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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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ich würde einmal an einem solchen Sünder die Strafe für alle vollziehen,
an den ich noch Müllner im Morgenblatte ketten würde. Indeß ver-
säume ich durch Verschieben nicht alles, sondern wecke vielmehr später
die entschlafne Untersuchung wieder auf. Aber Sie brauchen auch nicht
still zu sitzen, sondern Sie könnten recht gut aufsitzen und zwar nicht mich,5
doch sich vertheidigen mit Pfeilen, die Ihnen Apollo schon vorstrecken
würde.

Durch die Einkleidung Ihres letzten Buchs in "Briefe", gerade in
solche wechselnde und in solche überhaupt, haben Sie eine herrliche
Form über alles gefunden, was Sie nur sagen wollen. Sie hat so viel10
vom Biographischen und Dramatischen, daß man Ihnen mit Freuden
durch viele Bände folgen wird. Schon der Titel zieht an. Das Bio-
graphische besteht auch darin, daß Sie Ihre -- von mir meistens unter-
schriebnen -- Gefühle bei Werken wie z. B. Ovids, der Sevigne etc. etc.
aussprechen. Wir sollten nur mehre solche Geschmackgeständnisse von15
bedeutenden Lesern haben, damit eine Menge durch die Jahrhunderte
überschätzte Werke -- wie Gilblas, Scarron, der spätere Geßner, zum
Theil Klopstock als Epiker und zum Theil Göthe's Meister als Roman
-- den nachgebeteten Glanz der ersten Erscheinung verlöre.

Verzeihen Sie mein Ge--schreibe; leider mach' ich alle meine Briefe,20
sogar an Fürsten, schon auf dem Briefpapier.

Dank für den funkelnden und wärmenden Abend bei Ihnen; und
noch einen ganz besonderen Dank Ihrer liebenswürdigen Gattin,
welche leiblich und geistig so schön zu geben wußte und deren Augen und
Ohren an jenem Abende am wenigsten fehlen durften. -- Wahrscheinlich25
werden Sie mir für meinen Dank wieder ganz besonders danken; aber
schicken Sie mir ihn, ich meine Ihren Brief, ja nicht eher als nach
der Lesung meines Kometen, weil mir jede Kritik, und vorzüglich Ihre,
gerade jetzo unter dem Schaffen des 3ten Bändchens am hülfreichsten ist,
es sei zum Ermuntern oder zum Verbessern und zum Vermeiden.30

Der Ihrige
J. P. Fr. Richter
144. An Emanuel.

Mein guter Emanuel! Wie gern wär' ich gestern an Ihre leidende35
Brust geeilt, wenn ich es bei meiner Unkenntnis Ihrer Besuche und

ich würde einmal an einem ſolchen Sünder die Strafe für alle vollziehen,
an den ich noch Müllner im Morgenblatte ketten würde. Indeß ver-
ſäume ich durch Verſchieben nicht alles, ſondern wecke vielmehr ſpäter
die entſchlafne Unterſuchung wieder auf. Aber Sie brauchen auch nicht
ſtill zu ſitzen, ſondern Sie könnten recht gut aufſitzen und zwar nicht mich,5
doch ſich vertheidigen mit Pfeilen, die Ihnen Apollo ſchon vorſtrecken
würde.

Durch die Einkleidung Ihres letzten Buchs in „Briefe“, gerade in
ſolche wechſelnde und in ſolche überhaupt, haben Sie eine herrliche
Form über alles gefunden, was Sie nur ſagen wollen. Sie hat ſo viel10
vom Biographiſchen und Dramatiſchen, daß man Ihnen mit Freuden
durch viele Bände folgen wird. Schon der Titel zieht an. Das Bio-
graphiſche beſteht auch darin, daß Sie Ihre — von mir meiſtens unter-
ſchriebnen — Gefühle bei Werken wie z. B. Ovids, der Sevigné ꝛc. ꝛc.
ausſprechen. Wir ſollten nur mehre ſolche Geſchmackgeſtändniſſe von15
bedeutenden Leſern haben, damit eine Menge durch die Jahrhunderte
überſchätzte Werke — wie Gilblas, Scarron, der ſpätere Geßner, zum
Theil Klopſtock als Epiker und zum Theil Göthe’s Meiſter als Roman
— den nachgebeteten Glanz der erſten Erſcheinung verlöre.

Verzeihen Sie mein Ge—ſchreibe; leider mach’ ich alle meine Briefe,20
ſogar an Fürſten, ſchon auf dem Briefpapier.

Dank für den funkelnden und wärmenden Abend bei Ihnen; und
noch einen ganz beſonderen Dank Ihrer liebenswürdigen Gattin,
welche leiblich und geiſtig ſo ſchön zu geben wußte und deren Augen und
Ohren an jenem Abende am wenigſten fehlen durften. — Wahrſcheinlich25
werden Sie mir für meinen Dank wieder ganz beſonders danken; aber
ſchicken Sie mir ihn, ich meine Ihren Brief, ja nicht eher als nach
der Leſung meines Kometen, weil mir jede Kritik, und vorzüglich Ihre,
gerade jetzo unter dem Schaffen des 3ten Bändchens am hülfreichſten iſt,
es ſei zum Ermuntern oder zum Verbeſſern und zum Vermeiden.30

Der Ihrige
J. P. Fr. Richter
144. An Emanuel.

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Bruſt geeilt, wenn ich es bei meiner Unkenntnis Ihrer Beſuche und

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[94/0100] ich würde einmal an einem ſolchen Sünder die Strafe für alle vollziehen, an den ich noch Müllner im Morgenblatte ketten würde. Indeß ver- ſäume ich durch Verſchieben nicht alles, ſondern wecke vielmehr ſpäter die entſchlafne Unterſuchung wieder auf. Aber Sie brauchen auch nicht ſtill zu ſitzen, ſondern Sie könnten recht gut aufſitzen und zwar nicht mich, 5 doch ſich vertheidigen mit Pfeilen, die Ihnen Apollo ſchon vorſtrecken würde. Durch die Einkleidung Ihres letzten Buchs in „Briefe“, gerade in ſolche wechſelnde und in ſolche überhaupt, haben Sie eine herrliche Form über alles gefunden, was Sie nur ſagen wollen. Sie hat ſo viel 10 vom Biographiſchen und Dramatiſchen, daß man Ihnen mit Freuden durch viele Bände folgen wird. Schon der Titel zieht an. Das Bio- graphiſche beſteht auch darin, daß Sie Ihre — von mir meiſtens unter- ſchriebnen — Gefühle bei Werken wie z. B. Ovids, der Sevigné ꝛc. ꝛc. ausſprechen. Wir ſollten nur mehre ſolche Geſchmackgeſtändniſſe von 15 bedeutenden Leſern haben, damit eine Menge durch die Jahrhunderte überſchätzte Werke — wie Gilblas, Scarron, der ſpätere Geßner, zum Theil Klopſtock als Epiker und zum Theil Göthe’s Meiſter als Roman — den nachgebeteten Glanz der erſten Erſcheinung verlöre. Verzeihen Sie mein Ge—ſchreibe; leider mach’ ich alle meine Briefe, 20 ſogar an Fürſten, ſchon auf dem Briefpapier. Dank für den funkelnden und wärmenden Abend bei Ihnen; und noch einen ganz beſonderen Dank Ihrer liebenswürdigen Gattin, welche leiblich und geiſtig ſo ſchön zu geben wußte und deren Augen und Ohren an jenem Abende am wenigſten fehlen durften. — Wahrſcheinlich 25 werden Sie mir für meinen Dank wieder ganz beſonders danken; aber ſchicken Sie mir ihn, ich meine Ihren Brief, ja nicht eher als nach der Leſung meines Kometen, weil mir jede Kritik, und vorzüglich Ihre, gerade jetzo unter dem Schaffen des 3ten Bändchens am hülfreichſten iſt, es ſei zum Ermuntern oder zum Verbeſſern und zum Vermeiden. 30 Der Ihrige J. P. Fr. Richter 144. An Emanuel. [Bayreuth, 13. Febr. 1821] Mein guter Emanuel! Wie gern wär’ ich geſtern an Ihre leidende 35 Bruſt geeilt, wenn ich es bei meiner Unkenntnis Ihrer Beſuche und

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/100>, abgerufen am 28.03.2024.