Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Der Gleichheitstrieb. -- Objekt. Aestimation, Interesse. §. 29.
läßt. Es kann diese Vereinbarung mehr aus der Intention
hervorgehen, den Schuldner durch die Aussicht auf ein größeres
Uebel zur Ertragung des kleineren, der Erfüllung seiner Ver-
bindlichkeit, zu veranlassen, also den Charakter einer Strafan-
drohung an sich tragen, (Conventionalpön) -- oder sie kann mehr
den Sinn haben, daß die festgesetzte Summe ein Aequivalent
des Interesses sein soll. Wenn nun die Leistung unterbleibt, so
ist dem Gläubiger der oft so sehr schwierige Beweis des Inter-
esses völlig erspart, denn er fordert gar nicht das Interesse, son-
dern statt dessen die versprochene Summe. Der Zweck des Gläu-
bigers besteht also in Deckung seines Interesses (incertum), die
juristische Form, in der er dies erreicht, ist die des certum; die
richterliche Beurtheilung braucht hier also den Boden der objek-
tiven Aestimation gar nicht zu verlassen. Diesen Weg schlug
nun in Rom sowohl der Verkehr als auch die Gesetzgebung ein.
Was ersteren anbetrifft, so finden wir in späterer Zeit dies
Mittel einer vorherigen vertragsmäßigen Veranschlagung des
Interesses in ausgedehntester Weise benutzt, 119) ja selbst im
Prozeß wußte man dasselbe mit Erfolg anzuwenden. 120) Um
so eher läßt sich nun dieselbe Sitte für die ältere Zeit annehmen,
und es leuchtet ein, daß der Verkehr vermöge dieses Mittels im

119) Jede Seite der justinianeischen Pandekten gibt Beispiele dafür.
Beim Verkauf werthvoller Sachen war die stipulatio duplae für den Fall
der Eviction so allgemein, daß sie, wenn unterlassen, fingirt ward. Auch für
die objektive Aestimation von Sachen stellte sich der Verkehr im voraus sicher
durch Vereinbarung über den demnächst zu Grunde zu legenden Taxwerth der
Sache z. B. bei der dos (s. g. aestimatio taxationis causa) und (wenn
auch gewiß weniger häufig) bei der societas, dem commodatum, depositum
u. s. w. L. 52 §. 3 pro socio (17. 2) L. 7. § 5, L. 52 de don. i. V. et
U.
(42. 1.)
120) z. B. bei der fructus licitatio der interdicta retinendae posses-
sionis
(Puchta Instit. Bd. 2 §. 169), bei den prätorischen Stipulationen,
deren Fassung auf bestimmte Summen von den Juristen sehr anempfohlen
ward. L. ult. de praet. stip. (46. 5): quoniam difficilis probatio est,
quanti cujusque intersit.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 8

II. Der Gleichheitstrieb. — Objekt. Aeſtimation, Intereſſe. §. 29.
läßt. Es kann dieſe Vereinbarung mehr aus der Intention
hervorgehen, den Schuldner durch die Ausſicht auf ein größeres
Uebel zur Ertragung des kleineren, der Erfüllung ſeiner Ver-
bindlichkeit, zu veranlaſſen, alſo den Charakter einer Strafan-
drohung an ſich tragen, (Conventionalpön) — oder ſie kann mehr
den Sinn haben, daß die feſtgeſetzte Summe ein Aequivalent
des Intereſſes ſein ſoll. Wenn nun die Leiſtung unterbleibt, ſo
iſt dem Gläubiger der oft ſo ſehr ſchwierige Beweis des Inter-
eſſes völlig erſpart, denn er fordert gar nicht das Intereſſe, ſon-
dern ſtatt deſſen die verſprochene Summe. Der Zweck des Gläu-
bigers beſteht alſo in Deckung ſeines Intereſſes (incertum), die
juriſtiſche Form, in der er dies erreicht, iſt die des certum; die
richterliche Beurtheilung braucht hier alſo den Boden der objek-
tiven Aeſtimation gar nicht zu verlaſſen. Dieſen Weg ſchlug
nun in Rom ſowohl der Verkehr als auch die Geſetzgebung ein.
Was erſteren anbetrifft, ſo finden wir in ſpäterer Zeit dies
Mittel einer vorherigen vertragsmäßigen Veranſchlagung des
Intereſſes in ausgedehnteſter Weiſe benutzt, 119) ja ſelbſt im
Prozeß wußte man daſſelbe mit Erfolg anzuwenden. 120) Um
ſo eher läßt ſich nun dieſelbe Sitte für die ältere Zeit annehmen,
und es leuchtet ein, daß der Verkehr vermöge dieſes Mittels im

119) Jede Seite der juſtinianeiſchen Pandekten gibt Beiſpiele dafür.
Beim Verkauf werthvoller Sachen war die stipulatio duplae für den Fall
der Eviction ſo allgemein, daß ſie, wenn unterlaſſen, fingirt ward. Auch für
die objektive Aeſtimation von Sachen ſtellte ſich der Verkehr im voraus ſicher
durch Vereinbarung über den demnächſt zu Grunde zu legenden Taxwerth der
Sache z. B. bei der dos (ſ. g. aestimatio taxationis causa) und (wenn
auch gewiß weniger häufig) bei der societas, dem commodatum, depositum
u. ſ. w. L. 52 §. 3 pro socio (17. 2) L. 7. § 5, L. 52 de don. i. V. et
U.
(42. 1.)
120) z. B. bei der fructus licitatio der interdicta retinendae posses-
sionis
(Puchta Inſtit. Bd. 2 §. 169), bei den prätoriſchen Stipulationen,
deren Faſſung auf beſtimmte Summen von den Juriſten ſehr anempfohlen
ward. L. ult. de praet. stip. (46. 5): quoniam difficilis probatio est,
quanti cujusque intersit.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0127" n="113"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Der Gleichheitstrieb. &#x2014; Objekt. Ae&#x017F;timation, Intere&#x017F;&#x017F;e. §. 29.</fw><lb/>
läßt. Es kann die&#x017F;e Vereinbarung mehr aus der Intention<lb/>
hervorgehen, den Schuldner durch die Aus&#x017F;icht auf ein größeres<lb/>
Uebel zur Ertragung des kleineren, der Erfüllung &#x017F;einer Ver-<lb/>
bindlichkeit, zu veranla&#x017F;&#x017F;en, al&#x017F;o den Charakter einer Strafan-<lb/>
drohung an &#x017F;ich tragen, (Conventionalpön) &#x2014; oder &#x017F;ie kann mehr<lb/><hi rendition="#g">den</hi> Sinn haben, daß die fe&#x017F;tge&#x017F;etzte Summe ein Aequivalent<lb/>
des Intere&#x017F;&#x017F;es &#x017F;ein &#x017F;oll. Wenn nun die Lei&#x017F;tung unterbleibt, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t dem Gläubiger der oft &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;chwierige Beweis des Inter-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;es völlig er&#x017F;part, denn er fordert gar nicht das Intere&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;on-<lb/>
dern &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en die ver&#x017F;prochene Summe. Der Zweck des Gläu-<lb/>
bigers be&#x017F;teht al&#x017F;o in Deckung &#x017F;eines Intere&#x017F;&#x017F;es (<hi rendition="#aq">incertum</hi>), die<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;che Form, in der er dies erreicht, i&#x017F;t die des <hi rendition="#aq">certum;</hi> die<lb/>
richterliche Beurtheilung braucht hier al&#x017F;o den Boden der objek-<lb/>
tiven Ae&#x017F;timation gar nicht zu verla&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;en Weg &#x017F;chlug<lb/>
nun in Rom &#x017F;owohl der Verkehr als auch die Ge&#x017F;etzgebung ein.<lb/>
Was er&#x017F;teren anbetrifft, &#x017F;o finden wir in &#x017F;päterer Zeit dies<lb/>
Mittel einer vorherigen vertragsmäßigen Veran&#x017F;chlagung des<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;es in ausgedehnte&#x017F;ter Wei&#x017F;e benutzt, <note place="foot" n="119)">Jede Seite der ju&#x017F;tinianei&#x017F;chen Pandekten gibt Bei&#x017F;piele dafür.<lb/>
Beim Verkauf werthvoller Sachen war die <hi rendition="#aq">stipulatio duplae</hi> für den Fall<lb/>
der Eviction &#x017F;o allgemein, daß &#x017F;ie, wenn unterla&#x017F;&#x017F;en, fingirt ward. Auch für<lb/>
die objektive Ae&#x017F;timation von Sachen &#x017F;tellte &#x017F;ich der Verkehr im voraus &#x017F;icher<lb/>
durch Vereinbarung über den demnäch&#x017F;t zu Grunde zu legenden Taxwerth der<lb/>
Sache z. B. bei der <hi rendition="#aq">dos</hi> (&#x017F;. g. <hi rendition="#aq">aestimatio taxationis causa</hi>) und (wenn<lb/>
auch gewiß weniger häufig) bei der <hi rendition="#aq">societas,</hi> dem <hi rendition="#aq">commodatum, depositum</hi><lb/>
u. &#x017F;. w. <hi rendition="#aq">L. 52 §. 3 pro socio (17. 2) L. 7. § 5, L. 52 de don. i. V. et<lb/>
U.</hi> (42. 1.)</note> ja &#x017F;elb&#x017F;t im<lb/>
Prozeß wußte man da&#x017F;&#x017F;elbe mit Erfolg anzuwenden. <note place="foot" n="120)">z. B. bei der <hi rendition="#aq">fructus licitatio</hi> der <hi rendition="#aq">interdicta retinendae posses-<lb/>
sionis</hi> (Puchta In&#x017F;tit. Bd. 2 §. 169), bei den prätori&#x017F;chen Stipulationen,<lb/>
deren Fa&#x017F;&#x017F;ung auf be&#x017F;timmte Summen von den Juri&#x017F;ten &#x017F;ehr anempfohlen<lb/>
ward. <hi rendition="#aq">L. ult. de praet. stip. (46. 5): quoniam difficilis probatio est,<lb/>
quanti cujusque intersit.</hi></note> Um<lb/>
&#x017F;o eher läßt &#x017F;ich nun die&#x017F;elbe Sitte für die ältere Zeit annehmen,<lb/>
und es leuchtet ein, daß der Verkehr vermöge die&#x017F;es Mittels im<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jhering, Gei&#x017F;t d. röm. Rechts. <hi rendition="#aq">II.</hi> 8</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0127] II. Der Gleichheitstrieb. — Objekt. Aeſtimation, Intereſſe. §. 29. läßt. Es kann dieſe Vereinbarung mehr aus der Intention hervorgehen, den Schuldner durch die Ausſicht auf ein größeres Uebel zur Ertragung des kleineren, der Erfüllung ſeiner Ver- bindlichkeit, zu veranlaſſen, alſo den Charakter einer Strafan- drohung an ſich tragen, (Conventionalpön) — oder ſie kann mehr den Sinn haben, daß die feſtgeſetzte Summe ein Aequivalent des Intereſſes ſein ſoll. Wenn nun die Leiſtung unterbleibt, ſo iſt dem Gläubiger der oft ſo ſehr ſchwierige Beweis des Inter- eſſes völlig erſpart, denn er fordert gar nicht das Intereſſe, ſon- dern ſtatt deſſen die verſprochene Summe. Der Zweck des Gläu- bigers beſteht alſo in Deckung ſeines Intereſſes (incertum), die juriſtiſche Form, in der er dies erreicht, iſt die des certum; die richterliche Beurtheilung braucht hier alſo den Boden der objek- tiven Aeſtimation gar nicht zu verlaſſen. Dieſen Weg ſchlug nun in Rom ſowohl der Verkehr als auch die Geſetzgebung ein. Was erſteren anbetrifft, ſo finden wir in ſpäterer Zeit dies Mittel einer vorherigen vertragsmäßigen Veranſchlagung des Intereſſes in ausgedehnteſter Weiſe benutzt, 119) ja ſelbſt im Prozeß wußte man daſſelbe mit Erfolg anzuwenden. 120) Um ſo eher läßt ſich nun dieſelbe Sitte für die ältere Zeit annehmen, und es leuchtet ein, daß der Verkehr vermöge dieſes Mittels im 119) Jede Seite der juſtinianeiſchen Pandekten gibt Beiſpiele dafür. Beim Verkauf werthvoller Sachen war die stipulatio duplae für den Fall der Eviction ſo allgemein, daß ſie, wenn unterlaſſen, fingirt ward. Auch für die objektive Aeſtimation von Sachen ſtellte ſich der Verkehr im voraus ſicher durch Vereinbarung über den demnächſt zu Grunde zu legenden Taxwerth der Sache z. B. bei der dos (ſ. g. aestimatio taxationis causa) und (wenn auch gewiß weniger häufig) bei der societas, dem commodatum, depositum u. ſ. w. L. 52 §. 3 pro socio (17. 2) L. 7. § 5, L. 52 de don. i. V. et U. (42. 1.) 120) z. B. bei der fructus licitatio der interdicta retinendae posses- sionis (Puchta Inſtit. Bd. 2 §. 169), bei den prätoriſchen Stipulationen, deren Faſſung auf beſtimmte Summen von den Juriſten ſehr anempfohlen ward. L. ult. de praet. stip. (46. 5): quoniam difficilis probatio est, quanti cujusque intersit. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/127
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/127>, abgerufen am 22.11.2024.