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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
Je mehr das Privatrecht sich dieser Beziehungen entledigte --
und das war im wesentlichen bereits mit dem Beginn dieser
Periode geschehen -- desto mehr nahm damit auch die Fähigkeit
der Frauenzimmer zu, und zur Blüthezeit des gegenwärtigen
Systems gab es außer der Arrogation (Anm. 108) und theil-
weise dem Testament 109) schwerlich ein Geschäft, das dieselben
unter Assistenz ihrer Tutoren nicht hätten vornehmen können.

Der Einfluß des Alters auf das Recht war verhältnißmä-
ßig unbedeutend, er erschöpfte sich in der tutela impuberum, einem
Institut, das nur höchst unvollkommen der natürlichen Schutz-
bedürftigkeit des Mündels Genüge leistete. Abgesehn von die-
sem Schutzmittel galten für den Pupillen ganz die allgemeinen

109) Der Fähigkeit der Frauenzimmer zu testiren stand bei dem test.
comit. cal.
die Form entgegen, mit dem testam. per aes et libr. fiel das
Hinderniß hinweg, denn der mancipatio waren sie fähig. Man behielt aber
den alten Rechtssatz bei, der jetzt also nur noch durch materielle Gründe ge-
tragen sein konnte, und diese wird man wohl nur in der Tendenz finden kön-
nen, das Vermögen der Familie zu erhalten. Durch Austritt aus der Fa-
milie, der das Frauenzimmer durch Geburt angehörte, wie sie bei der Ehe
mit manus erfolgte, hörte jene Rücksicht auf; umgekehrt konnte jetzt, wenn
die Frau durch Tod ihres Mannes sui juris geworden war, das Testament
dazu dienen, ihr Vermögen in ihre ursprüngliche Familie zurückzubringen,
während dasselbe nach Intestaterbrecht an die angeheiratheten Agnaten und
Gentilen gefallen wäre. Das Testament konnte hier also in der That der
Familie jenen Dienst erweisen, in dem wir B. 1 S. 191 das ursprüngliche
Motiv des römischen Testaments gesucht haben. So erklärt sich der Rechts-
satz, den Cic. Topica c. 4 und Gaj. I. §. 115 a uns berichten, daß nur ein
Frauenzimmer, das eine capitis deminutio erlitten (Cic.) oder eine coemptio
eingegangen (Gaj.) die test. fact. habe. Als die dem weiblichen Geschlecht
günstigere Stimmung einer spätern Zeit sich für die materielle Ausdehnung
der test. factio auf alle Frauenzimmer entschieden hatte, vermittelte man
dies formell nach bekannter römischer Weise dadurch, daß man die noch in
ihrem ursprünglichen Familienverbande lebenden Frauenzimmer eine Schein-
Coemption vornehmen und dadurch aus diesem Verbande heraustreten ließ.
Formell ließ sich jetzt das Testament als ein Mittel bezeichnen, wodurch die
der ursprünglichen Familie nachtheiligen Folgen der coemptio in deren In-
teresse wieder beseitigt werden konnten. Durch ein Senatusconsult unter Ha-
drian wurde dieser weitläuftige Umweg erlassen Gaj. loc. cit. --

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
Je mehr das Privatrecht ſich dieſer Beziehungen entledigte —
und das war im weſentlichen bereits mit dem Beginn dieſer
Periode geſchehen — deſto mehr nahm damit auch die Fähigkeit
der Frauenzimmer zu, und zur Blüthezeit des gegenwärtigen
Syſtems gab es außer der Arrogation (Anm. 108) und theil-
weiſe dem Teſtament 109) ſchwerlich ein Geſchäft, das dieſelben
unter Aſſiſtenz ihrer Tutoren nicht hätten vornehmen können.

Der Einfluß des Alters auf das Recht war verhältnißmä-
ßig unbedeutend, er erſchöpfte ſich in der tutela impuberum, einem
Inſtitut, das nur höchſt unvollkommen der natürlichen Schutz-
bedürftigkeit des Mündels Genüge leiſtete. Abgeſehn von die-
ſem Schutzmittel galten für den Pupillen ganz die allgemeinen

109) Der Fähigkeit der Frauenzimmer zu teſtiren ſtand bei dem test.
comit. cal.
die Form entgegen, mit dem testam. per aes et libr. fiel das
Hinderniß hinweg, denn der mancipatio waren ſie fähig. Man behielt aber
den alten Rechtsſatz bei, der jetzt alſo nur noch durch materielle Gründe ge-
tragen ſein konnte, und dieſe wird man wohl nur in der Tendenz finden kön-
nen, das Vermögen der Familie zu erhalten. Durch Austritt aus der Fa-
milie, der das Frauenzimmer durch Geburt angehörte, wie ſie bei der Ehe
mit manus erfolgte, hörte jene Rückſicht auf; umgekehrt konnte jetzt, wenn
die Frau durch Tod ihres Mannes sui juris geworden war, das Teſtament
dazu dienen, ihr Vermögen in ihre urſprüngliche Familie zurückzubringen,
während daſſelbe nach Inteſtaterbrecht an die angeheiratheten Agnaten und
Gentilen gefallen wäre. Das Teſtament konnte hier alſo in der That der
Familie jenen Dienſt erweiſen, in dem wir B. 1 S. 191 das urſprüngliche
Motiv des römiſchen Teſtaments geſucht haben. So erklärt ſich der Rechts-
ſatz, den Cic. Topica c. 4 und Gaj. I. §. 115 a uns berichten, daß nur ein
Frauenzimmer, das eine capitis deminutio erlitten (Cic.) oder eine coemptio
eingegangen (Gaj.) die test. fact. habe. Als die dem weiblichen Geſchlecht
günſtigere Stimmung einer ſpätern Zeit ſich für die materielle Ausdehnung
der test. factio auf alle Frauenzimmer entſchieden hatte, vermittelte man
dies formell nach bekannter römiſcher Weiſe dadurch, daß man die noch in
ihrem urſprünglichen Familienverbande lebenden Frauenzimmer eine Schein-
Coemption vornehmen und dadurch aus dieſem Verbande heraustreten ließ.
Formell ließ ſich jetzt das Teſtament als ein Mittel bezeichnen, wodurch die
der urſprünglichen Familie nachtheiligen Folgen der coemptio in deren In-
tereſſe wieder beſeitigt werden konnten. Durch ein Senatusconſult unter Ha-
drian wurde dieſer weitläuftige Umweg erlaſſen Gaj. loc. cit.
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[104/0118] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. Je mehr das Privatrecht ſich dieſer Beziehungen entledigte — und das war im weſentlichen bereits mit dem Beginn dieſer Periode geſchehen — deſto mehr nahm damit auch die Fähigkeit der Frauenzimmer zu, und zur Blüthezeit des gegenwärtigen Syſtems gab es außer der Arrogation (Anm. 108) und theil- weiſe dem Teſtament 109) ſchwerlich ein Geſchäft, das dieſelben unter Aſſiſtenz ihrer Tutoren nicht hätten vornehmen können. Der Einfluß des Alters auf das Recht war verhältnißmä- ßig unbedeutend, er erſchöpfte ſich in der tutela impuberum, einem Inſtitut, das nur höchſt unvollkommen der natürlichen Schutz- bedürftigkeit des Mündels Genüge leiſtete. Abgeſehn von die- ſem Schutzmittel galten für den Pupillen ganz die allgemeinen 109) Der Fähigkeit der Frauenzimmer zu teſtiren ſtand bei dem test. comit. cal. die Form entgegen, mit dem testam. per aes et libr. fiel das Hinderniß hinweg, denn der mancipatio waren ſie fähig. Man behielt aber den alten Rechtsſatz bei, der jetzt alſo nur noch durch materielle Gründe ge- tragen ſein konnte, und dieſe wird man wohl nur in der Tendenz finden kön- nen, das Vermögen der Familie zu erhalten. Durch Austritt aus der Fa- milie, der das Frauenzimmer durch Geburt angehörte, wie ſie bei der Ehe mit manus erfolgte, hörte jene Rückſicht auf; umgekehrt konnte jetzt, wenn die Frau durch Tod ihres Mannes sui juris geworden war, das Teſtament dazu dienen, ihr Vermögen in ihre urſprüngliche Familie zurückzubringen, während daſſelbe nach Inteſtaterbrecht an die angeheiratheten Agnaten und Gentilen gefallen wäre. Das Teſtament konnte hier alſo in der That der Familie jenen Dienſt erweiſen, in dem wir B. 1 S. 191 das urſprüngliche Motiv des römiſchen Teſtaments geſucht haben. So erklärt ſich der Rechts- ſatz, den Cic. Topica c. 4 und Gaj. I. §. 115 a uns berichten, daß nur ein Frauenzimmer, das eine capitis deminutio erlitten (Cic.) oder eine coemptio eingegangen (Gaj.) die test. fact. habe. Als die dem weiblichen Geſchlecht günſtigere Stimmung einer ſpätern Zeit ſich für die materielle Ausdehnung der test. factio auf alle Frauenzimmer entſchieden hatte, vermittelte man dies formell nach bekannter römiſcher Weiſe dadurch, daß man die noch in ihrem urſprünglichen Familienverbande lebenden Frauenzimmer eine Schein- Coemption vornehmen und dadurch aus dieſem Verbande heraustreten ließ. Formell ließ ſich jetzt das Teſtament als ein Mittel bezeichnen, wodurch die der urſprünglichen Familie nachtheiligen Folgen der coemptio in deren In- tereſſe wieder beſeitigt werden konnten. Durch ein Senatusconſult unter Ha- drian wurde dieſer weitläuftige Umweg erlaſſen Gaj. loc. cit. —

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/118>, abgerufen am 05.05.2024.