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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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II. Der Gleichheitstrieb. -- Die privatr. Versch. d. Personen. §. 29.
Emancipation stützte sich nicht sowohl auf die XII Tafeln selbst,
als auf eine den zufälligen Ausdruck 106) urgirende Interpreta-
tion derselben. Bei der Verheirathung der Kinder äußerte sich
insofern eine Verschiedenheit, als die Tochter eine dos erhielt,
der Sohn nicht, und das Recht der dos ist allerdings eins der
merkwürdigsten Institute des ältern Rechts. Dagegen bewährte
sich darin wieder die Gleichheit beider Geschlechter, daß der
Vater die Kinder ganz wie er wollte in der Gewalt zurückbe-
halten oder aus derselben entlassen konnte.

Einflußreicher war die Verschiedenheit des Geschlechts für ge-
waltfreie
Personen. Denn während das männliche Geschlecht
mit erreichter Mündigkeit von der Tutel befreit war, blieb letz-
tere für das weibliche Geschlecht lebenslänglich bestehn, wenn
gleich in anderem Umfang und mit anderer Gestaltung, als bei
den Unmündigen. Außer der tutela mulierum ist namentlich
die ausschließliche Befähigung des männlichen Geschlechts zur
Innehabung der potestas über Kinder, zu der Verwaltung der
Vormundschaft und der Functionirung als Solennitätszeuge
hervorzuheben. 107)

Für das öffentliche Recht versteht sich der Einfluß des Ge-
schlechts von selbst. Je inniger aber ursprünglich das Pri-
vatrecht mit dem öffentlichen verwachsen war, um so weiter
mußte sich folgeweise auch die privatrechtliche Unfähigkeit der
Weiber erstrecken, namentlich also hinsichtlich aller Geschäfte,
die früher vor der Volksversammlung vorgenommen wurden. 108)

106) "Filius"; Ulpian. X. 1 ... id enim lex XII tab. jubet his ver-
bis: si pater filium ter venunduit, filius a patre liber esto.
Weil
das Gesetz nur des filius Erwähnung thut, so begnügte man sich bei Töchtern
und Enkeln mit einem einmaligen Verkauf.
107) Hinsichtlich der vestalischen Jungfrauen galten besondere Rechts-
grundsätze, z. B. was den Austritt derselben aus der väterlichen Gewalt, die
testamenti factio (Gellius l. 12.), die Befreiung derselben von der Tutel
anbetrifft (Gaj. I. §. 145).
108) Gellius V. 19 ... neque mulier arrogari potest, quoniam et
cum feminis nulla comitiorum communio est.

II. Der Gleichheitstrieb. — Die privatr. Verſch. d. Perſonen. §. 29.
Emancipation ſtützte ſich nicht ſowohl auf die XII Tafeln ſelbſt,
als auf eine den zufälligen Ausdruck 106) urgirende Interpreta-
tion derſelben. Bei der Verheirathung der Kinder äußerte ſich
inſofern eine Verſchiedenheit, als die Tochter eine dos erhielt,
der Sohn nicht, und das Recht der dos iſt allerdings eins der
merkwürdigſten Inſtitute des ältern Rechts. Dagegen bewährte
ſich darin wieder die Gleichheit beider Geſchlechter, daß der
Vater die Kinder ganz wie er wollte in der Gewalt zurückbe-
halten oder aus derſelben entlaſſen konnte.

Einflußreicher war die Verſchiedenheit des Geſchlechts für ge-
waltfreie
Perſonen. Denn während das männliche Geſchlecht
mit erreichter Mündigkeit von der Tutel befreit war, blieb letz-
tere für das weibliche Geſchlecht lebenslänglich beſtehn, wenn
gleich in anderem Umfang und mit anderer Geſtaltung, als bei
den Unmündigen. Außer der tutela mulierum iſt namentlich
die ausſchließliche Befähigung des männlichen Geſchlechts zur
Innehabung der potestas über Kinder, zu der Verwaltung der
Vormundſchaft und der Functionirung als Solennitätszeuge
hervorzuheben. 107)

Für das öffentliche Recht verſteht ſich der Einfluß des Ge-
ſchlechts von ſelbſt. Je inniger aber urſprünglich das Pri-
vatrecht mit dem öffentlichen verwachſen war, um ſo weiter
mußte ſich folgeweiſe auch die privatrechtliche Unfähigkeit der
Weiber erſtrecken, namentlich alſo hinſichtlich aller Geſchäfte,
die früher vor der Volksverſammlung vorgenommen wurden. 108)

106) „Filius“; Ulpian. X. 1 … id enim lex XII tab. jubet his ver-
bis: si pater filium ter venunduit, filius a patre liber esto.
Weil
das Geſetz nur des filius Erwähnung thut, ſo begnügte man ſich bei Töchtern
und Enkeln mit einem einmaligen Verkauf.
107) Hinſichtlich der veſtaliſchen Jungfrauen galten beſondere Rechts-
grundſätze, z. B. was den Austritt derſelben aus der väterlichen Gewalt, die
testamenti factio (Gellius l. 12.), die Befreiung derſelben von der Tutel
anbetrifft (Gaj. I. §. 145).
108) Gellius V. 19 … neque mulier arrogari potest, quoniam et
cum feminis nulla comitiorum communio est.
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[103/0117] II. Der Gleichheitstrieb. — Die privatr. Verſch. d. Perſonen. §. 29. Emancipation ſtützte ſich nicht ſowohl auf die XII Tafeln ſelbſt, als auf eine den zufälligen Ausdruck 106) urgirende Interpreta- tion derſelben. Bei der Verheirathung der Kinder äußerte ſich inſofern eine Verſchiedenheit, als die Tochter eine dos erhielt, der Sohn nicht, und das Recht der dos iſt allerdings eins der merkwürdigſten Inſtitute des ältern Rechts. Dagegen bewährte ſich darin wieder die Gleichheit beider Geſchlechter, daß der Vater die Kinder ganz wie er wollte in der Gewalt zurückbe- halten oder aus derſelben entlaſſen konnte. Einflußreicher war die Verſchiedenheit des Geſchlechts für ge- waltfreie Perſonen. Denn während das männliche Geſchlecht mit erreichter Mündigkeit von der Tutel befreit war, blieb letz- tere für das weibliche Geſchlecht lebenslänglich beſtehn, wenn gleich in anderem Umfang und mit anderer Geſtaltung, als bei den Unmündigen. Außer der tutela mulierum iſt namentlich die ausſchließliche Befähigung des männlichen Geſchlechts zur Innehabung der potestas über Kinder, zu der Verwaltung der Vormundſchaft und der Functionirung als Solennitätszeuge hervorzuheben. 107) Für das öffentliche Recht verſteht ſich der Einfluß des Ge- ſchlechts von ſelbſt. Je inniger aber urſprünglich das Pri- vatrecht mit dem öffentlichen verwachſen war, um ſo weiter mußte ſich folgeweiſe auch die privatrechtliche Unfähigkeit der Weiber erſtrecken, namentlich alſo hinſichtlich aller Geſchäfte, die früher vor der Volksverſammlung vorgenommen wurden. 108) 106) „Filius“; Ulpian. X. 1 … id enim lex XII tab. jubet his ver- bis: si pater filium ter venunduit, filius a patre liber esto. Weil das Geſetz nur des filius Erwähnung thut, ſo begnügte man ſich bei Töchtern und Enkeln mit einem einmaligen Verkauf. 107) Hinſichtlich der veſtaliſchen Jungfrauen galten beſondere Rechts- grundſätze, z. B. was den Austritt derſelben aus der väterlichen Gewalt, die testamenti factio (Gellius l. 12.), die Befreiung derſelben von der Tutel anbetrifft (Gaj. I. §. 145). 108) Gellius V. 19 … neque mulier arrogari potest, quoniam et cum feminis nulla comitiorum communio est.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/117>, abgerufen am 06.05.2024.