und noch mehr Shakespeare ahmen Sie stark nach; -- und Sie sollten eine Zeitlang andere Dichter lesen, die griechischen ohnehin -- aber jeder Jüngling ist früher Kopie als Urbild, früher der fremden Dichter Echo als deren Aeolharfe; denn jeder ist ein Schüler der Zeit, bevor er ein Lehrer einer spätern wird. -- Was Ihrem Stücke die Leserinnen5 (die Zuhörerinnen ohnedieß) entziehen muß, ist das häufige nackte Auf- treten der tiefsten Sinnlichkeit, vollends eine so böse aus Göthe's Elegien entlehnte Stelle p. 156. -- Verzeihen Sie meine nur durch Gedanken- striche vermittelten Sprünge. Gerade um der Dichtkunst zu leben und zu reifen, sollten Sie Fremdartiges treiben, nicht einmal Theater- oder10 Redaktörwesen; gerade unter dem Schnee des gemeinen Geschäft- lebens wächst das poetische desto grüner. Was liebte und lernte nicht unser Göthe in allen unpoetischen Wissenschaften von der Osteologie und Mineralogie an! Auch muß ja das Leben selber noch früher etwas werth sein als dessen Darstellung. Bei Ihrem Überschusse von Kräften15 sind Sie jedem bürgerlichen Geschäfte gewachsen. Nur scheint mir der Umweg dazu durch ein theueres Studieren in Leipzig viel zu lange. Könnten Sie denn nicht bei Ihren griechischen und mathematischen Kenntnissen ein Schulamt gewinnen? -- Vor der Hand rathe ich Ihnen einen Roman zu schreiben, der für den Vater einer in 11 Tagen20 geschaffenen Bertha mehr Spiel und doch ein Spiel mit Gewinn sein muß. -- Die Wahrhaftigkeit, die ich dem Einzelnen, und noch mehr der Vielheit schuldig bin, verbietet mir eine lobende Rezension des Gordo zu schreiben, wenn ich nicht mit dem Lobe zugleich auch den Tadel erweitert ausspräche. Aber dieß dagegen werde ich thun, daß ich im25 Jenner des Morgenblattes in einer Note auf die herrlichen Geschöpfe aufmerksam mache, die eine so kraftreiche Frühgeburt trotz aller ihrer Misglieder der Dichtkunst verspricht. Sie wissen nicht, wie einem Schriftsteller von nur einigem Rufe wieder von allen Schriftstellern bittend und fodernd zugesetzt wird; um so mehr verzeihe ich Göthen,30 der länger und stärker bestürmt wurde als irgend einer.
Leben Sie froher, halten Sie daher Leidenschaftlichkeit nicht für Nahrung und Attribut des Dichters, sondern für Gift desselben. Ich grüße Ihre Gattin.
Jean Paul Fr. Richter35
[Adr.] Herrn Ernst Grosse, stud. jur. Frei. Abzugeben in der Hahn'schen Hofbuchhandlung, Hannover.
14*
und noch mehr Shakespeare ahmen Sie ſtark nach; — und Sie ſollten eine Zeitlang andere Dichter leſen, die griechiſchen ohnehin — aber jeder Jüngling iſt früher Kopie als Urbild, früher der fremden Dichter Echo als deren Aeolharfe; denn jeder iſt ein Schüler der Zeit, bevor er ein Lehrer einer ſpätern wird. — Was Ihrem Stücke die Leſerinnen5 (die Zuhörerinnen ohnedieß) entziehen muß, iſt das häufige nackte Auf- treten der tiefſten Sinnlichkeit, vollends eine ſo böſe aus Göthe’s Elegien entlehnte Stelle p. 156. — Verzeihen Sie meine nur durch Gedanken- ſtriche vermittelten Sprünge. Gerade um der Dichtkunſt zu leben und zu reifen, ſollten Sie Fremdartiges treiben, nicht einmal Theater- oder10 Redaktörweſen; gerade unter dem Schnee des gemeinen Geſchäft- lebens wächſt das poetiſche deſto grüner. Was liebte und lernte nicht unſer Göthe in allen unpoetiſchen Wiſſenſchaften von der Oſteologie und Mineralogie an! Auch muß ja das Leben ſelber noch früher etwas werth ſein als deſſen Darſtellung. Bei Ihrem Überſchuſſe von Kräften15 ſind Sie jedem bürgerlichen Geſchäfte gewachſen. Nur ſcheint mir der Umweg dazu durch ein theueres Studieren in Leipzig viel zu lange. Könnten Sie denn nicht bei Ihren griechiſchen und mathematiſchen Kenntniſſen ein Schulamt gewinnen? — Vor der Hand rathe ich Ihnen einen Roman zu ſchreiben, der für den Vater einer in 11 Tagen20 geſchaffenen Bertha mehr Spiel und doch ein Spiel mit Gewinn ſein muß. — Die Wahrhaftigkeit, die ich dem Einzelnen, und noch mehr der Vielheit ſchuldig bin, verbietet mir eine lobende Rezenſion des Gordo zu ſchreiben, wenn ich nicht mit dem Lobe zugleich auch den Tadel erweitert ausſpräche. Aber dieß dagegen werde ich thun, daß ich im25 Jenner des Morgenblattes in einer Note auf die herrlichen Geſchöpfe aufmerkſam mache, die eine ſo kraftreiche Frühgeburt trotz aller ihrer Misglieder der Dichtkunſt verſpricht. Sie wiſſen nicht, wie einem Schriftſteller von nur einigem Rufe wieder von allen Schriftſtellern bittend und fodernd zugeſetzt wird; um ſo mehr verzeihe ich Göthen,30 der länger und ſtärker beſtürmt wurde als irgend einer.
Leben Sie froher, halten Sie daher Leidenſchaftlichkeit nicht für Nahrung und Attribut des Dichters, ſondern für Gift deſſelben. Ich grüße Ihre Gattin.
Jean Paul Fr. Richter35
[Adr.] Herrn Ernst Grosse, stud. jur. Frei. Abzugeben in der Hahn’ſchen Hofbuchhandlung, Hannover.
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und noch mehr Shakespeare ahmen Sie ſtark nach; — und Sie ſollten
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jeder Jüngling iſt früher Kopie als Urbild, früher der fremden Dichter
Echo als deren Aeolharfe; denn jeder iſt ein Schüler der Zeit, bevor er
ein Lehrer einer ſpätern wird. — Was Ihrem Stücke die Leſerinnen 5
(die Zuhörerinnen ohnedieß) entziehen muß, iſt das häufige nackte Auf-
treten der tiefſten Sinnlichkeit, vollends eine ſo böſe aus Göthe’s Elegien
entlehnte Stelle p. 156. — Verzeihen Sie meine nur durch Gedanken-
ſtriche vermittelten Sprünge. Gerade um der Dichtkunſt zu leben und
zu reifen, ſollten Sie Fremdartiges treiben, nicht einmal Theater- oder 10
Redaktörweſen; gerade unter dem Schnee des gemeinen Geſchäft-
lebens wächſt das poetiſche deſto grüner. Was liebte und lernte nicht
unſer Göthe in allen unpoetiſchen Wiſſenſchaften von der Oſteologie
und Mineralogie an! Auch muß ja das Leben ſelber noch früher etwas
werth ſein als deſſen Darſtellung. Bei Ihrem Überſchuſſe von Kräften 15
ſind Sie jedem bürgerlichen Geſchäfte gewachſen. Nur ſcheint mir der
Umweg dazu durch ein theueres Studieren in Leipzig viel zu lange.
Könnten Sie denn nicht bei Ihren griechiſchen und mathematiſchen
Kenntniſſen ein Schulamt gewinnen? — Vor der Hand rathe ich
Ihnen einen Roman zu ſchreiben, der für den Vater einer in 11 Tagen 20
geſchaffenen Bertha mehr Spiel und doch ein Spiel mit Gewinn ſein
muß. — Die Wahrhaftigkeit, die ich dem Einzelnen, und noch mehr der
Vielheit ſchuldig bin, verbietet mir eine lobende Rezenſion des Gordo
zu ſchreiben, wenn ich nicht mit dem Lobe zugleich auch den Tadel
erweitert ausſpräche. Aber dieß dagegen werde ich thun, daß ich im 25
Jenner des Morgenblattes in einer Note auf die herrlichen Geſchöpfe
aufmerkſam mache, die eine ſo kraftreiche Frühgeburt trotz aller ihrer
Misglieder der Dichtkunſt verſpricht. Sie wiſſen nicht, wie einem
Schriftſteller von nur einigem Rufe wieder von allen Schriftſtellern
bittend und fodernd zugeſetzt wird; um ſo mehr verzeihe ich Göthen, 30
der länger und ſtärker beſtürmt wurde als irgend einer.
Leben Sie froher, halten Sie daher Leidenſchaftlichkeit nicht für
Nahrung und Attribut des Dichters, ſondern für Gift deſſelben. Ich
grüße Ihre Gattin.
Jean Paul Fr. Richter 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/220>, abgerufen am 16.02.2025.
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