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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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64. An Karoline Richter.

Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag den 25ten Nach-
mittags bekam ich deinen Brief vom 24ten datiert. Wahrscheinlich
gebrauchst hältst du den zurückgebliebnen vorjährigen Kalender auf5
meinem Tische. Ferner schreibst du: deinen Brief erhielt ich Donnerstag
Abend als ich von Emanuel etc. kam. Emma schreibt den 24ten: vor-
gestern als wir von Emanuel etc. Odilie schreibt: Am Mittwoch Abend
empfingen wir, nachdem wir von Emanuel etc. Diese allein hatte Recht
bei dem "Pappa", den sie ja künftig Papa schreibe, und nicht der "Pappe"10
ähnlich. -- Den Wein, dessen Fuhrmann du mir hättest nennen sollen,
hab' ich noch nicht. Eben unter dem Schreiben der zweiten Seite
kam er an.
Vor seiner Ankunft kann ich noch nicht zwischen hiesigem
und baireuter Fuhrwerk entscheiden. -- Durch Wetterzufälle und durch
den Hofprediger Schmidt, der morgen hier mich zum Mittage ein-15
geladen, mußt' ich Nymphenburg und also den König versäumen, der
heute nach Baden geht und den ich so gern wiedergesehen hätte. Von
Montgelas wurd' ich gestern auf heute mit meinem Sömmering u. a.
zum Mittage geladen; aber die an demselben Vormittage eintreffende
Todespost seiner Frau in Mailand brachte eine Absagung. Übermorgen20
ess' ich bei Sömmering, der dem alten Heim durch Feuer und Alter
ähnlich, eben so häufig über den großen Platz zu mir herüber springt. --
Drei musikalische Himmelabende oder Feiertage -- natürlich in Zwischen-
räumen -- genoß ich bei F. v. Schaden und Yelin durch den berühmten
Stunz und seine Frau und deren Schwester, z. B. gestern sein himm-25
liches Stabat mater. Auch Max, der in Gesellschaft sich höchst unver-
legen (gegen Damen), anständig, bescheiden (sorgfältiger gekleidet als
ich) und doch witzig zeigt. Mich kann er nicht satt küssen vom Früh-
stück an bis abends an die Abtritts Thüre an der Treppe. Seine jetzigen
Kenntnisse haben ihn aus einem baireuter Schulknaben zu einem30
akademischen Jüngling gemacht und in der Philologie könnte er leichter
Lehrer als Schüler Degen's sein. -- Er verdarb mir aber eine Nacht
Schlaf, als er mir erzählte von seinem Jammerleben in Winters
Anfange November Dezember im ersten dürftigen Logis -- wie ein
kleines Eisenöfchen nicht recht heizte, die Fenster zerbrochen waren, das35
Holz gestohlen -- er Morgen und Abends nichts genoß, oft Mittags
kein ganzes Essen und wie alle Kleider dem Magern zu weit wurden;

64. An Karoline Richter.

Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag 〈den 25ten〉 Nach-
mittags bekam ich deinen Brief vom 24ten datiert. Wahrſcheinlich
gebrauchſt 〈hältſt〉 du den zurückgebliebnen vorjährigen Kalender auf5
meinem Tiſche. Ferner ſchreibſt du: deinen Brief erhielt ich Donnerſtag
Abend als ich von Emanuel ꝛc. kam. Emma ſchreibt den 24ten: vor-
geſtern als wir von Emanuel ꝛc. Odilie ſchreibt: Am Mittwoch Abend
empfingen wir, nachdem wir von Emanuel ꝛc. Dieſe allein hatte Recht
bei dem „Pappa“, den ſie ja künftig Papa ſchreibe, und nicht der „Pappe“10
ähnlich. — Den Wein, deſſen Fuhrmann du mir hätteſt nennen ſollen,
hab’ ich noch nicht. 〈Eben unter dem Schreiben der zweiten Seite
kam er an.
〉 Vor ſeiner Ankunft kann ich noch nicht zwiſchen hieſigem
und baireuter Fuhrwerk entſcheiden. — Durch Wetterzufälle und durch
den Hofprediger Schmidt, der morgen hier mich zum Mittage ein-15
geladen, mußt’ ich Nymphenburg und alſo den König verſäumen, der
heute nach Baden geht und den ich ſo gern wiedergeſehen hätte. Von
Montgelas wurd’ ich geſtern auf heute mit meinem Sömmering u. a.
zum Mittage geladen; aber die an demſelben Vormittage eintreffende
Todespoſt ſeiner Frau in Mailand brachte eine Abſagung. Übermorgen20
eſſ’ ich bei Sömmering, der dem alten Heim durch Feuer und Alter
ähnlich, eben ſo häufig über den großen Platz zu mir herüber ſpringt. —
Drei muſikaliſche Himmelabende oder Feiertage — natürlich in Zwiſchen-
räumen — genoß ich bei F. v. Schaden und Yelin durch den berühmten
Stunz und ſeine Frau und deren Schweſter, z. B. geſtern ſein himm-25
liches Stabat mater. Auch Max, der in Geſellſchaft ſich höchſt unver-
legen (gegen Damen), anſtändig, beſcheiden (ſorgfältiger gekleidet als
ich) und doch witzig zeigt. Mich kann er nicht ſatt küſſen vom Früh-
ſtück an bis abends an die Abtritts Thüre an der Treppe. Seine jetzigen
Kenntniſſe haben ihn aus einem baireuter Schulknaben zu einem30
akademiſchen Jüngling gemacht und in der Philologie könnte er leichter
Lehrer als Schüler Degen’s ſein. — Er verdarb mir aber eine Nacht
Schlaf, als er mir erzählte von ſeinem Jammerleben in Winters
Anfange 〈November Dezember〉 im erſten dürftigen Logis — wie ein
kleines Eiſenöfchen nicht recht heizte, die Fenſter zerbrochen waren, das35
Holz geſtohlen — er Morgen und Abends nichts genoß, oft Mittags
kein ganzes Eſſen und wie alle Kleider dem Magern zu weit wurden;

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[47/0053] 64. An Karoline Richter. München d. 27ten Jun. 〈Dienſtag〉 1820 Meine geliebte Karoline! Vorigen Sonntag 〈den 25ten〉 Nach- mittags bekam ich deinen Brief vom 24ten datiert. Wahrſcheinlich gebrauchſt 〈hältſt〉 du den zurückgebliebnen vorjährigen Kalender auf 5 meinem Tiſche. Ferner ſchreibſt du: deinen Brief erhielt ich Donnerſtag Abend als ich von Emanuel ꝛc. kam. Emma ſchreibt den 24ten: vor- geſtern als wir von Emanuel ꝛc. Odilie ſchreibt: Am Mittwoch Abend empfingen wir, nachdem wir von Emanuel ꝛc. Dieſe allein hatte Recht bei dem „Pappa“, den ſie ja künftig Papa ſchreibe, und nicht der „Pappe“ 10 ähnlich. — Den Wein, deſſen Fuhrmann du mir hätteſt nennen ſollen, hab’ ich noch nicht. 〈Eben unter dem Schreiben der zweiten Seite kam er an.〉 Vor ſeiner Ankunft kann ich noch nicht zwiſchen hieſigem und baireuter Fuhrwerk entſcheiden. — Durch Wetterzufälle und durch den Hofprediger Schmidt, der morgen hier mich zum Mittage ein- 15 geladen, mußt’ ich Nymphenburg und alſo den König verſäumen, der heute nach Baden geht und den ich ſo gern wiedergeſehen hätte. Von Montgelas wurd’ ich geſtern auf heute mit meinem Sömmering u. a. zum Mittage geladen; aber die an demſelben Vormittage eintreffende Todespoſt ſeiner Frau in Mailand brachte eine Abſagung. Übermorgen 20 eſſ’ ich bei Sömmering, der dem alten Heim durch Feuer und Alter ähnlich, eben ſo häufig über den großen Platz zu mir herüber ſpringt. — Drei muſikaliſche Himmelabende oder Feiertage — natürlich in Zwiſchen- räumen — genoß ich bei F. v. Schaden und Yelin durch den berühmten Stunz und ſeine Frau und deren Schweſter, z. B. geſtern ſein himm- 25 liches Stabat mater. Auch Max, der in Geſellſchaft ſich höchſt unver- legen (gegen Damen), anſtändig, beſcheiden (ſorgfältiger gekleidet als ich) und doch witzig zeigt. Mich kann er nicht ſatt küſſen vom Früh- ſtück an bis abends an die Abtritts Thüre an der Treppe. Seine jetzigen Kenntniſſe haben ihn aus einem baireuter Schulknaben zu einem 30 akademiſchen Jüngling gemacht und in der Philologie könnte er leichter Lehrer als Schüler Degen’s ſein. — Er verdarb mir aber eine Nacht Schlaf, als er mir erzählte von ſeinem Jammerleben in Winters Anfange 〈November Dezember〉 im erſten dürftigen Logis — wie ein kleines Eiſenöfchen nicht recht heizte, die Fenſter zerbrochen waren, das 35 Holz geſtohlen — er Morgen und Abends nichts genoß, oft Mittags kein ganzes Eſſen und wie alle Kleider dem Magern zu weit wurden;

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/53>, abgerufen am 22.11.2024.