Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Privatunterstützung. §. 34. machen. Welche Motive auch den Einzelnen bestimmen mochten:das objektive Motiv war die Versöhnung des verletzten Gefühls der untern Stände mit einem socialen Unrecht. Daher die Richtung jener Freigebigkeit auf eine ganze Klasse des Volks, daher die Bezeichnung derselben als einer förmlichen Standespflicht und die Schimpflichkeit einer Ablehnung oder Umgehung derselben.384) Mit vollem Recht; es war ein Zeichen gemeiner, schmutziger Gesinnung, die Vor- theile einer bevorzugten Stellung auszubeuten, ohne die ent- sprechenden Pflichten tragen zu wollen. "Auf jedem größern Besitz haftet, wie ein neuerer Schriftsteller sagt,385) gleichsam die moralische Schuldverpflichtung, einen Theil desselben neben dem egoistischen eigenen Genusse zum Besten der Gesammtheit, der Gesellschaft in Umlauf zu setzen." Die aristokratische Frei- gebigkeit diente in Rom wesentlich zur Ergänzung des Systems 384) S. Cicero de offic. II. c. 16, 17. 385) Riehl die bürgerliche Gesellschaft. Stuttg. u. Tübingen 1851, S. 178. Der Verfasser macht davon eine sehr zu beherzigende Anwendung auf die Stellung des begüterten Adels, die ich mir nicht versagen kann mitzuthei- len. "Wenn der Aristokrat als Wahrer des ererbten festen Besitzes nur in der Weise auftritt, daß er seine Rente lediglich im Interesse persönlicher Genuß- sucht verzehrt, so ist das durchaus nicht edelmännisch gehandelt. Mit Recht stellt die Sitte an den Edelmann die Anforderung, daß er über den Privat- genuß hinaus zum gemeinen Besten in gewissem Grade depensire. Es liegt dieser Sitte mehr als die Verschwenderlaune der Hoffart zu Grunde, es steckt der würdige Gedanke darin, daß es sich nicht zieme, einen festen Besitz todt liegen zu lassen, ohne zum Frommen der Gesammtheit einen steten Zins ab- zutragen .... Dadurch wird der natürliche Neid, wie ihn immer der müh- selig Erwerbende dem bereits im Behagen des ruhigen Besitzes Gebetteten nachträgt, versöhnt und entkräftet .. Wenn knickerige Oekonomie wohl gar als ein Mittel angeführt wird, um dem Ansehn des Adels wieder aufzuhel- fen, so zeugt dies für eine gänzliche Verkennung des aristokratischen socialen Berufs." Auch hier hatten die Römer das Rechte richtig erkannt, besser, als unsere heutige Aristokratie wenigstens in manchen Gegenden Deutschlands; der Adel des vorigen Jahrhunderts, der es mit der bürgerlichen Moral sehr leicht nahm, hat, wie Riehl mit Recht bemerkt, diese Pflicht der socialen Moral viel mehr gewürdigt und erfüllt. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 17
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Privatunterſtützung. §. 34. machen. Welche Motive auch den Einzelnen beſtimmen mochten:das objektive Motiv war die Verſöhnung des verletzten Gefühls der untern Stände mit einem ſocialen Unrecht. Daher die Richtung jener Freigebigkeit auf eine ganze Klaſſe des Volks, daher die Bezeichnung derſelben als einer förmlichen Standespflicht und die Schimpflichkeit einer Ablehnung oder Umgehung derſelben.384) Mit vollem Recht; es war ein Zeichen gemeiner, ſchmutziger Geſinnung, die Vor- theile einer bevorzugten Stellung auszubeuten, ohne die ent- ſprechenden Pflichten tragen zu wollen. „Auf jedem größern Beſitz haftet, wie ein neuerer Schriftſteller ſagt,385) gleichſam die moraliſche Schuldverpflichtung, einen Theil deſſelben neben dem egoiſtiſchen eigenen Genuſſe zum Beſten der Geſammtheit, der Geſellſchaft in Umlauf zu ſetzen.“ Die ariſtokratiſche Frei- gebigkeit diente in Rom weſentlich zur Ergänzung des Syſtems 384) S. Cicero de offic. II. c. 16, 17. 385) Riehl die bürgerliche Geſellſchaft. Stuttg. u. Tübingen 1851, S. 178. Der Verfaſſer macht davon eine ſehr zu beherzigende Anwendung auf die Stellung des begüterten Adels, die ich mir nicht verſagen kann mitzuthei- len. „Wenn der Ariſtokrat als Wahrer des ererbten feſten Beſitzes nur in der Weiſe auftritt, daß er ſeine Rente lediglich im Intereſſe perſönlicher Genuß- ſucht verzehrt, ſo iſt das durchaus nicht edelmänniſch gehandelt. Mit Recht ſtellt die Sitte an den Edelmann die Anforderung, daß er über den Privat- genuß hinaus zum gemeinen Beſten in gewiſſem Grade depenſire. Es liegt dieſer Sitte mehr als die Verſchwenderlaune der Hoffart zu Grunde, es ſteckt der würdige Gedanke darin, daß es ſich nicht zieme, einen feſten Beſitz todt liegen zu laſſen, ohne zum Frommen der Geſammtheit einen ſteten Zins ab- zutragen .... Dadurch wird der natürliche Neid, wie ihn immer der müh- ſelig Erwerbende dem bereits im Behagen des ruhigen Beſitzes Gebetteten nachträgt, verſöhnt und entkräftet .. Wenn knickerige Oekonomie wohl gar als ein Mittel angeführt wird, um dem Anſehn des Adels wieder aufzuhel- fen, ſo zeugt dies für eine gänzliche Verkennung des ariſtokratiſchen ſocialen Berufs.“ Auch hier hatten die Römer das Rechte richtig erkannt, beſſer, als unſere heutige Ariſtokratie wenigſtens in manchen Gegenden Deutſchlands; der Adel des vorigen Jahrhunderts, der es mit der bürgerlichen Moral ſehr leicht nahm, hat, wie Riehl mit Recht bemerkt, dieſe Pflicht der ſocialen Moral viel mehr gewürdigt und erfüllt. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 17
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0271" n="257"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Privatunterſtützung. §. 34.</fw><lb/> machen. Welche Motive auch den Einzelnen beſtimmen mochten:<lb/> das objektive Motiv war die <hi rendition="#g">Verſöhnung des verletzten<lb/> Gefühls der untern Stände mit einem ſocialen<lb/> Unrecht.</hi> Daher die Richtung jener Freigebigkeit auf eine<lb/> ganze <hi rendition="#g">Klaſſe</hi> des Volks, daher die Bezeichnung derſelben als<lb/> einer förmlichen Standespflicht und die Schimpflichkeit einer<lb/> Ablehnung oder Umgehung derſelben.<note place="foot" n="384)">S. <hi rendition="#aq">Cicero de offic. II. c. 16, 17.</hi></note> Mit vollem Recht;<lb/> es war ein Zeichen gemeiner, ſchmutziger Geſinnung, die Vor-<lb/> theile einer bevorzugten Stellung auszubeuten, ohne die ent-<lb/> ſprechenden Pflichten tragen zu wollen. „Auf jedem größern<lb/> Beſitz haftet, wie ein neuerer Schriftſteller ſagt,<note place="foot" n="385)">Riehl die bürgerliche Geſellſchaft. Stuttg. u. Tübingen 1851,<lb/> S. 178. Der Verfaſſer macht davon eine ſehr zu beherzigende Anwendung auf<lb/> die Stellung des begüterten Adels, die ich mir nicht verſagen kann mitzuthei-<lb/> len. „Wenn der Ariſtokrat als Wahrer des ererbten feſten Beſitzes nur in der<lb/> Weiſe auftritt, daß er ſeine Rente lediglich im Intereſſe perſönlicher Genuß-<lb/> ſucht verzehrt, ſo iſt das durchaus nicht edelmänniſch gehandelt. Mit Recht<lb/> ſtellt die Sitte an den Edelmann die Anforderung, daß er über den Privat-<lb/> genuß hinaus zum gemeinen Beſten in gewiſſem Grade depenſire. Es liegt<lb/> dieſer Sitte mehr als die Verſchwenderlaune der Hoffart zu Grunde, es ſteckt<lb/> der würdige Gedanke darin, daß es ſich nicht zieme, einen feſten Beſitz todt<lb/> liegen zu laſſen, ohne zum Frommen der Geſammtheit einen ſteten Zins ab-<lb/> zutragen .... Dadurch wird der natürliche Neid, wie ihn immer der müh-<lb/> ſelig Erwerbende dem bereits im Behagen des ruhigen Beſitzes Gebetteten<lb/> nachträgt, verſöhnt und entkräftet .. Wenn knickerige Oekonomie wohl gar<lb/> als ein Mittel angeführt wird, um dem Anſehn des Adels wieder aufzuhel-<lb/> fen, ſo zeugt dies für eine gänzliche Verkennung des ariſtokratiſchen ſocialen<lb/> Berufs.“ Auch hier hatten die Römer das Rechte richtig erkannt, beſſer, als<lb/> unſere heutige Ariſtokratie wenigſtens in manchen Gegenden Deutſchlands;<lb/> der Adel des vorigen Jahrhunderts, der es mit der bürgerlichen Moral ſehr<lb/> leicht nahm, hat, wie Riehl mit Recht bemerkt, dieſe Pflicht der ſocialen<lb/> Moral viel mehr gewürdigt und erfüllt.</note> gleichſam<lb/> die moraliſche Schuldverpflichtung, einen Theil deſſelben neben<lb/> dem egoiſtiſchen eigenen Genuſſe zum Beſten der Geſammtheit,<lb/> der Geſellſchaft in Umlauf zu ſetzen.“ Die ariſtokratiſche Frei-<lb/> gebigkeit diente in Rom weſentlich zur Ergänzung des Syſtems<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">II.</hi> 17</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [257/0271]
A. Stellung d. Ind. Die Wohlfahrtsfrage. Privatunterſtützung. §. 34.
machen. Welche Motive auch den Einzelnen beſtimmen mochten:
das objektive Motiv war die Verſöhnung des verletzten
Gefühls der untern Stände mit einem ſocialen
Unrecht. Daher die Richtung jener Freigebigkeit auf eine
ganze Klaſſe des Volks, daher die Bezeichnung derſelben als
einer förmlichen Standespflicht und die Schimpflichkeit einer
Ablehnung oder Umgehung derſelben. 384) Mit vollem Recht;
es war ein Zeichen gemeiner, ſchmutziger Geſinnung, die Vor-
theile einer bevorzugten Stellung auszubeuten, ohne die ent-
ſprechenden Pflichten tragen zu wollen. „Auf jedem größern
Beſitz haftet, wie ein neuerer Schriftſteller ſagt, 385) gleichſam
die moraliſche Schuldverpflichtung, einen Theil deſſelben neben
dem egoiſtiſchen eigenen Genuſſe zum Beſten der Geſammtheit,
der Geſellſchaft in Umlauf zu ſetzen.“ Die ariſtokratiſche Frei-
gebigkeit diente in Rom weſentlich zur Ergänzung des Syſtems
384) S. Cicero de offic. II. c. 16, 17.
385) Riehl die bürgerliche Geſellſchaft. Stuttg. u. Tübingen 1851,
S. 178. Der Verfaſſer macht davon eine ſehr zu beherzigende Anwendung auf
die Stellung des begüterten Adels, die ich mir nicht verſagen kann mitzuthei-
len. „Wenn der Ariſtokrat als Wahrer des ererbten feſten Beſitzes nur in der
Weiſe auftritt, daß er ſeine Rente lediglich im Intereſſe perſönlicher Genuß-
ſucht verzehrt, ſo iſt das durchaus nicht edelmänniſch gehandelt. Mit Recht
ſtellt die Sitte an den Edelmann die Anforderung, daß er über den Privat-
genuß hinaus zum gemeinen Beſten in gewiſſem Grade depenſire. Es liegt
dieſer Sitte mehr als die Verſchwenderlaune der Hoffart zu Grunde, es ſteckt
der würdige Gedanke darin, daß es ſich nicht zieme, einen feſten Beſitz todt
liegen zu laſſen, ohne zum Frommen der Geſammtheit einen ſteten Zins ab-
zutragen .... Dadurch wird der natürliche Neid, wie ihn immer der müh-
ſelig Erwerbende dem bereits im Behagen des ruhigen Beſitzes Gebetteten
nachträgt, verſöhnt und entkräftet .. Wenn knickerige Oekonomie wohl gar
als ein Mittel angeführt wird, um dem Anſehn des Adels wieder aufzuhel-
fen, ſo zeugt dies für eine gänzliche Verkennung des ariſtokratiſchen ſocialen
Berufs.“ Auch hier hatten die Römer das Rechte richtig erkannt, beſſer, als
unſere heutige Ariſtokratie wenigſtens in manchen Gegenden Deutſchlands;
der Adel des vorigen Jahrhunderts, der es mit der bürgerlichen Moral ſehr
leicht nahm, hat, wie Riehl mit Recht bemerkt, dieſe Pflicht der ſocialen
Moral viel mehr gewürdigt und erfüllt.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 17
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |