Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht. tigung der persönlichen Kraft, sowohl der geistigen und sittlichenals der materiellen, gegenüber dem Recht der Geburt, die Su- periorität des freien Willens gegenüber einer durch die Natur bestimmten Nothwendigkeit, das lebendige Bedürfniß und Recht der Gegenwart gegenüber den ererbten Satzungen der Vergan- genheit. Der Punkt, auf dem dies plebejische Prinzip auf Ko- sten des Familienprinzips zuerst zum Durchbruch kömmt, ist die Wehrverfassung. Das militärische Interesse setzt sich vielleicht überall am leichtesten über das Prinzip der Geburt hinweg. Die Servianische Verfassung, deren vorherrschend militärische Bestimmung bereits (S. 244) erwähnt ward, zeigt uns Patri- cier und Plebejer zu einem Heer vereint, als Maßstab der Wehrpflicht und des Stimmrechts, soweit es den Centuriat- comitien zustand, das Vermögen. Das Vermögen aber ist nichts als die materielle Kraft des Einzelnen, und im hohen Grade dem Wechsel unterworfen, ist zu erwerben und zu ver- lieren, es bildet also den entschiedensten Gegensatz zum Fami- lienprinzip. Dasselbe praktisch als Maßstab politischer Pflichten und Rechte aufzustellen, wenn auch anfänglich in noch so be- schränkter Weise, hieß dem Geschlechterstaat die Art an die Wurzel legen. Es war dies aber nicht eine vereinzelte Erschei- nung, sondern es tritt in der Regierung der drei letzten Könige überhaupt die Tendenz hervor, sich von den Traditionen und dem Stabilitätsprinzip des Geschlechterstaats frei zu machen. Die Reaction gegen diese Richtung ging zwar aus ihrem Kampfe mit dem Königthum siegreich hervor, daß sie aber nach und nach dem Plebejerthum weichen mußte und schließlich völlig erlag, ist bekannt. Die Schilderung dieses Kampfes gehört nicht hier- her; daß er, anstatt die vorhandenen Kräfte zu schwächen, sie umgekehrt im höchsten Grade anspannte und entwickelte, ist be- reits oben (S. 166) erwähnt. 268) 268) Daß einzelne Ausflüsse des Familienprinzips im römischen
Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. tigung der perſönlichen Kraft, ſowohl der geiſtigen und ſittlichenals der materiellen, gegenüber dem Recht der Geburt, die Su- periorität des freien Willens gegenüber einer durch die Natur beſtimmten Nothwendigkeit, das lebendige Bedürfniß und Recht der Gegenwart gegenüber den ererbten Satzungen der Vergan- genheit. Der Punkt, auf dem dies plebejiſche Prinzip auf Ko- ſten des Familienprinzips zuerſt zum Durchbruch kömmt, iſt die Wehrverfaſſung. Das militäriſche Intereſſe ſetzt ſich vielleicht überall am leichteſten über das Prinzip der Geburt hinweg. Die Servianiſche Verfaſſung, deren vorherrſchend militäriſche Beſtimmung bereits (S. 244) erwähnt ward, zeigt uns Patri- cier und Plebejer zu einem Heer vereint, als Maßſtab der Wehrpflicht und des Stimmrechts, ſoweit es den Centuriat- comitien zuſtand, das Vermögen. Das Vermögen aber iſt nichts als die materielle Kraft des Einzelnen, und im hohen Grade dem Wechſel unterworfen, iſt zu erwerben und zu ver- lieren, es bildet alſo den entſchiedenſten Gegenſatz zum Fami- lienprinzip. Daſſelbe praktiſch als Maßſtab politiſcher Pflichten und Rechte aufzuſtellen, wenn auch anfänglich in noch ſo be- ſchränkter Weiſe, hieß dem Geſchlechterſtaat die Art an die Wurzel legen. Es war dies aber nicht eine vereinzelte Erſchei- nung, ſondern es tritt in der Regierung der drei letzten Könige überhaupt die Tendenz hervor, ſich von den Traditionen und dem Stabilitätsprinzip des Geſchlechterſtaats frei zu machen. Die Reaction gegen dieſe Richtung ging zwar aus ihrem Kampfe mit dem Königthum ſiegreich hervor, daß ſie aber nach und nach dem Plebejerthum weichen mußte und ſchließlich völlig erlag, iſt bekannt. Die Schilderung dieſes Kampfes gehört nicht hier- her; daß er, anſtatt die vorhandenen Kräfte zu ſchwächen, ſie umgekehrt im höchſten Grade anſpannte und entwickelte, iſt be- reits oben (S. 166) erwähnt. 268) 268) Daß einzelne Ausflüſſe des Familienprinzips im römiſchen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0352" n="334"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.</fw><lb/> tigung der perſönlichen Kraft, ſowohl der geiſtigen und ſittlichen<lb/> als der materiellen, gegenüber dem Recht der Geburt, die Su-<lb/> periorität des freien Willens gegenüber einer durch die Natur<lb/> beſtimmten Nothwendigkeit, das lebendige Bedürfniß und Recht<lb/> der Gegenwart gegenüber den ererbten Satzungen der Vergan-<lb/> genheit. Der Punkt, auf dem dies plebejiſche Prinzip auf Ko-<lb/> ſten des Familienprinzips zuerſt zum Durchbruch kömmt, iſt die<lb/> Wehrverfaſſung. Das militäriſche Intereſſe ſetzt ſich vielleicht<lb/> überall am leichteſten über das Prinzip der Geburt hinweg.<lb/> Die Servianiſche Verfaſſung, deren vorherrſchend militäriſche<lb/> Beſtimmung bereits (S. 244) erwähnt ward, zeigt uns Patri-<lb/> cier und Plebejer zu <hi rendition="#g">einem</hi> Heer vereint, als Maßſtab der<lb/> Wehrpflicht und des Stimmrechts, ſoweit es den Centuriat-<lb/> comitien zuſtand, das <hi rendition="#g">Vermögen</hi>. Das Vermögen aber iſt<lb/> nichts als die materielle Kraft des <hi rendition="#g">Einzelnen</hi>, und im hohen<lb/> Grade dem <hi rendition="#g">Wechſel</hi> unterworfen, iſt zu erwerben und zu ver-<lb/> lieren, es bildet alſo den entſchiedenſten Gegenſatz zum Fami-<lb/> lienprinzip. Daſſelbe praktiſch als Maßſtab politiſcher Pflichten<lb/> und Rechte aufzuſtellen, wenn auch anfänglich in noch ſo be-<lb/> ſchränkter Weiſe, hieß dem Geſchlechterſtaat die Art an die<lb/> Wurzel legen. Es war dies aber nicht eine vereinzelte Erſchei-<lb/> nung, ſondern es tritt in der Regierung der drei letzten Könige<lb/> überhaupt die Tendenz hervor, ſich von den Traditionen und<lb/> dem Stabilitätsprinzip des Geſchlechterſtaats frei zu machen.<lb/> Die Reaction gegen dieſe Richtung ging zwar aus ihrem Kampfe<lb/> mit dem Königthum ſiegreich hervor, daß ſie aber nach und nach<lb/> dem Plebejerthum weichen mußte und ſchließlich völlig erlag,<lb/> iſt bekannt. Die Schilderung dieſes Kampfes gehört nicht hier-<lb/> her; daß er, anſtatt die vorhandenen Kräfte zu ſchwächen, ſie<lb/> umgekehrt im höchſten Grade anſpannte und entwickelte, iſt be-<lb/> reits oben (S. 166) erwähnt. <note xml:id="seg2pn_28_1" next="#seg2pn_28_2" place="foot" n="268)">Daß einzelne Ausflüſſe des Familienprinzips im <hi rendition="#g">römiſchen</hi></note></p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [334/0352]
Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
tigung der perſönlichen Kraft, ſowohl der geiſtigen und ſittlichen
als der materiellen, gegenüber dem Recht der Geburt, die Su-
periorität des freien Willens gegenüber einer durch die Natur
beſtimmten Nothwendigkeit, das lebendige Bedürfniß und Recht
der Gegenwart gegenüber den ererbten Satzungen der Vergan-
genheit. Der Punkt, auf dem dies plebejiſche Prinzip auf Ko-
ſten des Familienprinzips zuerſt zum Durchbruch kömmt, iſt die
Wehrverfaſſung. Das militäriſche Intereſſe ſetzt ſich vielleicht
überall am leichteſten über das Prinzip der Geburt hinweg.
Die Servianiſche Verfaſſung, deren vorherrſchend militäriſche
Beſtimmung bereits (S. 244) erwähnt ward, zeigt uns Patri-
cier und Plebejer zu einem Heer vereint, als Maßſtab der
Wehrpflicht und des Stimmrechts, ſoweit es den Centuriat-
comitien zuſtand, das Vermögen. Das Vermögen aber iſt
nichts als die materielle Kraft des Einzelnen, und im hohen
Grade dem Wechſel unterworfen, iſt zu erwerben und zu ver-
lieren, es bildet alſo den entſchiedenſten Gegenſatz zum Fami-
lienprinzip. Daſſelbe praktiſch als Maßſtab politiſcher Pflichten
und Rechte aufzuſtellen, wenn auch anfänglich in noch ſo be-
ſchränkter Weiſe, hieß dem Geſchlechterſtaat die Art an die
Wurzel legen. Es war dies aber nicht eine vereinzelte Erſchei-
nung, ſondern es tritt in der Regierung der drei letzten Könige
überhaupt die Tendenz hervor, ſich von den Traditionen und
dem Stabilitätsprinzip des Geſchlechterſtaats frei zu machen.
Die Reaction gegen dieſe Richtung ging zwar aus ihrem Kampfe
mit dem Königthum ſiegreich hervor, daß ſie aber nach und nach
dem Plebejerthum weichen mußte und ſchließlich völlig erlag,
iſt bekannt. Die Schilderung dieſes Kampfes gehört nicht hier-
her; daß er, anſtatt die vorhandenen Kräfte zu ſchwächen, ſie
umgekehrt im höchſten Grade anſpannte und entwickelte, iſt be-
reits oben (S. 166) erwähnt. 268)
268) Daß einzelne Ausflüſſe des Familienprinzips im römiſchen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |