Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. Wir wollen jetzt die Richtigkeit dieser Auffassung an den Mangel ächter Religiösität und an deren Stelle ein Aberglaube, der trotzdem daß er in der Regel nur das sieht, was ihm lieb ist, dennoch eine große Macht über das Volk ausübt! Man begehrte Zeichen, aber sie sollten und mußten günstige sein -- im ersten punischen Krieg ließ P. Claudius die Hüh- ner, die das gewünschte Zeichen verweigerten, ins Meer werfen -- sie waren natürlich in der Regel ganz nach Wunsch, und trotzdem hob es den Muth des Heeres, wenn es hieß, daß die Zeichen sehr günstig ausgefallen! 242) Manche gute Bemerkungen finden sich bei Beaufort la republ. Rom. lib. I c. V. 243) S. über die Stellung der Augurn namentlich die lehrreiche Aus- führung von Rubino a. a. O. S. 44--62. und über die der Fetialen eben- daselbst S. 170 u. flg. Ueber die Bewahrer der sibyllinischen Bücher s. Hartung röm. Relig. B. 1. S. 135. Jhering, Geist d. röm. Rechts. 21
2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21. Wir wollen jetzt die Richtigkeit dieſer Auffaſſung an den Mangel ächter Religiöſität und an deren Stelle ein Aberglaube, der trotzdem daß er in der Regel nur das ſieht, was ihm lieb iſt, dennoch eine große Macht über das Volk ausübt! Man begehrte Zeichen, aber ſie ſollten und mußten günſtige ſein — im erſten puniſchen Krieg ließ P. Claudius die Hüh- ner, die das gewünſchte Zeichen verweigerten, ins Meer werfen — ſie waren natürlich in der Regel ganz nach Wunſch, und trotzdem hob es den Muth des Heeres, wenn es hieß, daß die Zeichen ſehr günſtig ausgefallen! 242) Manche gute Bemerkungen finden ſich bei Beaufort la republ. Rom. lib. I c. V. 243) S. über die Stellung der Augurn namentlich die lehrreiche Aus- führung von Rubino a. a. O. S. 44—62. und über die der Fetialen eben- daſelbſt S. 170 u. flg. Ueber die Bewahrer der ſibylliniſchen Bücher ſ. Hartung röm. Relig. B. 1. S. 135. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 21
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2. Verhältniß zu den gegebenen Ausgangspunkten. §. 21.
Wir wollen jetzt die Richtigkeit dieſer Auffaſſung an den
hauptſächlichſten hierher gehörigen religiös-politiſchen Einrich-
tungen, Grundſätzen u. ſ. w. nachzuweiſen verſuchen. 242) Wer-
fen wir zuerſt einen Blick auf die mit der Handhabung oder Ue-
berwachung derſelben betrauten Perſonen. Es gehören hierhin
die Pontifices, die Augurn, die Fetialen und die Bewahrer der
ſibylliniſchen Bücher. Alle dieſe Perſonen hatten einen großen
Einfluß, aber derſelbe war bedingt durch eine von
der Staatsbehörde an ſie gerichtete Aufforde-
rung in Function zu treten. Sie antworteten nur, wenn
und wie ſie gefragt wurden, ihnen ſelbſt fehlte die Initiative.
Der Beamte konnte, wenn er wollte, die Auſpicien allein vor-
nehmen, oder einen Zeichendeuter zuziehn, der nicht zum Colle-
gium der Augurn gehörte; eine ohne ſeine Aufforderung von
einem Augur vorgenommene Beobachtung band ihn nicht. 243)
Das Collegium konnte wegen eines Fehlers bei Anſtellung der
Auſpicien den vorgenommenen Akt z. B. die Wahl eines Be-
amten in den Comitien, für nichtig erklären, aber meines Wiſ-
ſens nur, wenn es befragt war. Die Fetialen entſchieden völ-
kerrechtliche Streitfragen, aber gleichfalls nur, wenn ſie aufge-
fordert waren. Die Pontifices waren die Wächter des geiſtli-
chen Rechts, höchſt geachtet und einflußreich, aber bei einem
241)
242) Manche gute Bemerkungen finden ſich bei Beaufort la republ.
Rom. lib. I c. V.
243) S. über die Stellung der Augurn namentlich die lehrreiche Aus-
führung von Rubino a. a. O. S. 44—62. und über die der Fetialen eben-
daſelbſt S. 170 u. flg. Ueber die Bewahrer der ſibylliniſchen Bücher ſ.
Hartung röm. Relig. B. 1. S. 135.
241) Mangel ächter Religiöſität und an deren Stelle ein Aberglaube, der trotzdem
daß er in der Regel nur das ſieht, was ihm lieb iſt, dennoch eine große
Macht über das Volk ausübt! Man begehrte Zeichen, aber ſie ſollten und
mußten günſtige ſein — im erſten puniſchen Krieg ließ P. Claudius die Hüh-
ner, die das gewünſchte Zeichen verweigerten, ins Meer werfen — ſie waren
natürlich in der Regel ganz nach Wunſch, und trotzdem hob es den Muth des
Heeres, wenn es hieß, daß die Zeichen ſehr günſtig ausgefallen!
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