und alle Vergleichstufen wegfallen). -- Sogar die Zufälligkeit muß sich der Verstand erst von der Vernunft erborgen, denn jene setzt schon die Nothwendigkeit als ihren Gegensatz, den aber nur die Vernunft feststellt gebiert, voraus, und der Zufall ist blos eine Verschleierung der Freiheit; oder die Nothwendigkeit wäre selber ein Zufall von5 Ewigkeit.
Treffend sind deine Apollons Schüsse auf den neuesten Schelling.
den 27ten
Genug! Leider sag' ich dir kein anderes wahres Wort mit allem als höchstens dein eignes. So wollt' ich z. B. noch schreiben, daß10 ohne göttliche Persönlichkeit ja gar keine endliche, die doch keiner läugnet, zu Stande käme, oder diese wäre dann selber jene, oder eine Weltseele, da jedes Selbbewußtsein höher und mächtiger ist als ein ganzes blindes taubes Spinoza-All.
Die größte Beschämung der Philosophie des Verstandes ist die15 Scholastik -- diese größere kantische Antinomistik -- aus welcher man den schärfsten Skeptizismus als aus einer kritischen Essigmutter bereiten könnte. -- Mein alter Haß gegen die Wortwelt-Weisheit ruht auf den Seiten 26, 27 etc. meines Clavis Fichtiana, die du sammt der Zueignung an dich wiederlesen solltest. -- Ist man ge-20 gründet wie du, oder durch dich: so findet man wahrlich mehr Po- sitives -- als bei jenen Wortweltweisen -- in analogischen Schlüßen wie die Herd[erschen] vom Schmetterling auf die Unsterblichkeit, oder wie meine auf diese aus dem organischen Magnetismus. Wir sollten eine solche Anthropologie des göttlichen Anthropomorphismus25 versuchen. Ist denn A[ltes] und N[eues] Testament etwas anderes als eine analogische Schlußkette des Positiven?
Die Form deiner Einleitung ist klassisches Philosophen-Deutsch und für mich Ohrenzauber; deine philosophische Sprache reift immer blühender und fruchtbarer an deinen Jahren. Reife sie noch30 lange fort! -- Eben so ist dein französischer Brief an la Harpe ein Sprach- wie Sachmeisterstück (Zum Glück war er mir noch ein neuer Reichthum) (Überhaupt ist die französische Sprache durch ihre feste Wortfolge und ihr lateinisch-scholastisches Wörterbuch der Philo- sophie gerade so diensam wie der Dichtkunst unfolgsam). Nur 2 mal35 stieß ich an. P. 517 erwartet man nach den Partizipien Ne regar-
und alle Vergleichſtufen wegfallen). — Sogar die Zufälligkeit muß ſich der Verſtand erſt von der Vernunft erborgen, denn jene ſetzt ſchon die Nothwendigkeit als ihren Gegenſatz, den aber nur die Vernunft feſtſtellt 〈gebiert〉, voraus, und der Zufall iſt blos eine Verſchleierung der Freiheit; oder die Nothwendigkeit wäre ſelber ein Zufall von5 Ewigkeit.
Treffend ſind deine Apollons Schüſſe auf den neueſten Schelling.
den 27ten
Genug! Leider ſag’ ich dir kein anderes wahres Wort mit allem als höchſtens dein eignes. So wollt’ ich z. B. noch ſchreiben, daß10 ohne göttliche Perſönlichkeit ja gar keine endliche, die doch keiner läugnet, zu Stande käme, oder dieſe wäre dann ſelber jene, oder eine Weltſeele, da jedes Selbbewußtſein höher und mächtiger iſt als ein ganzes blindes taubes Spinoza-All.
Die größte Beſchämung der Philoſophie des Verſtandes iſt die15 Scholaſtik — dieſe größere kantiſche Antinomiſtik — aus welcher man den ſchärfſten Skeptiziſmus als aus einer kritiſchen Eſſigmutter bereiten könnte. — Mein alter Haß gegen die Wortwelt-Weisheit ruht auf den Seiten 26, 27 etc. meines Clavis Fichtiana, die du ſammt der Zueignung an dich wiederleſen ſollteſt. — Iſt man ge-20 gründet wie du, oder durch dich: ſo findet man wahrlich mehr Po- ſitives — als bei jenen Wortweltweiſen — in analogiſchen Schlüßen wie die Herd[erſchen] vom Schmetterling auf die Unſterblichkeit, oder wie meine auf dieſe aus dem organiſchen Magnetiſmus. Wir ſollten eine ſolche Anthropologie des göttlichen Anthropomorphiſmus25 verſuchen. Iſt denn A[ltes] und N[eues] Teſtament etwas anderes als eine analogiſche Schlußkette des Poſitiven?
Die Form deiner Einleitung iſt klaſſiſches Philoſophen-Deutſch und für mich Ohrenzauber; deine philoſophiſche Sprache reift immer blühender und fruchtbarer an deinen Jahren. Reife ſie noch30 lange fort! — Eben ſo iſt dein franzöſiſcher Brief an la Harpe ein Sprach- wie Sachmeiſterſtück (Zum Glück war er mir noch ein neuer Reichthum) (Überhaupt iſt die franzöſiſche Sprache durch ihre feſte Wortfolge und ihr lateiniſch-ſcholaſtiſches Wörterbuch der Philo- ſophie gerade ſo dienſam wie der Dichtkunſt unfolgſam). Nur 2 mal35 ſtieß ich an. P. 517 erwartet man nach den Partizipien Ne regar-
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und alle Vergleichſtufen wegfallen). — Sogar die Zufälligkeit muß
ſich der Verſtand erſt von der Vernunft erborgen, denn jene ſetzt ſchon
die Nothwendigkeit als ihren Gegenſatz, den aber nur die Vernunft
feſtſtellt 〈gebiert〉, voraus, und der Zufall iſt blos eine Verſchleierung
der Freiheit; oder die Nothwendigkeit wäre ſelber ein Zufall von 5
Ewigkeit.
Treffend ſind deine Apollons Schüſſe auf den neueſten Schelling.
den 27ten
Genug! Leider ſag’ ich dir kein anderes wahres Wort mit allem
als höchſtens dein eignes. So wollt’ ich z. B. noch ſchreiben, daß 10
ohne göttliche Perſönlichkeit ja gar keine endliche, die doch keiner
läugnet, zu Stande käme, oder dieſe wäre dann ſelber jene, oder eine
Weltſeele, da jedes Selbbewußtſein höher und mächtiger iſt als
ein ganzes blindes taubes Spinoza-All.
Die größte Beſchämung der Philoſophie des Verſtandes iſt die 15
Scholaſtik — dieſe größere kantiſche Antinomiſtik — aus welcher man
den ſchärfſten Skeptiziſmus als aus einer kritiſchen Eſſigmutter
bereiten könnte. — Mein alter Haß gegen die Wortwelt-Weisheit
ruht auf den Seiten 26, 27 etc. meines Clavis Fichtiana, die du
ſammt der Zueignung an dich wiederleſen ſollteſt. — Iſt man ge- 20
gründet wie du, oder durch dich: ſo findet man wahrlich mehr Po-
ſitives — als bei jenen Wortweltweiſen — in analogiſchen Schlüßen
wie die Herd[erſchen] vom Schmetterling auf die Unſterblichkeit,
oder wie meine auf dieſe aus dem organiſchen Magnetiſmus. Wir
ſollten eine ſolche Anthropologie des göttlichen Anthropomorphiſmus 25
verſuchen. Iſt denn A[ltes] und N[eues] Teſtament etwas anderes
als eine analogiſche Schlußkette des Poſitiven?
Die Form deiner Einleitung iſt klaſſiſches Philoſophen-Deutſch
und für mich Ohrenzauber; deine philoſophiſche Sprache reift
immer blühender und fruchtbarer an deinen Jahren. Reife ſie noch 30
lange fort! — Eben ſo iſt dein franzöſiſcher Brief an la Harpe ein
Sprach- wie Sachmeiſterſtück (Zum Glück war er mir noch ein neuer
Reichthum) (Überhaupt iſt die franzöſiſche Sprache durch ihre feſte
Wortfolge und ihr lateiniſch-ſcholaſtiſches Wörterbuch der Philo-
ſophie gerade ſo dienſam wie der Dichtkunſt unfolgſam). Nur 2 mal 35
ſtieß ich an. P. 517 erwartet man nach den Partizipien Ne regar-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/61>, abgerufen am 22.07.2024.
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