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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.

Das militärische Prinzip, dem wir uns jetzt zuwenden, hatte
dem Königthum das Leben gegeben, aber das Königthum hielt
sich nicht innerhalb der Schranken, die jenes Prinzip ihm an-
wies (S. 249--252). Die fortgesetzte Ueberhebung desselben,
die endliche Ausartung desselben in Willkühr führte seinen Sturz
herbei, ohne daß aber damit auch das imperium selbst aufgeho-
ben worden wäre. Bekannt ist aber, daß dem imperium für
den Umfang der Stadt Rom die schärfste Spitze -- das Recht
über Leben und Tod -- abgebrochen ward, so wie daß es im
Fall der Ernennung eines Diktators vorübergehend seine alte
Vollgewalt wieder erhielt. Der politische Instinkt der Römer
fühlte es heraus, daß die königliche Gewalt nicht absolut ver-
werflich gewesen, daß der Mißbrauch, den sie sich hatte zu
Schulden kommen lassen, vorzugsweise in der lebenslänglichen
Dauer seinen Grund gehabt hätte, daß aber eine rasch vorüber-
gehende Wiederherstellung derselben, bei der die Gefahr eines
Mißbrauchs ungleich weniger zu befürchten war, 269) für Zeiten
eines politischen Fiebertaumels das einzige genügende Heilmit-
tel sein könne. So bewahrte sich die römische Verfassung neben
der Ausbreitung der politischen Gewalt über Volk, Senat und
Beamte auch die Möglichkeit einer äußersten Concentrirung der-
selben in den Händen eines Einzelnen, neben der Wucht schwer-
fälliger republikanischer Institutionen die Schnellkraft einer ab-
soluten Monarchie. Im Felde blieb das imperium immer in
ungeschwächter Kraft 270) bestehen, und wenn in der Königszeit

Staat und Recht d. h. als ganz allgemeine Einrichtungen fortdauerten,
ist bereits früher erwähnt z. B. die Censur (S. 177), die cura prodigi
(S. 179), die actio popularis (S. 171).
269) Die Diktatur durfte bekanntlich nur 6 Monate dauern.
270) Interessante Belege dazu finden sich im Titel der Pandekten de
re militari
(49. 16) und de captivis (49. 15); aus letzteren kann ich
mir nicht versagen das Bruchstück einer Stelle vom Juristen Paulus mit-
zutheilen, L. 19 §. 7: Filius quoque familias transfuga non potest
2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.

Das militäriſche Prinzip, dem wir uns jetzt zuwenden, hatte
dem Königthum das Leben gegeben, aber das Königthum hielt
ſich nicht innerhalb der Schranken, die jenes Prinzip ihm an-
wies (S. 249—252). Die fortgeſetzte Ueberhebung deſſelben,
die endliche Ausartung deſſelben in Willkühr führte ſeinen Sturz
herbei, ohne daß aber damit auch das imperium ſelbſt aufgeho-
ben worden wäre. Bekannt iſt aber, daß dem imperium für
den Umfang der Stadt Rom die ſchärfſte Spitze — das Recht
über Leben und Tod — abgebrochen ward, ſo wie daß es im
Fall der Ernennung eines Diktators vorübergehend ſeine alte
Vollgewalt wieder erhielt. Der politiſche Inſtinkt der Römer
fühlte es heraus, daß die königliche Gewalt nicht abſolut ver-
werflich geweſen, daß der Mißbrauch, den ſie ſich hatte zu
Schulden kommen laſſen, vorzugsweiſe in der lebenslänglichen
Dauer ſeinen Grund gehabt hätte, daß aber eine raſch vorüber-
gehende Wiederherſtellung derſelben, bei der die Gefahr eines
Mißbrauchs ungleich weniger zu befürchten war, 269) für Zeiten
eines politiſchen Fiebertaumels das einzige genügende Heilmit-
tel ſein könne. So bewahrte ſich die römiſche Verfaſſung neben
der Ausbreitung der politiſchen Gewalt über Volk, Senat und
Beamte auch die Möglichkeit einer äußerſten Concentrirung der-
ſelben in den Händen eines Einzelnen, neben der Wucht ſchwer-
fälliger republikaniſcher Inſtitutionen die Schnellkraft einer ab-
ſoluten Monarchie. Im Felde blieb das imperium immer in
ungeſchwächter Kraft 270) beſtehen, und wenn in der Königszeit

Staat und Recht d. h. als ganz allgemeine Einrichtungen fortdauerten,
iſt bereits früher erwähnt z. B. die Cenſur (S. 177), die cura prodigi
(S. 179), die actio popularis (S. 171).
269) Die Diktatur durfte bekanntlich nur 6 Monate dauern.
270) Intereſſante Belege dazu finden ſich im Titel der Pandekten de
re militari
(49. 16) und de captivis (49. 15); aus letzteren kann ich
mir nicht verſagen das Bruchſtück einer Stelle vom Juriſten Paulus mit-
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[335/0353] 2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. Das militäriſche Prinzip, dem wir uns jetzt zuwenden, hatte dem Königthum das Leben gegeben, aber das Königthum hielt ſich nicht innerhalb der Schranken, die jenes Prinzip ihm an- wies (S. 249—252). Die fortgeſetzte Ueberhebung deſſelben, die endliche Ausartung deſſelben in Willkühr führte ſeinen Sturz herbei, ohne daß aber damit auch das imperium ſelbſt aufgeho- ben worden wäre. Bekannt iſt aber, daß dem imperium für den Umfang der Stadt Rom die ſchärfſte Spitze — das Recht über Leben und Tod — abgebrochen ward, ſo wie daß es im Fall der Ernennung eines Diktators vorübergehend ſeine alte Vollgewalt wieder erhielt. Der politiſche Inſtinkt der Römer fühlte es heraus, daß die königliche Gewalt nicht abſolut ver- werflich geweſen, daß der Mißbrauch, den ſie ſich hatte zu Schulden kommen laſſen, vorzugsweiſe in der lebenslänglichen Dauer ſeinen Grund gehabt hätte, daß aber eine raſch vorüber- gehende Wiederherſtellung derſelben, bei der die Gefahr eines Mißbrauchs ungleich weniger zu befürchten war, 269) für Zeiten eines politiſchen Fiebertaumels das einzige genügende Heilmit- tel ſein könne. So bewahrte ſich die römiſche Verfaſſung neben der Ausbreitung der politiſchen Gewalt über Volk, Senat und Beamte auch die Möglichkeit einer äußerſten Concentrirung der- ſelben in den Händen eines Einzelnen, neben der Wucht ſchwer- fälliger republikaniſcher Inſtitutionen die Schnellkraft einer ab- ſoluten Monarchie. Im Felde blieb das imperium immer in ungeſchwächter Kraft 270) beſtehen, und wenn in der Königszeit 268) 269) Die Diktatur durfte bekanntlich nur 6 Monate dauern. 270) Intereſſante Belege dazu finden ſich im Titel der Pandekten de re militari (49. 16) und de captivis (49. 15); aus letzteren kann ich mir nicht verſagen das Bruchſtück einer Stelle vom Juriſten Paulus mit- zutheilen, L. 19 §. 7: Filius quoque familias transfuga non potest 268) Staat und Recht d. h. als ganz allgemeine Einrichtungen fortdauerten, iſt bereits früher erwähnt z. B. die Cenſur (S. 177), die cura prodigi (S. 179), die actio popularis (S. 171).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/353>, abgerufen am 19.05.2024.