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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
stem der Klagen sich consolidirte. Nicht als ob eine Klage,
diese Form, in der sich später der Schutz der Gemeinde wirksam
erweist, nur für garantirte Rechte gegeben worden wäre; -- viel-
leicht zeichnete sie sich in diesem Falle durch den Zusatz ex jure
Quiritium
(s. u.) und ein eigenthümliches Verfahren 115) aus --
in allen Fällen, in denen eine Garantieertheilung von Seiten
des Volks von jeher entweder nicht möglich oder nicht üblich
war, mußte nicht weniger eine Klage zugestanden werden. Da-
hingegen blieb sie versagt, wenn Jemand bei Rechtsgeschäften,
die garantirt zu werden pflegten, die nöthige Form nicht beob-
achtet hatte. Darin aber liegt das Besondere dieses Falles --
und es bewährt sich daran, wie fest das subjektive Prinzip in
der römischen Rechtsansicht wurzelte -- daß hier dennoch ein

115) War vielleicht der Centumviralgerichtshof für die Geltendmachung
der öffentlich garantirten Rechte bestimmt? Die Zusage des Schutzes, die
das Volk unmittelbar oder durch Repräsentanten gegeben, wäre hier durch
einen Ausschuß des Volks gelöst. Alle Fälle, die Cicero in der bekannten
Stelle de oratore I. c. 38. der Competenz dieses Gerichtshofes zuweist,
gehören zur Klasse der garantirten; die jura gentilitatum, agnationum,
gestützt auf die staatsrechtlich anerkannte Verbindung der Gens und die ur-
sprünglich römische d. h. durch confarreatio, coemtio oder usus begründete
Ehe mit manus; die jura testamentorum und tutelarum auf lex und öffent-
liches Testament; die jura mancipationum, nexorum, parietum, lumiuum
u. s. w. auf die Mancipationsform und die in jure cessio; hinsichtlich der
usucapio s. S. 212. Daß im Centumviralgericht der Staat in einer enge-
ren Beziehung zum Individuum erscheint, als bei dem judex privatus, hat
man herausgefühlt, den Grund davon aber darin gesucht (Puchta, Cursus
der Instit. B. 2. §. 153), daß der Staat hier sein Interesse geltend mache
-- was dem Zweck der Rechtspflege gegenüber weniger wahrscheinlich ist --,
während nach meiner Vermuthung es sich als höchst natürlich ergibt, daß der
Staat oder das Volk den rechtlichen Schutz solcher Verhältnisse, die aus-
drücklich unter seine Garantie gestellt sind, selbst in die Hände nimmt und
nicht dem judex privatus überweist, wenigstens nicht gegen den Willen des
Berechtigten. Erst hier war für meine Auffassung des ältesten Rechts der
passende Ort, das Centumviralgericht zu erwähnen, was ich nur bemerke, um
mich zu rechtfertigen, wenn ich dasselbe bei der Entstehung des Richteramts
mit Stillschweigen überging.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
ſtem der Klagen ſich conſolidirte. Nicht als ob eine Klage,
dieſe Form, in der ſich ſpäter der Schutz der Gemeinde wirkſam
erweiſt, nur für garantirte Rechte gegeben worden wäre; — viel-
leicht zeichnete ſie ſich in dieſem Falle durch den Zuſatz ex jure
Quiritium
(ſ. u.) und ein eigenthümliches Verfahren 115) aus —
in allen Fällen, in denen eine Garantieertheilung von Seiten
des Volks von jeher entweder nicht möglich oder nicht üblich
war, mußte nicht weniger eine Klage zugeſtanden werden. Da-
hingegen blieb ſie verſagt, wenn Jemand bei Rechtsgeſchäften,
die garantirt zu werden pflegten, die nöthige Form nicht beob-
achtet hatte. Darin aber liegt das Beſondere dieſes Falles —
und es bewährt ſich daran, wie feſt das ſubjektive Prinzip in
der römiſchen Rechtsanſicht wurzelte — daß hier dennoch ein

115) War vielleicht der Centumviralgerichtshof für die Geltendmachung
der öffentlich garantirten Rechte beſtimmt? Die Zuſage des Schutzes, die
das Volk unmittelbar oder durch Repräſentanten gegeben, wäre hier durch
einen Ausſchuß des Volks gelöſt. Alle Fälle, die Cicero in der bekannten
Stelle de oratore I. c. 38. der Competenz dieſes Gerichtshofes zuweiſt,
gehören zur Klaſſe der garantirten; die jura gentilitatum, agnationum,
geſtützt auf die ſtaatsrechtlich anerkannte Verbindung der Gens und die ur-
ſprünglich römiſche d. h. durch confarreatio, coemtio oder usus begründete
Ehe mit manus; die jura testamentorum und tutelarum auf lex und öffent-
liches Teſtament; die jura mancipationum, nexorum, parietum, lumiuum
u. ſ. w. auf die Mancipationsform und die in jure cessio; hinſichtlich der
usucapio ſ. S. 212. Daß im Centumviralgericht der Staat in einer enge-
ren Beziehung zum Individuum erſcheint, als bei dem judex privatus, hat
man herausgefühlt, den Grund davon aber darin geſucht (Puchta, Curſus
der Inſtit. B. 2. §. 153), daß der Staat hier ſein Intereſſe geltend mache
— was dem Zweck der Rechtspflege gegenüber weniger wahrſcheinlich iſt —,
während nach meiner Vermuthung es ſich als höchſt natürlich ergibt, daß der
Staat oder das Volk den rechtlichen Schutz ſolcher Verhältniſſe, die aus-
drücklich unter ſeine Garantie geſtellt ſind, ſelbſt in die Hände nimmt und
nicht dem judex privatus überweiſt, wenigſtens nicht gegen den Willen des
Berechtigten. Erſt hier war für meine Auffaſſung des älteſten Rechts der
paſſende Ort, das Centumviralgericht zu erwähnen, was ich nur bemerke, um
mich zu rechtfertigen, wenn ich daſſelbe bei der Entſtehung des Richteramts
mit Stillſchweigen überging.
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[201[210]/0228] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. ſtem der Klagen ſich conſolidirte. Nicht als ob eine Klage, dieſe Form, in der ſich ſpäter der Schutz der Gemeinde wirkſam erweiſt, nur für garantirte Rechte gegeben worden wäre; — viel- leicht zeichnete ſie ſich in dieſem Falle durch den Zuſatz ex jure Quiritium (ſ. u.) und ein eigenthümliches Verfahren 115) aus — in allen Fällen, in denen eine Garantieertheilung von Seiten des Volks von jeher entweder nicht möglich oder nicht üblich war, mußte nicht weniger eine Klage zugeſtanden werden. Da- hingegen blieb ſie verſagt, wenn Jemand bei Rechtsgeſchäften, die garantirt zu werden pflegten, die nöthige Form nicht beob- achtet hatte. Darin aber liegt das Beſondere dieſes Falles — und es bewährt ſich daran, wie feſt das ſubjektive Prinzip in der römiſchen Rechtsanſicht wurzelte — daß hier dennoch ein 115) War vielleicht der Centumviralgerichtshof für die Geltendmachung der öffentlich garantirten Rechte beſtimmt? Die Zuſage des Schutzes, die das Volk unmittelbar oder durch Repräſentanten gegeben, wäre hier durch einen Ausſchuß des Volks gelöſt. Alle Fälle, die Cicero in der bekannten Stelle de oratore I. c. 38. der Competenz dieſes Gerichtshofes zuweiſt, gehören zur Klaſſe der garantirten; die jura gentilitatum, agnationum, geſtützt auf die ſtaatsrechtlich anerkannte Verbindung der Gens und die ur- ſprünglich römiſche d. h. durch confarreatio, coemtio oder usus begründete Ehe mit manus; die jura testamentorum und tutelarum auf lex und öffent- liches Teſtament; die jura mancipationum, nexorum, parietum, lumiuum u. ſ. w. auf die Mancipationsform und die in jure cessio; hinſichtlich der usucapio ſ. S. 212. Daß im Centumviralgericht der Staat in einer enge- ren Beziehung zum Individuum erſcheint, als bei dem judex privatus, hat man herausgefühlt, den Grund davon aber darin geſucht (Puchta, Curſus der Inſtit. B. 2. §. 153), daß der Staat hier ſein Intereſſe geltend mache — was dem Zweck der Rechtspflege gegenüber weniger wahrſcheinlich iſt —, während nach meiner Vermuthung es ſich als höchſt natürlich ergibt, daß der Staat oder das Volk den rechtlichen Schutz ſolcher Verhältniſſe, die aus- drücklich unter ſeine Garantie geſtellt ſind, ſelbſt in die Hände nimmt und nicht dem judex privatus überweiſt, wenigſtens nicht gegen den Willen des Berechtigten. Erſt hier war für meine Auffaſſung des älteſten Rechts der paſſende Ort, das Centumviralgericht zu erwähnen, was ich nur bemerke, um mich zu rechtfertigen, wenn ich daſſelbe bei der Entſtehung des Richteramts mit Stillſchweigen überging.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 201[210]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/228>, abgerufen am 25.11.2024.