 … quaestoriis muneribus, quae
olim omissa revocaverat.
Nach dem Bericht von Tacitus erhob Claudius
jene Pflicht der Sitte förmlich zum Geſetz, indem er die Quäſtoren verpflich-
tete, auf eigene Koſten Gladiatorenſpiele zu veranſtalten.
388) So faßt auch Cicero in der angeführten Stelle das Verhältniß auf,
indem er meint, im Vergleich zu den Ehren, die ihm ſpäter zu Theil gewor-
den, ſei ihm das Eintrittsgeld nicht ſo hoch gekommen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0272" n="258"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/>
des Güter-Umlaufs, indem &#x017F;ie nämlich das Rück&#x017F;trömen des<lb/>
Vermögens in die leeren Theile, das durch die unvollkommene<lb/>
Organi&#x017F;ation jenes Sy&#x017F;tems in nicht genügender Wei&#x017F;e vermit-<lb/>
telt ward, beförderte, der übermäßigen Anhäufung an den be-<lb/>
vorzugten Punkten wenig&#x017F;tens in etwas abhalf.</p><lb/>
                    <p>Jene Freigebigkeit hatte al&#x017F;o ein durchaus &#x017F;ociales, kein<lb/>
eigentlich morali&#x017F;ches Motiv; &#x017F;ie &#x017F;teht auf gleicher Linie mit un-<lb/>
&#x017F;ern heutigen Standesausgaben, nur daß letztere freilich hin-<lb/>
&#x017F;ichtlich des Maßes und der Ausdehnung gar nicht mit ihr ver-<lb/>
glichen werden können. Das eigne Intere&#x017F;&#x017F;e der höhern Stände<lb/>
erhei&#x017F;chte &#x017F;ie als ein we&#x017F;entliches Mittel zur Behauptung der<lb/>
Stellung, als eine Bethätigung ächt ari&#x017F;tokrati&#x017F;cher Ge&#x017F;innung,<lb/>
die dem Volk imponirte und den Neid entwaffnete. Die untern<lb/>
wie die höhern Stände waren al&#x017F;o gleichmäßig dabei betheiligt,<lb/>
jene Liberalität dem &#x017F;ubjektiven Belieben zu entziehen und zu<lb/>
einer Anforderung der Sitte zu erheben.<note place="foot" n="386)"><hi rendition="#aq">Cicero de off. II. 16 &#x2026; tota ratio talium largitionum genere<lb/>
vitiosa est</hi> (es &#x017F;pricht der <hi rendition="#aq">homo novus</hi> aus ihm) <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">temporibus neces-<lb/>
saria.</hi> ibid. 17. Mamerco homini ditissimo praetermissio aedilitatis<lb/>
consulatus repulsam attulit.</hi></note> Die haupt&#x017F;äch-<lb/>
lich&#x017F;te Veranla&#x017F;&#x017F;ung, an die die Volksan&#x017F;icht eine Erfüllung die-<lb/>
&#x017F;er Pflicht knüpfte, war die Bekleidung des ädiliti&#x017F;chen und<lb/>
&#x017F;päter auch des quä&#x017F;tori&#x017F;chen<note place="foot" n="387)"><hi rendition="#aq">Auct. de vir. ill. c. 74. Lucullus .... munus quaestorium am-<lb/>
plissimum dedit. Suet. Domit. c. 4 &#x2026; quaestoriis muneribus, quae<lb/>
olim omissa revocaverat.</hi> Nach dem Bericht von Tacitus erhob Claudius<lb/>
jene Pflicht der Sitte förmlich zum Ge&#x017F;etz, indem er die Quä&#x017F;toren verpflich-<lb/>
tete, auf eigene Ko&#x017F;ten Gladiatoren&#x017F;piele zu veran&#x017F;talten.</note> Amtes, der er&#x017F;te Schritt,<lb/>
den man in der Regel zu machen hatte, um die höheren Stu-<lb/>
fen der Staatsverwaltung zu er&#x017F;teigen. Der zukünftige Be-<lb/>
amte hatte hier bei &#x017F;einem Eintritt in den Staatsdien&#x017F;t ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ermaßen &#x017F;ein Eintrittsgeld zu entrichten,<note place="foot" n="388)">So faßt auch Cicero in der angeführten Stelle das Verhältniß auf,<lb/>
indem er meint, im Vergleich zu den Ehren, die ihm &#x017F;päter zu Theil gewor-<lb/>
den, &#x017F;ei ihm das Eintrittsgeld nicht &#x017F;o hoch gekommen.</note> die Liberalität<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0272] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. des Güter-Umlaufs, indem ſie nämlich das Rückſtrömen des Vermögens in die leeren Theile, das durch die unvollkommene Organiſation jenes Syſtems in nicht genügender Weiſe vermit- telt ward, beförderte, der übermäßigen Anhäufung an den be- vorzugten Punkten wenigſtens in etwas abhalf. Jene Freigebigkeit hatte alſo ein durchaus ſociales, kein eigentlich moraliſches Motiv; ſie ſteht auf gleicher Linie mit un- ſern heutigen Standesausgaben, nur daß letztere freilich hin- ſichtlich des Maßes und der Ausdehnung gar nicht mit ihr ver- glichen werden können. Das eigne Intereſſe der höhern Stände erheiſchte ſie als ein weſentliches Mittel zur Behauptung der Stellung, als eine Bethätigung ächt ariſtokratiſcher Geſinnung, die dem Volk imponirte und den Neid entwaffnete. Die untern wie die höhern Stände waren alſo gleichmäßig dabei betheiligt, jene Liberalität dem ſubjektiven Belieben zu entziehen und zu einer Anforderung der Sitte zu erheben. 386) Die hauptſäch- lichſte Veranlaſſung, an die die Volksanſicht eine Erfüllung die- ſer Pflicht knüpfte, war die Bekleidung des ädilitiſchen und ſpäter auch des quäſtoriſchen 387) Amtes, der erſte Schritt, den man in der Regel zu machen hatte, um die höheren Stu- fen der Staatsverwaltung zu erſteigen. Der zukünftige Be- amte hatte hier bei ſeinem Eintritt in den Staatsdienſt ge- wiſſermaßen ſein Eintrittsgeld zu entrichten, 388) die Liberalität 386) Cicero de off. II. 16 … tota ratio talium largitionum genere vitiosa est (es ſpricht der homo novus aus ihm) temporibus neces- saria. ibid. 17. Mamerco homini ditissimo praetermissio aedilitatis consulatus repulsam attulit. 387) Auct. de vir. ill. c. 74. Lucullus .... munus quaestorium am- plissimum dedit. Suet. Domit. c. 4 … quaestoriis muneribus, quae olim omissa revocaverat. Nach dem Bericht von Tacitus erhob Claudius jene Pflicht der Sitte förmlich zum Geſetz, indem er die Quäſtoren verpflich- tete, auf eigene Koſten Gladiatorenſpiele zu veranſtalten. 388) So faßt auch Cicero in der angeführten Stelle das Verhältniß auf, indem er meint, im Vergleich zu den Ehren, die ihm ſpäter zu Theil gewor- den, ſei ihm das Eintrittsgeld nicht ſo hoch gekommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/272
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/272>, abgerufen am 20.05.2024.