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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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dant, ne connaissant etc., da sie sich auf raison, nicht auf desir
beziehen, nach der Regel statt notre desir etc., vielmehr elle est
si peu touchee de notre desir etc.
-- Zweitens p. 520: Cet
appercu saisi, si:
wie viele s-Laute und si-Laute und fast zwei
gleiche Partizipien!5

Am Namenfeste der lieben Königin [28. Jan.],
die ich so gern wie eine Madonna im Engel-
Nimbus ihrer schönen Kinderchen sehen möchte.

Es ist besser, ich schicke morgen den Brief fort, wenn anders das
Geschwätz einer ist. Ich freue mich auf deinen 3ten Band. Traue10
dir lieber zu viel als zu wenig zu: so irrst du weniger; und gib uns
allen deine von mir gelesenen Aphorismen, welche wie Minerva ja
so gleich fest bekleidet aus deinem Kopfe gekommen sind. In deinen
Jahren muß man auf keine Jahre warten; sogar ich thu' es in den
meinigen nicht, sondern arbeite und lese, in der Berechnung meines15
noch kurzen Lebenrestes, wie toll fort, um nur endlich an meine opera
omnia
zu kommen. Ach Gott! erst im 53ten Jahre sieht man ein,
wie wenig Zeit man für die Wissenschaften hat. Geschichte allein --
Mathematik allein -- Physik allein fodern ein ganzes Leben, und
dann kommt noch vollends das, was man nebenher schreiben will.20
Und doch gehör' ich noch dazu unter die, welche ohne Amt von Auf-
bis Untergang saßen und lasen.

Ich war nicht in Regensburg; in solcher Nähe hätt' ich dem ziehen-
den Magneten gewiß wenigstens geschrieben, wenn nicht gar gefolgt.

Dein Buch bekam ich erst im Dezember.25

Ein besonderes Glück und Talent hast du im philosophischen
Namengeben, z. B. das Weder-Noch, Weisen Be-Weisen etc. Du
solltest öfter bei Feinden zu Gevatter stehen.

Im Frühjahr komm ich gewiß nach Regensburg.

Ich erwarte von dir keine Antwort, da du mir ohnehin schon die30
zweite seit heute schuldig bist. Schreibe nur sonst.

Und so geh' es dir denn recht wol in deinem hellen Abendrothe,
geliebter Geist! Ich grüße herzlich deine beiden Deinigen.

Dein
J. P. F. Richter
35

dant, ne connaissant etc., da ſie ſich auf raison, nicht auf désir
beziehen, nach der Regel ſtatt notre désir etc., vielmehr elle est
si peu touchée de notre désir etc.
— Zweitens p. 520: Cet
apperçu saisi, si:
wie viele s-Laute und si-Laute und faſt zwei
gleiche Partizipien!5

Am Namenfeſte der lieben Königin [28. Jan.],
die ich ſo gern wie eine Madonna im Engel-
Nimbus ihrer ſchönen Kinderchen ſehen möchte.

Es iſt beſſer, ich ſchicke morgen den Brief fort, wenn anders das
Geſchwätz einer iſt. Ich freue mich auf deinen 3ten Band. Traue10
dir lieber zu viel als zu wenig zu: ſo irrſt du weniger; und gib uns
allen deine von mir geleſenen Aphoriſmen, welche wie Minerva ja
ſo gleich feſt bekleidet aus deinem Kopfe gekommen ſind. In deinen
Jahren muß man auf keine Jahre warten; ſogar ich thu’ es in den
meinigen nicht, ſondern arbeite und leſe, in der Berechnung meines15
noch kurzen Lebenreſtes, wie toll fort, um nur endlich an meine opera
omnia
zu kommen. Ach Gott! erſt im 53ten Jahre ſieht man ein,
wie wenig Zeit man für die Wiſſenſchaften hat. Geſchichte allein —
Mathematik allein — Phyſik allein fodern ein ganzes Leben, und
dann kommt noch vollends das, was man nebenher ſchreiben will.20
Und doch gehör’ ich noch dazu unter die, welche ohne Amt von Auf-
bis Untergang ſaßen und laſen.

Ich war nicht in Regensburg; in ſolcher Nähe hätt’ ich dem ziehen-
den Magneten gewiß wenigſtens geſchrieben, wenn nicht gar gefolgt.

Dein Buch bekam ich erſt im Dezember.25

Ein beſonderes Glück und Talent haſt du im philoſophiſchen
Namengeben, z. B. das Weder-Noch, Weiſen Be-Weiſen ꝛc. Du
ſollteſt öfter bei Feinden zu Gevatter ſtehen.

Im Frühjahr komm ich gewiß nach Regensburg.

Ich erwarte von dir keine Antwort, da du mir ohnehin ſchon die30
zweite ſeit heute ſchuldig biſt. Schreibe nur ſonſt.

Und ſo geh’ es dir denn recht wol in deinem hellen Abendrothe,
geliebter Geiſt! Ich grüße herzlich deine beiden Deinigen.

Dein
J. P. F. Richter
35
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[57/0062] dant, ne connaissant etc., da ſie ſich auf raison, nicht auf désir beziehen, nach der Regel ſtatt notre désir etc., vielmehr elle est si peu touchée de notre désir etc. — Zweitens p. 520: Cet apperçu saisi, si: wie viele s-Laute und si-Laute und faſt zwei gleiche Partizipien! 5 Am Namenfeſte der lieben Königin [28. Jan.], die ich ſo gern wie eine Madonna im Engel- Nimbus ihrer ſchönen Kinderchen ſehen möchte. Es iſt beſſer, ich ſchicke morgen den Brief fort, wenn anders das Geſchwätz einer iſt. Ich freue mich auf deinen 3ten Band. Traue 10 dir lieber zu viel als zu wenig zu: ſo irrſt du weniger; und gib uns allen deine von mir geleſenen Aphoriſmen, welche wie Minerva ja ſo gleich feſt bekleidet aus deinem Kopfe gekommen ſind. In deinen Jahren muß man auf keine Jahre warten; ſogar ich thu’ es in den meinigen nicht, ſondern arbeite und leſe, in der Berechnung meines 15 noch kurzen Lebenreſtes, wie toll fort, um nur endlich an meine opera omnia zu kommen. Ach Gott! erſt im 53ten Jahre ſieht man ein, wie wenig Zeit man für die Wiſſenſchaften hat. Geſchichte allein — Mathematik allein — Phyſik allein fodern ein ganzes Leben, und dann kommt noch vollends das, was man nebenher ſchreiben will. 20 Und doch gehör’ ich noch dazu unter die, welche ohne Amt von Auf- bis Untergang ſaßen und laſen. Ich war nicht in Regensburg; in ſolcher Nähe hätt’ ich dem ziehen- den Magneten gewiß wenigſtens geſchrieben, wenn nicht gar gefolgt. Dein Buch bekam ich erſt im Dezember. 25 Ein beſonderes Glück und Talent haſt du im philoſophiſchen Namengeben, z. B. das Weder-Noch, Weiſen Be-Weiſen ꝛc. Du ſollteſt öfter bei Feinden zu Gevatter ſtehen. Im Frühjahr komm ich gewiß nach Regensburg. Ich erwarte von dir keine Antwort, da du mir ohnehin ſchon die 30 zweite ſeit heute ſchuldig biſt. Schreibe nur ſonſt. Und ſo geh’ es dir denn recht wol in deinem hellen Abendrothe, geliebter Geiſt! Ich grüße herzlich deine beiden Deinigen. Dein J. P. F. Richter 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/62>, abgerufen am 28.04.2024.