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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
Stande war, das System der objektiven Aestimation ohne son-
derliche Nachtheile zu ertragen. Nur da war allerdings dies
Mittel nicht ausreichend, wo nach der Natur des Verhältnisses
eine vorherige Stipulation sich nicht denken ließ z. B. bei Delik-
ten, bei dem Anspruch des Pupillen gegen den Vormund u. s. w.,
und hier bedurfte es der Beihülfe der Gesetzgebung. Ohne
dieselbe würde der natürliche Anspruch des Betheiligten auf
Leistung des Interesses bei der herrschenden Weise der Aestima-
tion nicht zu seiner Befriedigung gelangt sein; der Betheiligte
würde nur den objektiven Werth der Verletzung erhalten haben,
nicht den Ersatz der nachtheiligen Wirkungen der Verletzung auf
sein Vermögen. Die Gesetzgebung leistete nun diese Beihülfe
in der obigen Form d. h. sie gewährte ein vom Standpunkt der
objektiven Aestimation aus zu bestimmendes und in der Regel
mehr als ausreichendes Surrogat für das Interesse. Gewiß
sind uns nicht alle Beispiele erhalten, aber schon die vorhan-
denen genügen, um uns die Ueberzeugung zu gewähren, daß
wir es hier nicht mit einzelnen Bestimmungen, sondern mit
einem consequent durchgeführten System zu thun haben.

Seine höchste Spitze 121) erreicht dieses System in der peku-
niären Tarifirung gewisser Delikte z. B. der Injurien, 122) des
Abhauens fremder Bäume. 123) Dies Mittel war jedoch nur

121) Solche für alle Personen und Fälle sich gleich bleibende Summen
finden sich auch anderwärts im ältern Recht z. B. bei der legis actio sacra-
mento
50 und 500 ass., bei der lex Furia die 1000 ass. Es braucht wohl
kaum bemerkt zu werden, daß die scheinbare Gleichheit, die sie herstellen, in
der That zur äußersten Ungleichheit führen kann. Für die Tendenz der ab-
stracten, mechanischen Gleichheit des ältern Rechts ist nichts bezeichnender,
als daß der Reichste sowohl wie der Aermste eine Injurie mit 25 ass. be-
zahlte und bezahlt erhielt, und daß die größte Verschiedenheit in den Vermö-
gensverhältnissen für dies durch die lex Furia limitirte Maximum der Legate
einflußlos war.
122) Nach den XII Tafeln 25 ass.; bei schweren Körperverletzungen für
Freie 300 ass., für Sklaven 150 ass.
123) 25 ass. nach demselben Gesetz. Plinius H. N. 17 c. 1. -- Auch das
neuere Recht bediente sich in manchen Fällen dieses ganz zweckmäßigen Mit-

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
Stande war, das Syſtem der objektiven Aeſtimation ohne ſon-
derliche Nachtheile zu ertragen. Nur da war allerdings dies
Mittel nicht ausreichend, wo nach der Natur des Verhältniſſes
eine vorherige Stipulation ſich nicht denken ließ z. B. bei Delik-
ten, bei dem Anſpruch des Pupillen gegen den Vormund u. ſ. w.,
und hier bedurfte es der Beihülfe der Geſetzgebung. Ohne
dieſelbe würde der natürliche Anſpruch des Betheiligten auf
Leiſtung des Intereſſes bei der herrſchenden Weiſe der Aeſtima-
tion nicht zu ſeiner Befriedigung gelangt ſein; der Betheiligte
würde nur den objektiven Werth der Verletzung erhalten haben,
nicht den Erſatz der nachtheiligen Wirkungen der Verletzung auf
ſein Vermögen. Die Geſetzgebung leiſtete nun dieſe Beihülfe
in der obigen Form d. h. ſie gewährte ein vom Standpunkt der
objektiven Aeſtimation aus zu beſtimmendes und in der Regel
mehr als ausreichendes Surrogat für das Intereſſe. Gewiß
ſind uns nicht alle Beiſpiele erhalten, aber ſchon die vorhan-
denen genügen, um uns die Ueberzeugung zu gewähren, daß
wir es hier nicht mit einzelnen Beſtimmungen, ſondern mit
einem conſequent durchgeführten Syſtem zu thun haben.

Seine höchſte Spitze 121) erreicht dieſes Syſtem in der peku-
niären Tarifirung gewiſſer Delikte z. B. der Injurien, 122) des
Abhauens fremder Bäume. 123) Dies Mittel war jedoch nur

121) Solche für alle Perſonen und Fälle ſich gleich bleibende Summen
finden ſich auch anderwärts im ältern Recht z. B. bei der legis actio sacra-
mento
50 und 500 ass., bei der lex Furia die 1000 ass. Es braucht wohl
kaum bemerkt zu werden, daß die ſcheinbare Gleichheit, die ſie herſtellen, in
der That zur äußerſten Ungleichheit führen kann. Für die Tendenz der ab-
ſtracten, mechaniſchen Gleichheit des ältern Rechts iſt nichts bezeichnender,
als daß der Reichſte ſowohl wie der Aermſte eine Injurie mit 25 ass. be-
zahlte und bezahlt erhielt, und daß die größte Verſchiedenheit in den Vermö-
gensverhältniſſen für dies durch die lex Furia limitirte Maximum der Legate
einflußlos war.
122) Nach den XII Tafeln 25 ass.; bei ſchweren Körperverletzungen für
Freie 300 ass., für Sklaven 150 ass.
123) 25 ass. nach demſelben Geſetz. Plinius H. N. 17 c. 1. — Auch das
neuere Recht bediente ſich in manchen Fällen dieſes ganz zweckmäßigen Mit-
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[114/0128] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. Stande war, das Syſtem der objektiven Aeſtimation ohne ſon- derliche Nachtheile zu ertragen. Nur da war allerdings dies Mittel nicht ausreichend, wo nach der Natur des Verhältniſſes eine vorherige Stipulation ſich nicht denken ließ z. B. bei Delik- ten, bei dem Anſpruch des Pupillen gegen den Vormund u. ſ. w., und hier bedurfte es der Beihülfe der Geſetzgebung. Ohne dieſelbe würde der natürliche Anſpruch des Betheiligten auf Leiſtung des Intereſſes bei der herrſchenden Weiſe der Aeſtima- tion nicht zu ſeiner Befriedigung gelangt ſein; der Betheiligte würde nur den objektiven Werth der Verletzung erhalten haben, nicht den Erſatz der nachtheiligen Wirkungen der Verletzung auf ſein Vermögen. Die Geſetzgebung leiſtete nun dieſe Beihülfe in der obigen Form d. h. ſie gewährte ein vom Standpunkt der objektiven Aeſtimation aus zu beſtimmendes und in der Regel mehr als ausreichendes Surrogat für das Intereſſe. Gewiß ſind uns nicht alle Beiſpiele erhalten, aber ſchon die vorhan- denen genügen, um uns die Ueberzeugung zu gewähren, daß wir es hier nicht mit einzelnen Beſtimmungen, ſondern mit einem conſequent durchgeführten Syſtem zu thun haben. Seine höchſte Spitze 121) erreicht dieſes Syſtem in der peku- niären Tarifirung gewiſſer Delikte z. B. der Injurien, 122) des Abhauens fremder Bäume. 123) Dies Mittel war jedoch nur 121) Solche für alle Perſonen und Fälle ſich gleich bleibende Summen finden ſich auch anderwärts im ältern Recht z. B. bei der legis actio sacra- mento 50 und 500 ass., bei der lex Furia die 1000 ass. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß die ſcheinbare Gleichheit, die ſie herſtellen, in der That zur äußerſten Ungleichheit führen kann. Für die Tendenz der ab- ſtracten, mechaniſchen Gleichheit des ältern Rechts iſt nichts bezeichnender, als daß der Reichſte ſowohl wie der Aermſte eine Injurie mit 25 ass. be- zahlte und bezahlt erhielt, und daß die größte Verſchiedenheit in den Vermö- gensverhältniſſen für dies durch die lex Furia limitirte Maximum der Legate einflußlos war. 122) Nach den XII Tafeln 25 ass.; bei ſchweren Körperverletzungen für Freie 300 ass., für Sklaven 150 ass. 123) 25 ass. nach demſelben Geſetz. Plinius H. N. 17 c. 1. — Auch das neuere Recht bediente ſich in manchen Fällen dieſes ganz zweckmäßigen Mit-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/128>, abgerufen am 22.11.2024.