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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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bracht' er mir heute, nachdem er davon unter seine 2 arme Mit-
häuslinge ausgetheilt, zurück, weil er dachte, ich wolle davon. (Thats
später auch mit der geräucherten Zunge)


Wie schwillt mein Stoff und verschrumpft meine Zeit! Und doch hab'5
ich kaum angefangen, hier zu sein. Max frühstückt und soupiert mit mir
und durchläuft die Stadt für mich und mit mir. Noch nicht den kleinsten
Tadel hatt' ich auszusprechen oder nur zu verbergen. Durch ihn bin ich
ordentlich halb in Baireut. Am Mittwoch holt' er mir auf der Polizei
die Nummern der Vermiethzimmer. Dann ging ich zu H. Mann mit10
ihm, fand aber blos die schönaugige Frau; und ich dankte später Gott
dafür; denn Mann selber hätte mir in seinem großen Hause gewiß ein
Zimmer angeboten und ich wäre, nach Erlangung einiger galli-
kanischen, d. h. kulinarischen (d. h. Keller-) Freiheiten, dem Wolwollen
erlegen. Aber Max flog zu mir mit dem Funde eines herrlichen Stutt-15
garter Quartiers, zwei Zimmerchen mit Abendsonne -- 12 fl. auf
4 Wochen, mit Aufwartung -- eine Rollwenzel-Wittwe, aber höherer
Bildung, mit 2 Söhnen und 2 Töchtern -- Manche Leute blieben bei ihr
statt 2 Monate mehre Jahre. Die ganze, recht bürgerliche Familie, die
abends schon um 61/2 Uhr ißt, wiederholt nicht, sondern übertrifft die20
stuttgartische. Als ich ausgegangen, hatte die freundliche Hausfrau eine
unscheinbare Decke eingeschwärzt für den -- Ponto. Ihr Sohn, der
Maler, wollte anfangs erst Montags ausräumen, aber alles war doch
gestern um 5 Uhr gethan. Was ich nur wünschte -- Nachttischchen am
Bette, Blumen u. s. w. -- kam. Endlich aber, als gar gestern früh der25
andere Sohn, Sekretär in Thürheims Ministerium, aus meiner Lega-
zionadresse meinen Autornamen, den ich immer unterwegs verschweige,
heraus hatte: so hört das Bedienen und Erfreuen gar nicht auf und
er kam gestern morgen zu mir und sagte: er möchte mich einsaugen
vor Liebe. Die gute freundliche, aber überall vorsichtige Alte kann30
bei mir gar nicht aufhören zu reden. Kurz in ganz München hab' ich
das einzige rechte Stübchen für mich aus der Münchner Zahlenlotterie
gezogen.

Adreßiere denn: abzugeben Nro 1453 im Rochusgäßchen bei Mad.
Gail.
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bracht’ er mir heute, nachdem er davon unter ſeine 2 arme Mit-
häuslinge ausgetheilt, zurück, weil er dachte, ich wolle davon. (Thats
ſpäter auch mit der geräucherten Zunge)


Wie ſchwillt mein Stoff und verſchrumpft meine Zeit! Und doch hab’5
ich kaum angefangen, hier zu ſein. Max frühſtückt und ſoupiert mit mir
und durchläuft die Stadt für mich und mit mir. Noch nicht den kleinſten
Tadel hatt’ ich auszuſprechen oder nur zu verbergen. Durch ihn bin ich
ordentlich halb in Baireut. Am Mittwoch holt’ er mir auf der Polizei
die Nummern der Vermiethzimmer. Dann ging ich zu H. Mann mit10
ihm, fand aber blos die ſchönaugige Frau; und ich dankte ſpäter Gott
dafür; denn Mann ſelber hätte mir in ſeinem großen Hauſe gewiß ein
Zimmer angeboten und ich wäre, nach Erlangung einiger galli-
kaniſchen, d. h. kulinariſchen (d. h. Keller-) Freiheiten, dem Wolwollen
erlegen. Aber Max flog zu mir mit dem Funde eines herrlichen Stutt-15
garter Quartiers, zwei Zimmerchen mit Abendſonne — 12 fl. auf
4 Wochen, mit Aufwartung — eine Rollwenzel-Wittwe, aber höherer
Bildung, mit 2 Söhnen und 2 Töchtern — Manche Leute blieben bei ihr
ſtatt 2 Monate mehre Jahre. Die ganze, recht bürgerliche Familie, die
abends ſchon um 6½ Uhr ißt, wiederholt nicht, ſondern übertrifft die20
ſtuttgartiſche. Als ich ausgegangen, hatte die freundliche Hausfrau eine
unſcheinbare Decke eingeſchwärzt für den — Ponto. Ihr Sohn, der
Maler, wollte anfangs erſt Montags ausräumen, aber alles war doch
geſtern um 5 Uhr gethan. Was ich nur wünſchte — Nachttiſchchen am
Bette, Blumen u. ſ. w. — kam. Endlich aber, als gar geſtern früh der25
andere Sohn, Sekretär in Thürheims Miniſterium, aus meiner Lega-
zionadreſſe meinen Autornamen, den ich immer unterwegs verſchweige,
heraus hatte: ſo hört das Bedienen und Erfreuen gar nicht auf und
er kam geſtern morgen zu mir und ſagte: er möchte mich einſaugen
vor Liebe. Die gute freundliche, aber überall vorſichtige Alte kann30
bei mir gar nicht aufhören zu reden. Kurz in ganz München hab’ ich
das einzige rechte Stübchen für mich aus der Münchner Zahlenlotterie
gezogen.

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Gail.
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[35/0040] bracht’ er mir heute, nachdem er davon unter ſeine 2 arme Mit- häuslinge ausgetheilt, zurück, weil er dachte, ich wolle davon. (Thats ſpäter auch mit der geräucherten Zunge) den 2ten Juny [Freitag] Wie ſchwillt mein Stoff und verſchrumpft meine Zeit! Und doch hab’ 5 ich kaum angefangen, hier zu ſein. Max frühſtückt und ſoupiert mit mir und durchläuft die Stadt für mich und mit mir. Noch nicht den kleinſten Tadel hatt’ ich auszuſprechen oder nur zu verbergen. Durch ihn bin ich ordentlich halb in Baireut. Am Mittwoch holt’ er mir auf der Polizei die Nummern der Vermiethzimmer. Dann ging ich zu H. Mann mit 10 ihm, fand aber blos die ſchönaugige Frau; und ich dankte ſpäter Gott dafür; denn Mann ſelber hätte mir in ſeinem großen Hauſe gewiß ein Zimmer angeboten und ich wäre, nach Erlangung einiger galli- kaniſchen, d. h. kulinariſchen (d. h. Keller-) Freiheiten, dem Wolwollen erlegen. Aber Max flog zu mir mit dem Funde eines herrlichen Stutt- 15 garter Quartiers, zwei Zimmerchen mit Abendſonne — 12 fl. auf 4 Wochen, mit Aufwartung — eine Rollwenzel-Wittwe, aber höherer Bildung, mit 2 Söhnen und 2 Töchtern — Manche Leute blieben bei ihr ſtatt 2 Monate mehre Jahre. Die ganze, recht bürgerliche Familie, die abends ſchon um 6½ Uhr ißt, wiederholt nicht, ſondern übertrifft die 20 ſtuttgartiſche. Als ich ausgegangen, hatte die freundliche Hausfrau eine unſcheinbare Decke eingeſchwärzt für den — Ponto. Ihr Sohn, der Maler, wollte anfangs erſt Montags ausräumen, aber alles war doch geſtern um 5 Uhr gethan. Was ich nur wünſchte — Nachttiſchchen am Bette, Blumen u. ſ. w. — kam. Endlich aber, als gar geſtern früh der 25 andere Sohn, Sekretär in Thürheims Miniſterium, aus meiner Lega- zionadreſſe meinen Autornamen, den ich immer unterwegs verſchweige, heraus hatte: ſo hört das Bedienen und Erfreuen gar nicht auf und er kam geſtern morgen zu mir und ſagte: er möchte mich einſaugen vor Liebe. Die gute freundliche, aber überall vorſichtige Alte kann 30 bei mir gar nicht aufhören zu reden. Kurz in ganz München hab’ ich das einzige rechte Stübchen für mich aus der Münchner Zahlenlotterie gezogen. Adreßiere denn: abzugeben Nro 1453 im Rochusgäßchen bei Mad. Gail. 35 3*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/40>, abgerufen am 28.03.2024.