Grimms biedern Charakter und durch meine Vorliebe für die franzö- sische Literatur seiner Zeit längst hingezogen fühlte. Ihre Auswahl ist eine treffliche zweite Destillazion dieses Geistes, die blos das Phlegma zu zeitgemäßer und zu örtlicher Beziehungen fallen ließ. Ihr Buch ist amüsanter -- und belehrender dazu -- als alle jetzige Anekdotensamm-5 lungen. Warum verlangen Sie ein besonderes Urtheil über Ihre deutsche Sprache? Sie sind dieser durchaus mächtig; eine solche Macht nun im Bunde mit Ihrer Muttersprache gibt leicht die besten Über- setzungen aus dem Französischen. Einige von Ihnen übersetzte Fabeln des männlichen Sevigne verglich ich mit einigen von Catel übersetzten;10 aber dieser hält auch nicht die nachsichtigste Vergleichung mit Ihnen aus. Ähnliche Verkürzungen wie bei Grimm hätt' ich wol auch dem weiblichen La Fontaine gewünscht, aber weibliche Briefe, diese wahren Fontaines, vertragen eben keine Abkürzung ihrer Wasserstralen. Eben am Ende -- wie überall der Mensch am Ende -- bemerk' ich einen15 Irrthum meines Anfangs. Fünffaches Geschenk hätt' ich nämlich schreiben und Ihr Büchlein von Friedrich II nicht vergessen sollen. Wie sehr ich Ihrer Meinung über ihn [in] Ihren Noten bin, wissen Sie vielleicht aus meinem Siebenkäs; um so mehr erquickt mich Ihre Bestätigung. So leben Sie recht heiter, thätig und von fremder Liebe20 beglückt.
124. An Otto.
[Bayreuth, 8. Dez. 1820]
Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer schleicht die Buch- händlergelegenheit mit meinen [!] Kometen. Zum Glücke kann ich dir25 das einzige Exemplar in der Stadt -- nur von Einem Ehepaare noch gelesen, von C[aroline] und mir -- für morgen zuschicken; und du kannst dirs nach deiner Weise ja umbinden lassen. Anstatt Wünsche zu thun, die man nicht erfüllen kann, ist es schöner, lieber einen kleinen selber zu erfüllen; und ich weiß, daß du dir gern für solche Tage etwas30 Neues aufhebst. Gott gebe nur, daß der Komet dir so viele heitere Minuten bringt als er mich schwere Stunden gekostet. Dein münd- liches Urtheil darüber könnte dem Kometen, den ich jetzo im 3ten Bande laufen lasse, große Dienste thun, ihm den Schwanz beschneiden u. s. w. Gute Nacht und gutes Jahr, welches dießmal eben so leicht zu weissagen35 als zu wünschen ist! R.
Grimms biedern Charakter und durch meine Vorliebe für die franzö- ſiſche Literatur ſeiner Zeit längſt hingezogen fühlte. Ihre Auswahl iſt eine treffliche zweite Deſtillazion dieſes Geiſtes, die blos das Phlegma zu zeitgemäßer und zu örtlicher Beziehungen fallen ließ. Ihr Buch iſt amüſanter — und belehrender dazu — als alle jetzige Anekdotenſamm-5 lungen. Warum verlangen Sie ein beſonderes Urtheil über Ihre deutſche Sprache? Sie ſind dieſer durchaus mächtig; eine ſolche Macht nun im Bunde mit Ihrer Mutterſprache gibt leicht die beſten Über- ſetzungen aus dem Franzöſiſchen. Einige von Ihnen überſetzte Fabeln des männlichen Sévigné verglich ich mit einigen von Catel überſetzten;10 aber dieſer hält auch nicht die nachſichtigſte Vergleichung mit Ihnen aus. Ähnliche Verkürzungen wie bei Grimm hätt’ ich wol auch dem weiblichen La Fontaine gewünſcht, aber weibliche Briefe, dieſe wahren Fontaines, vertragen eben keine Abkürzung ihrer Waſſerſtralen. Eben am Ende — wie überall der Menſch am Ende — bemerk’ ich einen15 Irrthum meines Anfangs. Fünffaches Geſchenk hätt’ ich nämlich ſchreiben und Ihr Büchlein von Friedrich II nicht vergeſſen ſollen. Wie ſehr ich Ihrer Meinung über ihn [in] Ihren Noten bin, wiſſen Sie vielleicht aus meinem Siebenkäs; um ſo mehr erquickt mich Ihre Beſtätigung. So leben Sie recht heiter, thätig und von fremder Liebe20 beglückt.
124. An Otto.
[Bayreuth, 8. Dez. 1820]
Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer ſchleicht die Buch- händlergelegenheit mit meinen [!] Kometen. Zum Glücke kann ich dir25 das einzige Exemplar in der Stadt — nur von Einem Ehepaare noch geleſen, von C[aroline] und mir — für morgen zuſchicken; und du kannſt dirs nach deiner Weiſe ja umbinden laſſen. Anſtatt Wünſche zu thun, die man nicht erfüllen kann, iſt es ſchöner, lieber einen kleinen ſelber zu erfüllen; und ich weiß, daß du dir gern für ſolche Tage etwas30 Neues aufhebſt. Gott gebe nur, daß der Komet dir ſo viele heitere Minuten bringt als er mich ſchwere Stunden gekoſtet. Dein münd- liches Urtheil darüber könnte dem Kometen, den ich jetzo im 3ten Bande laufen laſſe, große Dienſte thun, ihm den Schwanz beſchneiden u. ſ. w. Gute Nacht und gutes Jahr, welches dießmal eben ſo leicht zu weiſſagen35 als zu wünſchen iſt! R.
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lungen. Warum verlangen Sie ein beſonderes Urtheil über Ihre
deutſche Sprache? Sie ſind dieſer durchaus mächtig; eine ſolche Macht
nun im Bunde mit Ihrer Mutterſprache gibt leicht die beſten Über-
ſetzungen aus dem Franzöſiſchen. Einige von Ihnen überſetzte Fabeln
des männlichen Sévigné verglich ich mit einigen von Catel überſetzten; 10
aber dieſer hält auch nicht die nachſichtigſte Vergleichung mit Ihnen
aus. Ähnliche Verkürzungen wie bei Grimm hätt’ ich wol auch dem
weiblichen La Fontaine gewünſcht, aber weibliche Briefe, dieſe wahren
Fontaines, vertragen eben keine Abkürzung ihrer Waſſerſtralen. Eben
am Ende — wie überall der Menſch am Ende — bemerk’ ich einen 15
Irrthum meines Anfangs. Fünffaches Geſchenk hätt’ ich nämlich
ſchreiben und Ihr Büchlein von Friedrich II nicht vergeſſen ſollen.
Wie ſehr ich Ihrer Meinung über ihn [in] Ihren Noten bin, wiſſen
Sie vielleicht aus meinem Siebenkäs; um ſo mehr erquickt mich Ihre
Beſtätigung. So leben Sie recht heiter, thätig und von fremder Liebe 20
beglückt.
124. An Otto.
[Bayreuth, 8. Dez. 1820]
Guten Abend, mein lieber Otto! Noch immer ſchleicht die Buch-
händlergelegenheit mit meinen [!] Kometen. Zum Glücke kann ich dir 25
das einzige Exemplar in der Stadt — nur von Einem Ehepaare noch
geleſen, von C[aroline] und mir — für morgen zuſchicken; und du
kannſt dirs nach deiner Weiſe ja umbinden laſſen. Anſtatt Wünſche zu
thun, die man nicht erfüllen kann, iſt es ſchöner, lieber einen kleinen
ſelber zu erfüllen; und ich weiß, daß du dir gern für ſolche Tage etwas 30
Neues aufhebſt. Gott gebe nur, daß der Komet dir ſo viele heitere
Minuten bringt als er mich ſchwere Stunden gekoſtet. Dein münd-
liches Urtheil darüber könnte dem Kometen, den ich jetzo im 3ten Bande
laufen laſſe, große Dienſte thun, ihm den Schwanz beſchneiden u. ſ. w.
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als zu wünſchen iſt! R.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/88>, abgerufen am 19.07.2024.
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