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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Einfluß der Wehrverfassung -- das Königthum. §. 17.
die wichtigsten Interessen galt, und die unabweisbare Rothwen-
digkeit der Unterordnung jedem einleuchten mußte, und dieser
Punkt war die Wehrverfassung. Der erste rex war nichts als
ein Feldherr, den man mit Rücksicht auf seine militärische Tüch-
tigkeit wählte, und dem man die unentbehrliche Macht eines sol-
chen, eine unumschränkte Gewalt, imperium, verlieh. Aber
während derselbe bei den Germanen abtrat, sowie der Krieg
beendet, behielten die Vorfahren der Römer ihn lebenslänglich
bei. Da das ganze Volk beständig auf dem Kriegsfuß blieb,
so konnte als wesentliches Glied der Heerverfassung auch der
Feldherr nicht fehlen. Damit war aber der Uebergang vom
Feldherrnthum zum Königthum gebahnt. Wenn das Volk auch
im Frieden Heer ist, so wird leicht aus dem Feldherrn ein
König. Die Identität oder Ungetrenntheit der militärischen und
politischen Functionen, die in den untern Kreisen des Staats
wahrnehmbar ist, muß sich auch bis in die Spitze hinein wie-
derholen. Das Heer kann nicht zusammentreten, ohne daß der
Feldherr es beruft, es kann nicht beschließen, ohne daß er dem-
selben Anträge vorlegt; die politische Thätigkeit des Heeres
bedingt eine gleiche Thätigkeit auf Seiten des Feldherrn, er ist
nothwendigerweise das politische Oberhaupt des Volks, weil
dasselbe seine politischen Functionen als Heer ausübt.

So wie nun die politische Macht des Königs nur als Aus-
fluß und Appendix seiner militärischen Gewalt erscheint, ebenso
seine religiöse Stellung und Machtbefugniß. Wie könnte er
eine Schlacht wagen, ohne sich vorher durch Auspicien der Zu-
stimmung der Götter versichert zu haben, und wie könnte er auf
ihren Beistand rechnen, ohne sie durch Opfer sich und seinem
Heere geneigt gemacht zu haben? Das jus auspicandi und das
Opferpriesterthum ist ihm durch seine militärische Würde noth-
wendig gegeben. Die Religion erscheint bei den Römern als
unzertrennliche Begleiterin jeder wichtigen Institution, jeder
Verbindung im Innern des Staats und nach außen hin, jeder
Würde und jeder wichtigen Maßregel des öffentlichen und Pri-

2. Einfluß der Wehrverfaſſung — das Königthum. §. 17.
die wichtigſten Intereſſen galt, und die unabweisbare Rothwen-
digkeit der Unterordnung jedem einleuchten mußte, und dieſer
Punkt war die Wehrverfaſſung. Der erſte rex war nichts als
ein Feldherr, den man mit Rückſicht auf ſeine militäriſche Tüch-
tigkeit wählte, und dem man die unentbehrliche Macht eines ſol-
chen, eine unumſchränkte Gewalt, imperium, verlieh. Aber
während derſelbe bei den Germanen abtrat, ſowie der Krieg
beendet, behielten die Vorfahren der Römer ihn lebenslänglich
bei. Da das ganze Volk beſtändig auf dem Kriegsfuß blieb,
ſo konnte als weſentliches Glied der Heerverfaſſung auch der
Feldherr nicht fehlen. Damit war aber der Uebergang vom
Feldherrnthum zum Königthum gebahnt. Wenn das Volk auch
im Frieden Heer iſt, ſo wird leicht aus dem Feldherrn ein
König. Die Identität oder Ungetrenntheit der militäriſchen und
politiſchen Functionen, die in den untern Kreiſen des Staats
wahrnehmbar iſt, muß ſich auch bis in die Spitze hinein wie-
derholen. Das Heer kann nicht zuſammentreten, ohne daß der
Feldherr es beruft, es kann nicht beſchließen, ohne daß er dem-
ſelben Anträge vorlegt; die politiſche Thätigkeit des Heeres
bedingt eine gleiche Thätigkeit auf Seiten des Feldherrn, er iſt
nothwendigerweiſe das politiſche Oberhaupt des Volks, weil
daſſelbe ſeine politiſchen Functionen als Heer ausübt.

So wie nun die politiſche Macht des Königs nur als Aus-
fluß und Appendix ſeiner militäriſchen Gewalt erſcheint, ebenſo
ſeine religiöſe Stellung und Machtbefugniß. Wie könnte er
eine Schlacht wagen, ohne ſich vorher durch Auſpicien der Zu-
ſtimmung der Götter verſichert zu haben, und wie könnte er auf
ihren Beiſtand rechnen, ohne ſie durch Opfer ſich und ſeinem
Heere geneigt gemacht zu haben? Das jus auspicandi und das
Opferprieſterthum iſt ihm durch ſeine militäriſche Würde noth-
wendig gegeben. Die Religion erſcheint bei den Römern als
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[247/0265] 2. Einfluß der Wehrverfaſſung — das Königthum. §. 17. die wichtigſten Intereſſen galt, und die unabweisbare Rothwen- digkeit der Unterordnung jedem einleuchten mußte, und dieſer Punkt war die Wehrverfaſſung. Der erſte rex war nichts als ein Feldherr, den man mit Rückſicht auf ſeine militäriſche Tüch- tigkeit wählte, und dem man die unentbehrliche Macht eines ſol- chen, eine unumſchränkte Gewalt, imperium, verlieh. Aber während derſelbe bei den Germanen abtrat, ſowie der Krieg beendet, behielten die Vorfahren der Römer ihn lebenslänglich bei. Da das ganze Volk beſtändig auf dem Kriegsfuß blieb, ſo konnte als weſentliches Glied der Heerverfaſſung auch der Feldherr nicht fehlen. Damit war aber der Uebergang vom Feldherrnthum zum Königthum gebahnt. Wenn das Volk auch im Frieden Heer iſt, ſo wird leicht aus dem Feldherrn ein König. Die Identität oder Ungetrenntheit der militäriſchen und politiſchen Functionen, die in den untern Kreiſen des Staats wahrnehmbar iſt, muß ſich auch bis in die Spitze hinein wie- derholen. Das Heer kann nicht zuſammentreten, ohne daß der Feldherr es beruft, es kann nicht beſchließen, ohne daß er dem- ſelben Anträge vorlegt; die politiſche Thätigkeit des Heeres bedingt eine gleiche Thätigkeit auf Seiten des Feldherrn, er iſt nothwendigerweiſe das politiſche Oberhaupt des Volks, weil daſſelbe ſeine politiſchen Functionen als Heer ausübt. So wie nun die politiſche Macht des Königs nur als Aus- fluß und Appendix ſeiner militäriſchen Gewalt erſcheint, ebenſo ſeine religiöſe Stellung und Machtbefugniß. Wie könnte er eine Schlacht wagen, ohne ſich vorher durch Auſpicien der Zu- ſtimmung der Götter verſichert zu haben, und wie könnte er auf ihren Beiſtand rechnen, ohne ſie durch Opfer ſich und ſeinem Heere geneigt gemacht zu haben? Das jus auspicandi und das Opferprieſterthum iſt ihm durch ſeine militäriſche Würde noth- wendig gegeben. Die Religion erſcheint bei den Römern als unzertrennliche Begleiterin jeder wichtigen Inſtitution, jeder Verbindung im Innern des Staats und nach außen hin, jeder Würde und jeder wichtigen Maßregel des öffentlichen und Pri-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/265>, abgerufen am 05.07.2024.