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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
tion, den dieses Gericht vor dem weltlichen Richter voraus
hatte, konnte auch im Fall eines gewöhnlichen Rechtsstreites,
bei dem es sich nicht um einen Eid handelte, es den Partheien
wünschenswerth machen, denselben vor das geistliche Gericht
zur Entscheidung zu bringen. Die Kompetenz desselben, wenn
man überhaupt hierbei von einer Kompetenz sprechen will, ließ
sich jeden Augenblick durch Ableistung eines auf den Rechtsstreit
bezüglichen Eides begründen, vielleicht ward auch der Eid durch
Fiction ersetzt, so daß es lediglich auf Deposition des sacra-
mentum
ankam. 187) Dies ist die legis actio sacramento in ih-
rer ursprünglichen Gestalt. Je seltener der Eid ward, um so
eher konnte man sich daran gewöhnen, unter der actio sacra-
mento,
die ursprünglich Eides-Klage bedeutete -- denn sacra-
mentum
188) heißt sonst der Eid -- eine Klage mit Succum-
benzstrafe, und unter sacramentum selbst das Succumbenzgeld
zu verstehen. Der Uebertragung einer solchen der religiösen Be-
ziehungen entkleideten Prozeßform auf die weltlichen Gerichte
stand nichts im Wege, und so erfolgte dieselbe, in ähnlicher

187) Die Deposition erfolgte, wie Varro de L. L. V. 180 uns berich-
tet, bei der pons ... ad pontem deponebant ... qui judicio vicerat, suum
sacramentum e sacro auferebat.
Die pons war die pons sublicius, von
der Varro den Namen der pontifices ableitete (ib. V. 15), und an der letztere
zu opfern hatten. Ruperti Handb. der röm. Alterth. Thl. 2 Abth. 2 S. 565.
Die Deposition erfolgte also bei den Pontifices.
188) Später vorzugsweise beim Soldateneid in Gebrauch geblieben.
Daß sacrare, sacramentum u. s. w. auch abgesehn von diesem Fall eine
besondere Beziehung zum Eide hat, dafür berufe ich mich auf folgende Stel-
len des Festus: sub voc: Sacramento dicitur quod [jurisjurandi sa-
crati]one interposita actum est; [unde quis sacramen] to dicitur inter-
rogari, quia [jusjurandum interponitur] etc., sub voc: Sacrosanctum
dicitur, quod jurejurando interposito est institutum etc.
Uebrigens
brauche ich wohl kaum zu bemerken, daß für die im Text vorgetragene An-
sicht die Bedeutung des Wortes sacramentum nur ein einzelnes Argument
bildet, die eigentliche Beweiskraft aber in dem Gesammtzusammenhang des
Ganzen ruht, und ich darf hinzusetzen, daß ich selbst auf jenes Argument erst
aufmerksam geworden bin, nachdem jener Gesammtzusammenhang mir die
vertheidigte Ansicht aufgedrungen hatte.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
tion, den dieſes Gericht vor dem weltlichen Richter voraus
hatte, konnte auch im Fall eines gewöhnlichen Rechtsſtreites,
bei dem es ſich nicht um einen Eid handelte, es den Partheien
wünſchenswerth machen, denſelben vor das geiſtliche Gericht
zur Entſcheidung zu bringen. Die Kompetenz deſſelben, wenn
man überhaupt hierbei von einer Kompetenz ſprechen will, ließ
ſich jeden Augenblick durch Ableiſtung eines auf den Rechtsſtreit
bezüglichen Eides begründen, vielleicht ward auch der Eid durch
Fiction erſetzt, ſo daß es lediglich auf Depoſition des sacra-
mentum
ankam. 187) Dies iſt die legis actio sacramento in ih-
rer urſprünglichen Geſtalt. Je ſeltener der Eid ward, um ſo
eher konnte man ſich daran gewöhnen, unter der actio sacra-
mento,
die urſprünglich Eides-Klage bedeutete — denn sacra-
mentum
188) heißt ſonſt der Eid — eine Klage mit Succum-
benzſtrafe, und unter sacramentum ſelbſt das Succumbenzgeld
zu verſtehen. Der Uebertragung einer ſolchen der religiöſen Be-
ziehungen entkleideten Prozeßform auf die weltlichen Gerichte
ſtand nichts im Wege, und ſo erfolgte dieſelbe, in ähnlicher

187) Die Depoſition erfolgte, wie Varro de L. L. V. 180 uns berich-
tet, bei der pons … ad pontem deponebant … qui judicio vicerat, suum
sacramentum e sacro auferebat.
Die pons war die pons sublicius, von
der Varro den Namen der pontifices ableitete (ib. V. 15), und an der letztere
zu opfern hatten. Ruperti Handb. der röm. Alterth. Thl. 2 Abth. 2 S. 565.
Die Depoſition erfolgte alſo bei den Pontifices.
188) Später vorzugsweiſe beim Soldateneid in Gebrauch geblieben.
Daß sacrare, sacramentum u. ſ. w. auch abgeſehn von dieſem Fall eine
beſondere Beziehung zum Eide hat, dafür berufe ich mich auf folgende Stel-
len des Feſtus: sub voc: Sacramento dicitur quod [jurisjurandi sa-
crati]one interposita actum est; [unde quis sacramen] to dicitur inter-
rogari, quia [jusjurandum interponitur] etc., sub voc: Sacrosanctum
dicitur, quod jurejurando interposito est institutum etc.
Uebrigens
brauche ich wohl kaum zu bemerken, daß für die im Text vorgetragene An-
ſicht die Bedeutung des Wortes sacramentum nur ein einzelnes Argument
bildet, die eigentliche Beweiskraft aber in dem Geſammtzuſammenhang des
Ganzen ruht, und ich darf hinzuſetzen, daß ich ſelbſt auf jenes Argument erſt
aufmerkſam geworden bin, nachdem jener Geſammtzuſammenhang mir die
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[266/0284] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. tion, den dieſes Gericht vor dem weltlichen Richter voraus hatte, konnte auch im Fall eines gewöhnlichen Rechtsſtreites, bei dem es ſich nicht um einen Eid handelte, es den Partheien wünſchenswerth machen, denſelben vor das geiſtliche Gericht zur Entſcheidung zu bringen. Die Kompetenz deſſelben, wenn man überhaupt hierbei von einer Kompetenz ſprechen will, ließ ſich jeden Augenblick durch Ableiſtung eines auf den Rechtsſtreit bezüglichen Eides begründen, vielleicht ward auch der Eid durch Fiction erſetzt, ſo daß es lediglich auf Depoſition des sacra- mentum ankam. 187) Dies iſt die legis actio sacramento in ih- rer urſprünglichen Geſtalt. Je ſeltener der Eid ward, um ſo eher konnte man ſich daran gewöhnen, unter der actio sacra- mento, die urſprünglich Eides-Klage bedeutete — denn sacra- mentum 188) heißt ſonſt der Eid — eine Klage mit Succum- benzſtrafe, und unter sacramentum ſelbſt das Succumbenzgeld zu verſtehen. Der Uebertragung einer ſolchen der religiöſen Be- ziehungen entkleideten Prozeßform auf die weltlichen Gerichte ſtand nichts im Wege, und ſo erfolgte dieſelbe, in ähnlicher 187) Die Depoſition erfolgte, wie Varro de L. L. V. 180 uns berich- tet, bei der pons … ad pontem deponebant … qui judicio vicerat, suum sacramentum e sacro auferebat. Die pons war die pons sublicius, von der Varro den Namen der pontifices ableitete (ib. V. 15), und an der letztere zu opfern hatten. Ruperti Handb. der röm. Alterth. Thl. 2 Abth. 2 S. 565. Die Depoſition erfolgte alſo bei den Pontifices. 188) Später vorzugsweiſe beim Soldateneid in Gebrauch geblieben. Daß sacrare, sacramentum u. ſ. w. auch abgeſehn von dieſem Fall eine beſondere Beziehung zum Eide hat, dafür berufe ich mich auf folgende Stel- len des Feſtus: sub voc: Sacramento dicitur quod [jurisjurandi sa- crati]one interposita actum est; [unde quis sacramen] to dicitur inter- rogari, quia [jusjurandum interponitur] etc., sub voc: Sacrosanctum dicitur, quod jurejurando interposito est institutum etc. Uebrigens brauche ich wohl kaum zu bemerken, daß für die im Text vorgetragene An- ſicht die Bedeutung des Wortes sacramentum nur ein einzelnes Argument bildet, die eigentliche Beweiskraft aber in dem Geſammtzuſammenhang des Ganzen ruht, und ich darf hinzuſetzen, daß ich ſelbſt auf jenes Argument erſt aufmerkſam geworden bin, nachdem jener Geſammtzuſammenhang mir die vertheidigte Anſicht aufgedrungen hatte.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/284>, abgerufen am 10.06.2024.