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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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3. Das religiöse Prinzip -- geistliches Gericht. Eid. §. 18.
zeig, den uns die Etymologie in den Wörtern jurare und jura-
mentum
gewährt. Woher kommen beide zu der Bedeutung des
Schwörens? Sie stammen von jus, Band, Recht, würden also
wörtlich übersetzt bedeuten: ein Band, einen Bund, ein Recht
begründen, beziehungsweise: ein Bindemittel, ein Mittel des
Rechts. Wenn sie aber durch den Sprachgebrauch die aus-
schließliche Bedeutung des Schwörens und eines Eides erhalten
haben, so darf man daraus, glaube ich, entnehmen, daß sich
verbinden, ein Recht begründen und schwören lange Zeit hin-
durch für gleichbedeutend gegolten haben muß. Die Wirkung,
das Sich verpflichten, trat dann später zurück gegen die Ursache,
das Schwören, und so erhält jurare seine neuere Bedeutung.

Die eidliche Bekräftigung eines Versprechens mochte na-
mentlich da üblich sein, wo dasselbe juristisch unwirksam gewe-
sen sein würde. 185) Wenn der Eid nicht erfüllt wurde, wenn
Zweifel und Streitigkeiten hinsichtlich desselben sich erhoben, so
lag es am nächsten, die Pontifices anzugehn. 186) Ob sie wie
die geistlichen Gerichte des Mittelalters berechtigt waren, den,
der den Eid abgeleistet hatte, wir wollen ihn den Beklagten
nennen, zur Verantwortung zu ziehen, bleibe dahin gestellt.
Aber wenn beide Partheien sich einig waren, erfolgte Unter-
suchung und Urtheil, und zwar, wie ich glaube, in der Weise,
daß jede von ihnen für den Fall des Unterliegens ein Succum-
benzgeld (sacramentum) deponirte, welches demnächst an ei-
nen Tempel fiel. Dies Succumbenzgeld enthält je nach dem
Ausgang des Prozesses die Strafe für den gebrochenen Eid oder
die fälschliche Beschuldigung der Eidbrüchigkeit. Der Ruf der
Rechtskenntniß, in dem die Pontifices standen, der Vorzug der
Ständigkeit der Behörde, einer constanten Praxis und Tradi-

185) Z. B. die Verträge zwischen Patron und Clienten; daher vielleicht
noch im neuern Recht die jurata operarum promissio des Freigelassenen. --
Ferner Versprechen, denen keine res zu Grunde lag. (S. zweites System.)
186) Dionys. II, 73: Pontiphikes gar dikazousin tas ieras dikas
apasas idiotais te kai arkhousi kai leitourgois theon.

3. Das religiöſe Prinzip — geiſtliches Gericht. Eid. §. 18.
zeig, den uns die Etymologie in den Wörtern jurare und jura-
mentum
gewährt. Woher kommen beide zu der Bedeutung des
Schwörens? Sie ſtammen von jus, Band, Recht, würden alſo
wörtlich überſetzt bedeuten: ein Band, einen Bund, ein Recht
begründen, beziehungsweiſe: ein Bindemittel, ein Mittel des
Rechts. Wenn ſie aber durch den Sprachgebrauch die aus-
ſchließliche Bedeutung des Schwörens und eines Eides erhalten
haben, ſo darf man daraus, glaube ich, entnehmen, daß ſich
verbinden, ein Recht begründen und ſchwören lange Zeit hin-
durch für gleichbedeutend gegolten haben muß. Die Wirkung,
das Sich verpflichten, trat dann ſpäter zurück gegen die Urſache,
das Schwören, und ſo erhält jurare ſeine neuere Bedeutung.

Die eidliche Bekräftigung eines Verſprechens mochte na-
mentlich da üblich ſein, wo daſſelbe juriſtiſch unwirkſam gewe-
ſen ſein würde. 185) Wenn der Eid nicht erfüllt wurde, wenn
Zweifel und Streitigkeiten hinſichtlich deſſelben ſich erhoben, ſo
lag es am nächſten, die Pontifices anzugehn. 186) Ob ſie wie
die geiſtlichen Gerichte des Mittelalters berechtigt waren, den,
der den Eid abgeleiſtet hatte, wir wollen ihn den Beklagten
nennen, zur Verantwortung zu ziehen, bleibe dahin geſtellt.
Aber wenn beide Partheien ſich einig waren, erfolgte Unter-
ſuchung und Urtheil, und zwar, wie ich glaube, in der Weiſe,
daß jede von ihnen für den Fall des Unterliegens ein Succum-
benzgeld (sacramentum) deponirte, welches demnächſt an ei-
nen Tempel fiel. Dies Succumbenzgeld enthält je nach dem
Ausgang des Prozeſſes die Strafe für den gebrochenen Eid oder
die fälſchliche Beſchuldigung der Eidbrüchigkeit. Der Ruf der
Rechtskenntniß, in dem die Pontifices ſtanden, der Vorzug der
Ständigkeit der Behörde, einer conſtanten Praxis und Tradi-

185) Z. B. die Verträge zwiſchen Patron und Clienten; daher vielleicht
noch im neuern Recht die jurata operarum promissio des Freigelaſſenen. —
Ferner Verſprechen, denen keine res zu Grunde lag. (S. zweites Syſtem.)
186) Dionys. II, 73: Ποντὶφικες γὰϱ δικάζουσιν τὰς ἱεϱὰς δίκας
ἁπάσας ἰδιώταις τε καὶ ἄϱχουσι καὶ λειτουϱγοῖς ϑεῶν.
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[265/0283] 3. Das religiöſe Prinzip — geiſtliches Gericht. Eid. §. 18. zeig, den uns die Etymologie in den Wörtern jurare und jura- mentum gewährt. Woher kommen beide zu der Bedeutung des Schwörens? Sie ſtammen von jus, Band, Recht, würden alſo wörtlich überſetzt bedeuten: ein Band, einen Bund, ein Recht begründen, beziehungsweiſe: ein Bindemittel, ein Mittel des Rechts. Wenn ſie aber durch den Sprachgebrauch die aus- ſchließliche Bedeutung des Schwörens und eines Eides erhalten haben, ſo darf man daraus, glaube ich, entnehmen, daß ſich verbinden, ein Recht begründen und ſchwören lange Zeit hin- durch für gleichbedeutend gegolten haben muß. Die Wirkung, das Sich verpflichten, trat dann ſpäter zurück gegen die Urſache, das Schwören, und ſo erhält jurare ſeine neuere Bedeutung. Die eidliche Bekräftigung eines Verſprechens mochte na- mentlich da üblich ſein, wo daſſelbe juriſtiſch unwirkſam gewe- ſen ſein würde. 185) Wenn der Eid nicht erfüllt wurde, wenn Zweifel und Streitigkeiten hinſichtlich deſſelben ſich erhoben, ſo lag es am nächſten, die Pontifices anzugehn. 186) Ob ſie wie die geiſtlichen Gerichte des Mittelalters berechtigt waren, den, der den Eid abgeleiſtet hatte, wir wollen ihn den Beklagten nennen, zur Verantwortung zu ziehen, bleibe dahin geſtellt. Aber wenn beide Partheien ſich einig waren, erfolgte Unter- ſuchung und Urtheil, und zwar, wie ich glaube, in der Weiſe, daß jede von ihnen für den Fall des Unterliegens ein Succum- benzgeld (sacramentum) deponirte, welches demnächſt an ei- nen Tempel fiel. Dies Succumbenzgeld enthält je nach dem Ausgang des Prozeſſes die Strafe für den gebrochenen Eid oder die fälſchliche Beſchuldigung der Eidbrüchigkeit. Der Ruf der Rechtskenntniß, in dem die Pontifices ſtanden, der Vorzug der Ständigkeit der Behörde, einer conſtanten Praxis und Tradi- 185) Z. B. die Verträge zwiſchen Patron und Clienten; daher vielleicht noch im neuern Recht die jurata operarum promissio des Freigelaſſenen. — Ferner Verſprechen, denen keine res zu Grunde lag. (S. zweites Syſtem.) 186) Dionys. II, 73: Ποντὶφικες γὰϱ δικάζουσιν τὰς ἱεϱὰς δίκας ἁπάσας ἰδιώταις τε καὶ ἄϱχουσι καὶ λειτουϱγοῖς ϑεῶν.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/283>, abgerufen am 10.06.2024.